Ackerfuchsschwanz:
Herbizidresistenz durch bereits vorhandene genetische Variation verursacht [14.04.23]
Mechanismen der schnellen evolutionären Anpassung im Ackerfuchsschwanz entschlüsselt
Das Unkraut Ackerfuchsschwanz verursacht aufgrund von Herbizidresistenzen europaweit immense wirtschaftliche Schäden. Ein Team unter Leitung von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Biologie Tübingen und der Universität Hohenheim in Stuttgart hat nun herausgefunden, dass diese Resistenz hauptsächlich auf genetische Varianten zurückzuführen ist, die schon vor der Verwendung von Herbiziden auf den Feldern existierten. Die Forschungsergebnisse sind jetzt in den Fachzeitschriften Proceedings of the National Academy of Sciences und Plant Biotechnology Journal erschienen.
GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG DER UNIVERSITÄT HOHENHEIM UND DES MAX PLANCK INSTITUTS TÜBINGEN
Landwirtschaftliche Betriebe in ganz Europa führen einen zunehmend erbitterten Kampf gegen den Ackerfuchsschwanz. Dieses einjährige Gras, das in Eurasien heimisch ist und in feuchten Wiesen und Laubwäldern gedeiht, hat Kulturland erobert: Wenn es kultivierte Felder wie beispielsweise Weizen- oder Gerstefelder bewächst, konkurrieren die Nutzpflanzen mit dem Unkraut. Dies kann die Ernteerträge erheblich reduzieren.
Seit Jahrzehnten ist es Praxis, das Unkraut mit Herbiziden zu bekämpfen. Dies hat zu einem besorgniserregenden Anstieg der Herbizidresistenz geführt: Allein im Vereinigten Königreich verursacht Ackerfuchsschwanz jährlich einen geschätzten Schaden von fast einer halben Milliarde Euro. Seine schnelle Anpassung an die Herbizide droht die Innovation in der chemischen Unkrautbekämpfung zu überholen.
Proben von lokalen Landwirtschaftsbetrieben und aus ganz Europa
Ein Team unter Leitung von Forschenden aus Detlef Weigels Abteilung für Molekularbiologie am Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen und Karl Schmids Abteilung für Nutzpflanzenbiodiversität und Züchtungsinformatik an der Universität Hohenheim (Stuttgart) hat nun die evolutionären Mechanismen der Entstehung von Resistenzen untersucht. Die beiden im Einsatz gegen Ackerfuchsschwanz gebräuchlichsten Herbizide hemmen die Aktivität von Proteinen, die für die Pflanze lebensnotwendig sind.
Ackerfuchsschwanz hat verschiedene Strategien zum Umgang mit diesen herbiziden Giftstoffen entwickelt: Er kann sie verstoffwechseln oder auf andere Weise verhindern, dass die Pflanzenschutzmittel die Proteine erreichen, die sie deaktivieren sollen. Pflanzen mit dieser Art Resistenz sind größtenteils immer noch empfindlich gegenüber höheren Dosen der Herbizide. Für Landwirt*innen schlimmer – und weitaus häufiger – ist es, wenn Pflanzen sogar gegen hochdosierte Herbizidbehandlungen unempfindlich werden. Dies geschieht durch direkte Veränderungen in einem der Gene, die die anvisierten Proteine kodieren.
Die rasche Zunahme dieser sogenannten Target-Site-Resistenzen veranlasste die Forschenden zu der Frage, wie wichtig dafür neue Spontanmutationen sind – und welche Rolle hingegen Mutationen spielen, die bereits vor dem Einsatz von Herbiziden in einer Population vorhanden sind.
Die Suche nach Antworten begann zunächst lokal: “Von Landwirten haben wir erfahren, dass herbizidresistenter Ackerfuchsschwanz auch in der Tübinger Umgebung ein Problem darstellt, und so konnten wir dank der freundlichen Unterstützung der lokalen Landwirte unsere ersten Proben sammeln“, erinnert sich die Erstautorin Sonja Kersten, deren Promotionsprojekt die Grundlage für die Studie legte.
„Bald wurde uns jedoch klar, dass wir aus unserer eigenen, überschaubaren Sammlung nur begrenzt Schlüsse ziehen konnten. Wir hatten das Glück, uns mit Kollegen von BASF Agricultural Solutions zusammenschließen zu können, die bereits Proben von Ackerfuchsschwanz aus ganz Europa zur Verfügung hatten und uns so uns ermöglichten, den Umfang der Studie auf europäische Ebene auszuweiten.“ BASF profitierte ebenfalls von der Kollaboration, weil das Verständnis von Genomen wie dem des Ackerfuchsschwanzes es ihnen ermöglicht, Maßnahmen für eine nachhaltige Nutzung von Herbizidprodukten zu entwickeln.
Genetische Variation gibt Einblick in die Evolutionsgeschichte
Die Forschenden erstellten ein Referenzgenom für Ackerfuchsschwanz – eine idealisierte Version der DNA-Sequenz, die als Vergleichsbasis bei genetischen Studien dient – und analysierten die genetische Struktur von resistenten Feldpopulationen. "Die Variation, die wir in den meisten resistenten Populationen gefunden haben, deutet darauf hin, dass sich die Resistenz durch bereits vorhandene Genvarianten verbreitet hat und nur in einem geringeren Maße durch spontane Mutationen entstanden ist" erklärt Fernando Rabanal, der die Studie leitete. „Wenn eine Spontanmutation einen evolutionären Vorteil verursacht, beobachtet man üblicherweise einen Rückgang der genetischen Diversität in der betreffenden Population – und dies war hier nicht der Fall.“
Die Wissenschaftler*innen verglichen ihre empirischen Daten mit Simulationen verschiedener Anpassungsszenarien und konnten so bestätigen, dass die Genvarianten für Target-Site-Resistenzen sehr wahrscheinlich schon existiert hatten, bevor die Herbizide ihren Selektionsdruck ausübten.
Entwicklung von Diagnoseverfahren zur Überwachung von Resistenzen
Das Team sequenzierte für die Studie mit hoher Genauigkeit die Gene, die für die relevanten Proteine verantwortlich sind, sowie deren Genumgebung, indem sie sogenannte Long-Read-Amplikone erzeugten. Sie standen jedoch vor der Schwierigkeit, Hunderte von einzelnen Pflanzen zu verarbeiten, was ein zeitaufwendiges und kostspieliges Unterfangen ist. Kersten, Rabanal und Weigel entwickelten daher ein Gen-Sequenzierungsprotokoll, das es ermöglicht, über 100 Pflanzen aus einer einzigen DNA-Extraktion ohne wesentliche Einbußen an Genauigkeit zu analysieren.
Mit Unterstützung von Kooperationspartnern des in Stuttgart ansässigen Unternehmens Agris42, das physiologische Resistenztests für Landwirte und Industriepartner entwickelt, wandten sie ihre Methode auf 64 Feldpopulationen in ganz Deutschland an, wobei Agris42 die Proben zur Verfügung stellte. Diese Sammlung könnte eine wertvolle Ressource für das Monitoring der Resistenzentwicklung werden; umso mehr, als die Simulationen der Forschenden darauf hindeuten, dass selbst die selteneren Resistenzgene noch jahrzehntelang in unbehandelten Feldern zu finden sein werden.
In Hinblick auf die unmittelbaren praktischen Konsequenzen ihrer Ergebnisse merken die Autor*innen an, Unkrautkontrolle dürfe sich nicht allein auf Herbizide stützen, sondern müsse auch „mechanische Bekämpfung und Fruchtwechsel beinhalten, um das Unkrautvorkommen auf dauerhaft niedrigem Niveau zu halten.“
Originalveröffentlichungen
[1] Kersten, S., Chang, J., Huber, Chr. D., Voichek, Y., Lanz, Chr., Hagmaier, T., Lang, P., Lutz, U., Hirschberg, I., Lerchl, J., Porri, A., Van de Peer, Y., Schmid, K., Weigel, D., Rabanal, F. A.: Standing genetic variation fuels rapid evolution of herbicide resistance in blackgrass. PNAS (2023), Volume, number. DOI: 10.1073/pnas.2206808120
[2] Kersten, S., Rabanal, F.A., Herrmann, J., Hess, M., Kronenberg, Z.N., Schmid, K., Weigel, D.: Deep haplotype analyses of target-site resistance locus ACCase in blackgrass enabled by pool-based amplicon sequencing. Plant Biotechnol J. (2023). Online ahead of print. DOI: 10.1111/pbi.14033
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Detlef Weigel
+49 7071 601-1410
detlef.weigel@tuebingen.mpg.de
Dr. Fernando Rabanal
fernando.rabanal@tuebingen.mpg.de
Prof. Dr. Karl Schmid, Leitung Fachgebiet Nutzpflanzenbiodiversität und Züchtungsinformatik, Universität Hohenheim
0711 459-23487, Karl.Schmid@uni-hohenheim.de