Gemüsebau im Sack:
Effektive Ideen gegen Mangelernährung in Tansania [11.10.16]
Wissenschaftler der Universität Hohenheim erforschen, wie Nährstoffmangel mit vorhandenen Möglichkeiten verringert werden kann. / Ein Werkstattbericht
Gemüseanbau im Pflanzsack oder korrekt gelagerte Lebensmittel – oft sind es einfache Kenntnisse und Ideen, mit denen die Landbevölkerung ihre Ernährungslage verbessern könnte. In Tansania leiden vor allem viele Kinder und Frauen unter Mangelernährung. Wissenschaftler der Universität Hohenheim und ihre Kooperationspartner untersuchen in einem Projekt, wie sich die Ernährungslücken mit vorhandenen Ressourcen verringern ließen und wie man diese Kenntnisse den Menschen vermitteln kann. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördert das Vorhaben an der Universität Hohenheim mit fast 300.000 Euro und macht es zu einem Schwergewicht der Forschung.
„Mangelernährung ist in Tansania in fast der Hälfte der Fälle die Todesursache bei Kindern“, erklärt Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski, Ernährungsmediziner an der Universität Hohenheim. „Das sogenannte Stunting nimmt zu, das heißt etwa 50 Prozent der Kinder sind für ihr Alter deutlich zu klein und hinken in ihrer geistigen Entwicklung hinterher.“
Um das Problem zu lindern, entwickeln Forscher der Universität Hohenheim gemeinsam mit ihren Projektpartnern im Projekt Scaling-up Nutrition (Scale-N) Ideen, wie die Landbevölkerung in Tansania ihren Ernährungszustand verbessern kann – und setzen sie mit einfachen, vorhandenen Möglichkeiten um.
Armut verursacht Mangelernährung
Besonders Eisenmangel ist weit verbreitet, vor allem bei Kindern im Wachstum und Frauen. „Doch ein gut gemeinter Rat – etwa mehr Fleisch zu essen, um Eisenmangel zu beheben – ist völlig sinnlos, wenn die Menschen dazu ihre einzige milchgebende Ziege schlachten müssten“, zeigt Dr. Wolfgang Stütz vom Fachgebiet Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft an der Universität Hohenheim auf.
Doch auch aus dem vorhandenen Nahrungsmittelangebot ließe sich mit entsprechenden Knowhow mehr machen. „Die Mikronährstoffe sind in der Regel einfach nicht im Bewusstsein der Leute“, berichtet der Experte weiter. „Die Landbevölkerung hat oft weder Zugang zu den Märkten in der Stadt noch Geld dafür – klassisches Arme-Leute-Essen ist Maisbrei mit etwas Gemüsesoße dazu.“
Befragungen und Blutproben ermitteln den Ist-Zustand
Für eine Bestandsaufnahme befragen die Ernährungswissenschaftler gemeinsam mit dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) und tansanischen Kollegen der Sokoine Universität in insgesamt 650 Haushalten Frauen und deren Schulkinder (6-8 Jahre).
„Wir fragen nach Ernährungsgewohnheiten, Zubereitungsweisen und der Lebensmittelherkunft und -lagerung“, erklärt Dr. Stütz. „Außerdem nehmen wir Blutproben der Mütter und je einem Schulkind, die wir auf Hämoglobin und den Status von Mikronährstoffen wie Eisen, Zink und Vitamin A testen.“ Den Hygienezustand und die Trinkwasserqualität halten die Forscher ebenfalls fest.
„Diese Untersuchungen führen wir jetzt gerade durch und werden sie in zwei Jahren wiederholen, um den Erfolg unseres Projektes zu überprüfen“, schildert Dr. Stütz.
Schulungen vermitteln praktikable Möglichkeiten
Tansanische Ernährungsberater vermitteln den Dorfbewohnern in Schulungen, wie sie das Essen vitaminschonend zubereiten und traditionelle Gerichte abwandeln können, um den Nährstoffgehalt zu erhöhen.
Auch die korrekte Lagerung der Lebensmittel in verschlossenen Säcken oder Tonnen ist dabei ein Thema: „So lässt sich Schimmel oder Verunreinigung durch Mäusekot leicht verhindern.“
An einer schlechten Nährstoffaufnahme sind jedoch oft auch Darmparasiten schuld. „Sehr effizient sind Wurmkuren zweimal im Jahr – dann bleiben für die Menschen bereits mehr Nährstoffe übrig“, verdeutlicht Prof. Dr. Biesalski.
Pocket Gardens – Vitamine vor der Haustür
Auch den Schulkindern kommt eine Rolle zur Verbesserung der Ernährungssituation zu: In Schulgärten lernen sie, wie man Gemüse und Obst anbaut und zubereitet. „Wir hoffen, dass über die Kinder dieses Wissen auch in die Familien gelangt“, berichtet Dr. Stütz.
Eine weitere Ergänzung stellen sogenannte Pocket Gardens dar. „Das sind einfache Säcke mit Erde, Mist und Sand, in denen man oben und in seitlichen Schlitzen Beta-Carotin-haltiges Gemüse anbauen kann“, erklärt Dr. Stütz. „Das ist mit wenig Aufwand direkt am Haus möglich.“
Diese Pocket Gardens könnten zwar die Lücke bei der Vitamin A-Versorgung nicht schließen, aber zumindest verkleinern. „Und dabei – wichtig in trockenen Regionen – brauchen sie nicht einmal extra Wasser, denn zum Gießen kann man das gebrauchte Wasser aus der Küche verwenden.“
Politikberatung für bessere Ernährung
Doch Scale-N geht noch einen Schritt weiter: Die Forscher geben am Ende auch Empfehlungen an die politische Seite. In Form von Kurzdossiers, angepasst an die jeweilige Region, fassen sie ihre Erfahrungen zusammen und geben sie an die Regierung ebenso wie an die Dorfchefs weiter.
Inhaltlich geht es zum Beispiel um praktische Lösungsansätze wie neue Quellen oder Filter gegen das Problem verunreinigten Trinkwassers. Oder darum, das Wissen zum Thema Nährstoffe und Gemüseanbau bereits in der Grundschule zu vermitteln: „Derzeit wird es in der Sekundarschule gelehrt, doch die meisten Menschen besuchen höchstens die Grundschule“, erläutert Dr. Stütz.
Hintergrund: Projekt Scale-N
Das Projekt „Scaling-up Nutrition: Anwendungsmöglichkeiten einer ernährungssensitiven und diversifizierten Landwirtschaft für eine verbesserte Ernährungssicherung“ – kurz: Scale-N – startete am 1.7.2015 und wird am 31.12.2018 enden. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördert es über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) an der Universität Hohenheim mit 293.248 Euro.
Kooperationspartner sind das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF, federführend), die Sokoine Universität für Landwirtschaft in Morogoro, Tansania, das Tansanische Landwirtschaftsministerium sowie die Welternährungsorganisation FAO. Mehr Infos: www.scale-n.org
Hintergrund: Schwergewichte der Forschung
31,2 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler der Universität Hohenheim 2015 für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 250.000 Euro bei den Experimentalwissenschaften bzw. 125.000 Euro bei den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften.
Text: Elsner / Klebs
Kontakt für Medien:
Dr. Wolfgang Stütz, Universität Hohenheim, Fachgebiet Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft
T 0711 459 23590, E wolfgang.stuetz@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski, Universität Hohenheim, Fachgebiet Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft
T 0711 459 24112, E biesal@uni-hohenheim.de