Tarifstreit bei der Bahn:
Experte kritisiert gravierende Verhandlungsfehler  [06.05.15]

Verhandlungsexperte der Universität Hohenheim appelliert an Tarifpartner, ihre Verhandlungsstrategie zu überdenken.

Ein Tarifkonflikt legt Deutschland lahm: Die Lokführergewerkschaft GDL will mit einem sechstägigen Streik ihre Interessen durchsetzen. „Bei diesen Tarifverhandlungen erkennt man einige ganz typische Verhandlungsfehler“, meint Prof. Dr. Markus Voeth, Verhandlungsexperte an der Universität Hohenheim. Er mahnt bei den Beteiligten dringend eine Rückbesinnung auf ihre eigentliche Aufgabe an, nämlich das Auffinden einer partnerschaftlichen Lösung.

 

Sechs Tage Bahnstreik – Pendler kommen nicht mehr zur Arbeit, die Straßen sind überfüllt, der wirtschaftliche Schaden ist gewaltig. „Ganz Deutschland leidet derzeit darunter, dass die Beteiligten im Tarifkonflikt zwischen Bahn und GDL keinen guten Verhandlungsjob machen“, resümiert Prof. Dr. Markus Voeth, Verhandlungsforscher an der Universität Hohenheim.

Der Tarifstreit bei der Bahn sei geradezu ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie man Verhandlungen keinesfalls führen sollte, meint der Experte. „Seit Herbst letzten Jahres ist bekannt, dass im Sommer 2015 das Tarifeinheitsgesetz kommen soll. Dass dieses Gesetz die laufende Tarifauseinandersetzung überschattet, ist also seit langem klar. Keiner sollte daher die bevorstehende Beschlussfassung über dieses Gesetz als Ursache für die Eskalation im Streit zwischen Bahn und GDL vorschieben.“

Ab Juli wird es einen neuen gesetzlichen Rahmen für den Umgang mit kleinen Spartengewerkschaften geben: Das geplante Tarifeinheitsgesetz wird die Situation zwischen Bahn und GDL grundlegend verändern. Wenn eine Berufsgruppe von mehreren Gewerkschaften vertreten wird, gilt künftig nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern.

 

Nach Auffassung von Prof. Dr. Voeth sind andere Verhandlungsfehler der beiden Tarifparteien für die augenblickliche Eskalation des Tarifkonflikts verantwortlich:

 

1. Verhandlungsfehler: „Verhandlungsführer sollten ihre persönlichen Interessen aus dem Spiel halten!“

„Angesichts der Vehemenz, mit der die GDL ihre Forderung nach Vertretung weiterer Berufsgruppen verfolgt, muss man sich fragen, in wessen Interesse dies eigentlich ist“, gibt Prof. Dr. Voeth zu bedenken. „Es sieht ganz danach aus, dass dies in erster Linie die Interessen der GDL-Funktionäre sind, die durch möglichst viele Mitglieder ihre Machtbasis bei der Bahn vergrößern wollen.“

„Ein Lokführer sollte sich schon einmal die Frage stellen, was er eigentlich davon hat, wenn seine Gewerkschaft zukünftig auch Zugbegleiter vertritt“, empfiehlt der Wissenschaftler. Wenn die GDL zukünftig nicht mehr nur Lokomotivführer, sondern etwa auch Zugbegleiter vertrete, könne sie die Interessen ihrer ursprünglichen Klientel der Lokomotivführer nicht mehr allein im Auge haben und daher nicht mehr so erfolgreich vertreten.

„Vor diesem Hintergrund kann man der GDL nur wünschen, dass sie sich schnellstmöglich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe konzentriert, nämlich die Vertretung der in ihrem Namen ‚Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer’ genannten Zielgruppe.“

 

2. Verhandlungsfehler: „Nicht an Positionen hängen!“

„Aber auch die Bahn glänzt in diesem Tarifkonflikt nicht wirklich“, meint Prof. Dr. Voeth. „Man gewinnt den Eindruck, dass es der Bahn zu stark ums Prinzip geht.“ So wolle man offenbar unbedingt vermeiden, dass die GDL auch andere Berufsgruppen vertrete.

„Sicherlich muss sich die Bahn fragen, ob dies tatsächlich so negativ für das Unternehmen ist wie nun die Folgen dieses eskalierenden Tarifkonflikts“, merkt Prof. Dr. Voeth an. Erfolgreiches Verhandeln zeichne sich vielmehr dadurch aus, dass man seine Interessen und nicht seine bisherigen Positionen im Blick habe.

 

3. Verhandlungsfehler: „Verhandlungen nicht zur One-Man-Show werden lassen!“

Darüber hinaus kritisiert der Verhandlungsforscher die sehr starke Position von GDL-Chef Claus Weselsky im Verhandlungsteam der GDL. „Wir wissen aus unserer Forschung, dass sich One-Man-Shows in Verhandlungen negativ auf das eigene Verhandlungsergebnis auswirken“, meint Prof. Dr. Voeth.

Liege die Verhandlungslast und damit auch der öffentliche Druck allein auf den Schultern eines Einzelnen, so drohe sehr viel eher, dass sich der Verhandlungsführer in den Verhandlungen verrenne, da er die Verhandlung irgendwann vor allem als persönliche Auseinandersetzung begreife.

„Insgesamt sind Gewerkschaften gut beraten, ihre Verhandlungsteams wirklich als Team arbeiten zu lassen und nach außen nicht allein durch ihren Vorsitzenden vertreten zu lassen“, rät Prof. Dr. Voeth. „Wenn sehr großer öffentlicher Druck auf einzelnen Verhandlungsführern wie Claus Weselsky lastet, dann führt dies unweigerlich zu unprofessionellem Verhandeln.“

 

4. Verhandlungsfehler: „Nicht mit dem Verhandlungspartner über die Öffentlichkeit kommunizieren!“

Schließlich sieht der Verhandlungsexperte auch im Tarifkonflikt zwischen Bahn und GDL den für Tarifverhandlungen typischen Fehler, zu stark auf die Unterstützung durch die Öffentlichkeit zu schielen.

„In vielen Tarifverhandlungen versuchen die Beteiligten, über die Öffentlichkeit Druck auf die Gegenseite aufzubauen. Getreu dem Motto ‚Wenn die Öffentlichkeit auf unserer Seite ist, wird die Gegenseite schon nachgeben’ wird mehr über die Medien als mit dem Partner verhandelt.“

Dies berge aber große Risiken in sich. „Wer permanent über die Medien auf den Verhandlungspartner eindrischt, der darf sich nicht wundern, dass es im Verhandlungsraum immer frostiger wird und eine Lösung immer mehr in weite Ferne rückt, schlussfolgert Prof. Dr. Voeth. „Von daher kann man Bahn und GDL nur raten, mehr miteinander und nicht nur übereinander zu reden.“

Text: Elsner

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Markus Voeth, Universität Hohenheim, Fachgebiet Marketing und Business Development, T 0711 459-22924, Mobil 0177 7646192, markus.voeth@uni-hohenheim.de


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