Einstellung des Mannesmann-Prozesses:
„Deutsche Unternehmen werden künftig billig zu haben sein“ [29.11.06]
Sechs Fragen an Prof. Dr. Hans-Peter Burghof, Experte für Bankwirtschaft und Finanzen, Universität Hohenheim
Vor allem kleine Aktionäre hatten gehofft, dass der Mannesmann-Prozess mit der Selbstbedienungsmentalität von Managern aufräumt: Nach der verlorenen Übernahme-Schlacht gegen Vodafone hatte der Mannesmann-Aufsichtsrat dem scheidenden Vorstand den Abschied mit einer Millionenprämie vergoldet. Soeben wurde das Verfahren gegen Geldbuße eingestellt. Ist unser Justizsystem eingeknickt?
PROF. DR. BURGHOF: Ganz offensichtlich ist der Prozessausgang für beide Seiten so unkalkulierbar geworden, dass vor allem die Staatsanwaltschaft einen Vergleich dem Risiko vorzieht, den Prozess am Ende zu verlieren. Die Angeklagten müssten sich nun zwar reuig zeigen, dürften aber die finanziellen Verluste als tragbar empfinden und sich gegen mögliche andere Konsequenzen im Vorfeld abgesichert haben. Nach jetzigem Stand ist demnach nicht zu erwarten, dass der prominenteste Angeklagte, Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann, wegen des Prozesses nun seinen Stuhl räumen müsse. Für die deutsche Wirtschaft hat das ganze Mannesmann-Verfahren einschließlich dieses Ausgangs allerdings einen gewaltigen Pferdefuß.
Inwiefern?
PROF. DR. BURGHOF: Bei einer Übernahmeschlacht – wie damals zwischen Mannesmann und Vodafone – ist es die Aufgabe des Managements, den Börsenwert ihres Unternehmens konsequent in die Höhe zu treiben. Ziel ist es, den Gegner abzuwehren oder – falls es wie damals doch zur feindlichen Übernahme kommt – die Übernahme so teuer wie möglich zu machen. Davon profitieren die Aktionäre, weil ihre Aktien hinterher mehr wert sind. Um Manager dazu zu bewegen, eine für sie manchmal auch sehr riskante Abwehrstrategie zu verfolgen, muss es möglich sein, dass der Aufsichtsrat genau die finanziellen Anreize setzt, die der jeweiligen Situation angepasst sind.
Im Fall Mannesmann wurde die Prämie aber erst dann vereinbart, als die Schlacht schon geschlagen und verloren war…
PROF. DR. BURGHOF: …weil vorher niemand beurteilen konnte, wie gut sich der Vorstand schlagen würde. Im internationalen Kontext sind solche nachträglichen Prämien weit verbreitet, sodass die Manager bis zum Schluss auf diese Belohnung hinarbeiten. Ich gehe fest davon aus, dass Herr Esser im Fall Mannesmann sicher gewusst hat, dass er eine hohe Prämie erwarten kann, wenn es ihm gelingt, eine große Wertsteigerung für die Aktionäre zu realisieren. Entsprechend risikobereit und aggressiv hat er den Übernahmekampf geführt.
Wie wird die Wirtschaft auf den Prozessausgang reagieren?
PROF. DR. BURGHOF: Deutsche Unternehmen werden künftig billig zu haben sein: Nach dem Mannesmann-Verfahren dürften es die Aufsichtsräte deutscher Unternehmen sicher nicht mehr wagen, solche Anreize zu setzen, denn auf einen Verbotsirrtum wird sich nun niemand mehr berufen können. Stattdessen werden sich Manager schon zu Dienstbeginn dicke Prämien in den Vertrag schreiben lassen für den Fall, dass sie nach einer verlorenen Übernahmeschlacht den Hut nehmen müssen – unabhängig davon, was sie im Vorfeld der Übernahme geleistet haben.
Sie meinen eine Klausel, die in Fachkreisen als Golden Parachute, also „Goldener Fallschirm“ bekannt ist?
PROF. DR. BURGHOF: Richtig – und das ist immer nur eine zweitbeste Lösung. Ohne Bezug zur konkreten Situation sind solche Ex-Ante-Regelungen in ihrer Anreizwirkung immer weniger präzise. Dies gilt übrigens auch dann, wenn sie in ihrer Höhe an bestimmte Performance-Maße geknüpft werden. Vor allem aber: Im Dienstvertrag fixierte Regelungen machen in der Übernahmeschlacht die Vorstände des zu übernehmenden Unternehmens für den Bieter viel leichter ausrechenbar. Die Verteidigungsstrategie ist entsprechend weniger effektiv. Es sei daher zu erwarten, dass die Aktionäre deutscher Unternehmen in Zukunft aus einer feindlichen Übernahme ihres Unternehmens durchschnittlich deutlich weniger erlösen können als die Aktionäre anderer Unternehmen. Eigentlich müssten Vorstände danach im Interesse der Aktionäre den Sitz ihres Unternehmens ins Ausland verlagern, wo solche Abschiedsprämien legal sind.
Welchen Ausweg sehen Sie aus dem Dilemma?
PROF. DR. BURGHOF: Auch ich bin der Meinung, dass Vorstandsgehälter – wie auch die Einkommen einiger anderer erfolgreicher Menschen in unserer Gesellschaft – heute im Vergleich mit anderen Einkommen viel zu hoch ausfallen. Doch daran hätte der Mannesmann-Prozess von Anfang an nichts ändern können. Statt richterlicher Eingriffe brauchen wir eine verbesserte Unternehmenskontrolle durch Aktionäre und Aufsichtsrat, sprich: mehr Transparenz und, daran anknüpfend, klare Verantwortlichkeiten und Vorgaben. Ich verweise in dieser Diskussion gerne auf den Deutschen Corporate Governance Codex, nach welchem Aktiengesellschaften die Gehälter ihrer Vorstandsmitglieder offenzulegen haben. Dieser Kodex ist allerdings nicht rechtsverbindlich. Es liegt deshalb an den Aktionären, die Aufsichtsräte und Vorstände ihrer Unternehmen möglichst weitgehend darauf zu verpflichten.
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Hans-Peter Burghof, Universität Hohenheim, Lehrstuhl für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen
Tel.: 0711 459-22901, E-Mail: burghof@uni-hohenheim.de