Klimaforscher über Fridays for Future:
„Die Klima-Proteste sind überfällig“ [28.06.19]
Interview zur Position von Prof. Dr. Volker Wulfmeyer, Leiter des Instituts für Physik und Meteorologie an der Universität Hohenheim in Stuttgart
Jungen Menschen der Bewegung „Fridays for Future“ ist gelungen, was Klimaforscherinnen und -forscher in den letzten Jahrzehnten nicht geschafft haben: Die Klimakrise ganz oben auf die politische Agenda zu setzen. Der renommierte Klimaforscher Prof. Dr. Volker Wulfmeyer hält die „Fridays for Future“- Bewegung für überfällig und sieht auch seinen eigenen Berufsstand in der Pflicht: „Auch wir Klimaforscher müssen uns viel deutlicher äußern, Vorschläge entwickeln und die Politik zum Handeln auffordern“, erklärt er im Interview. Prof. Dr. Wulfmeyer leitet das Institut für Physik und Meteorologie an der Universität Hohenheim in Stuttgart und befasst sich u.a. mit der Modellierung von regionalen Klimaveränderungen, Rückkopplungseffekten einer sich verändernden Vegetation auf das Klima und der genaueren Vorhersage von Extremwetterereignissen.
Herr Wulfmeyer, anfangs wurde die Bewegung „Fridays for Future“ ja noch von manchen Politikern belächelt. Spätestens seit dem Ausgang der Europawahl und dem enormen Zuspruch, den die Grünen derzeit erfahren, scheint sich das zu ändern.
Was denken Sie als Klimaforscher über die Bewegung? Auch Hohenheimer Studierende nehmen ja regelmäßig an den Freitags-Demos teil…
Ich bin erleichtert, dass endlich etwas passiert. Diese Bewegung ist überfällig. Die Erkenntnisse sind ja leider nicht neu. Wir Klimaforscher reden seit 30 Jahren davon, dass wir auf eine menschengemachte Katastrophe zusteuern, wenn wir nicht umgehend handeln.
Es freut mich, dass auch Hohenheimer Studierende an den Demonstrationen teilnehmen. Ich selbst habe als einer der ersten die Erklärung „Scientists for Future“ unterzeichnet, in der sich über 25.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler solidarisch mit den Zielen der Bewegung erklären. Wir haben eine Regionalgruppe in Stuttgart gegründet und stehen auch im Austausch mit Stuttgarter Schülerinnen und Schülern von Fridays for Future.
Auch in Hohenheim ist in den nächsten Monaten ein Treffen der Regionalgruppe geplant. Ich würde mich freuen, wenn auch interessierte Studierende oder Kolleginnen und Kollegen dazustoßen.
Die junge Aktivistin Greta Thunberg findet in ihren Vorträgen ja sehr eindringliche Worte. Sie spricht von der größten Krise, die die Menschheit je gesehen hat, fragt sich, warum Politiker angesichts der existenziellen Bedrohung so ruhig bleiben. Angst wäre ihrer Meinung nach eine angemessenere Reaktion. Sie fordert deshalb Top-Priorität für das Thema.
Wie weit gehen Sie hier mit? Ist es denn hilfreich in Panik zu verfallen?
Fest steht: Die Klimakrise ist eine existentielle Bedrohung für die Menschheit. Und die Politik muss endlich angemessen reagieren. Panik bringt natürlich niemanden weiter. Es bestünde auch kein Grund zur Panik, wenn wir das Thema endlich angemessen ernst nehmen und danach handeln würden.
Menschen denken von Natur aus eher kurzfristig. Man macht sich Gedanken um die nächsten Jahre, einen guten Job, die persönlichen Lebensumstände. Und in der Politik geht es anscheinend vor allem darum, die nächsten Wahlen zu gewinnen. Wir sprechen hier aber über eine extrem gefährliche Entwicklung, deren wahre Auswirkungen erst im Jahr 2050 bzw. im Jahr 2100 richtig zu spüren sein werden. Die Hitzewellen und Extremwetterereignisse der letzten Jahre sind im Vergleich dazu nicht mehr als harmlose Vorboten.
Wenn die Worte von Frau Thunberg dazu beitragen, aus der vorherrschenden Lethargie aufzurütteln, leisten sie einen wichtigen Beitrag. Denn es gibt bei all dem ja auch eine Hoffnung: Die Klimakrise ist menschenverursacht – das heißt umgekehrt: Wir haben es in der Hand, das Schlimmste abzuwenden. Wir müssen es aber auch tun. Und zwar schnell.
Das ist leichter gesagt als getan. Muss Politik nicht notwendigerweise immer Kompromisse finden und die Menschen mitnehmen? Wir sehen in Europa ja aktuell auch ein Erstarken von populistischen Kräften, die den Klimawandel z.T. leugnen…
Das Klimaabkommen von Paris ist ja bereits der hart errungene internationale Kompromiss, hinter den wir nicht weiter zurückgehen können. Die Klimaerwärmung bis Ende des Jahrhunderts muss auf maximal 2 Grad begrenzt bleiben, besser 1,5 Grad. Dazu ist es notwendig, dass wir es bis 2050 schaffen, klimaneutral zu wirtschaften.
Die Bundesregierung erklärt nun allerdings, dass die Ziele für 2020 verfehlt werden. Wir können aber nicht sagen, wir verschieben das alles um 10 Jahre oder akzeptieren 1-2 Grad mehr Erderwärmung. Die Auswirkungen wären verheerend. Das Klima lässt sich leider auf keine Kompromisse ein.
Noch vor einem Jahr haben sich viele Politiker darauf berufen, sie müssten die Menschen mitnehmen und bräuchten deswegen mehr Zeit. Aber heute stellt sich das Bild doch ganz anders dar: Die Menschen stehen endlich auf und versuchen, die Politiker aufzurütteln und zum Handeln zu bewegen. Deswegen können sich die Politiker jetzt nicht mehr hinter dem angeblichen Wählerwillen verstecken.
Was das Leugnen des menschengemachten Klimawandels durch populistische Kräfte betrifft, so kann ich das aus wissenschaftlicher Sicht nur als vollkommen absurd bezeichnen. Es werden Zitate gebracht, die falsch, aus dem Zusammenhang gerissen oder inzwischen vollständig widerlegt sind.
Wie einig sind sich Klimaforscherinnen und -forscher denn in der Einschätzung der Situation?
Es kursiert in der Öffentlichkeit das Gerücht, die Klimadaten könnten ganz unterschiedlich interpretiert werden und die Wissenschaft sei sich selbst nicht einig darin. Das ist falsch. Alle ernstzunehmenden Klimaforscherinnen und Klimaforscher – damit meine ich Experten, die das System Erde und den atmosphärischen Treibhauseffekt verstanden haben und erforschen – sind sich über die grundsätzlichen Punkte einig.
Natürlich gibt es auch natürliche Schwankungen des Klimasystems, gegen die wir machtlos sind. Aber der gegenwärtige Temperaturanstieg ist anders. Er vollzieht sich erheblich schneller und er verläuft in Übereinstimmung mit dem enormen Anstieg der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre seit Beginn der Industrialisierung. Diesen Zusammenhang kann man unmöglich vom Tisch wischen.
Mit einfachen Berechnungen und den Klimamodellen können wir beweisen, dass die Hauptursache für den Temperaturanstieg der letzten Dekaden der vom Menschen verursachte Treibhauseffekt ist. Das ist auch Teil unserer Lehre an der Universität Hohenheim. Alle Faktoren, die immer wieder als alternative Ursachen für die Temperaturschwankungen aufgeführt werden, sind vernachlässigbar und unkorreliert, wie z.B. eine veränderte Sonneneinstrahlung, Veränderungen der Erdumlaufbahn um die Sonne oder eine Verlagerung der Erdachse. Diese Prozesse werden selbstverständlich bereits von den Klimamodellen berücksichtigt.
Trotzdem gibt es offenbar auch noch viele offene Fragen – sonst wären Sie als Klimaforscher arbeitslos, oder?
Als Wissenschaftler setzen wir uns mit vielen spannenden Forschungsfragen zum Klimasystem auseinander, wie z.B. der Entwicklung und Vorhersagbarkeit extremer Ereignisse und dem Einfluss des Bewuchses der Landoberfläche auf das Klima. Arbeitslos werden wir deswegen nie sein. Wir müssen uns aber mit der Klimakrise auseinandersetzen, weil das nun einmal die größte Herausforderung ist, vor der die Menschheit steht.
Unterschiedliche Einschätzungen gibt es vor allem dazu, ob die gesamte Entwicklung 10 Jahre schneller oder langsamer verläuft, oder ein halbes Grad milder oder extremer ausfällt, etc. Außerdem kann sich der Klimawandel in konkreten Regionen sehr unterschiedlich auswirken. Eine kontroverse Frage ist es auch, ob und wie wir bei schnell eingeleiteten Maßnahmen die globale Temperaturerhöhung noch auf 1,5 Grad begrenzen können.
Was in gegenwärtigen Klimamodellen beispielsweise noch nicht ausreichend berücksichtigt wird, sind weitere Rückkopplungseffekte. Wenn z.B. die Permafrostböden in arktischen Regionen schmelzen, wird dabei Methan freigesetzt, was sich wiederum beschleunigend auf den weiteren Temperaturanstieg auswirkt.
Mich persönlich beschäftigt der Rückkopplungsprozess einer sich wandelnden Landoberfläche. Wenn sich durch den Klimawandel z.B. die Vegetation verändert, hat diese Veränderung ihrerseits auch einen Effekt auf das Klima. In der DFG Forschergruppe „Regionaler Klimawandel“ versuchen wir die Auswirkungen des Klimawandels für bestimmte Modellregionen so genau wie möglich zu modellieren und auch solche komplexen Rückkopplungseffekte mit einzubeziehen.
Leider deutet alles darauf hin, dass alle diese Rückkopplungseffekte den Klimawandel generell noch weiter beschleunigen und nicht etwa abmildern.
Wenn so eine große Einigkeit über den Ernst der Lage besteht: Warum bedurfte es erst einer Bewegung von Schülerinnen und Schülern, um das Thema oben auf die politische Agenda zu setzen? Muss sich Ihre Zunft hier nicht auch an die eigene Nase fassen?
Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Persönlich habe ich die Gründe und die Folgen der Klimakrise schon seit Beginn meiner Tätigkeit im Jahr 2001 an der Universität in vielen Vorträgen in der Öffentlichkeit vorgestellt. Vor fast zwei Jahren haben ich selbst ein Manifest verfasst, das nahezu den gleichen Inhalt hatte wie der Aufruf von „Scientists for Future“. Dieses habe ich unter den Klimaforschern zirkuliert und um ihre Unterstützung gebeten. Jedoch hielt sich der Erfolg stark in Grenzen.
Viele Klimaforscher haben sich in den letzten Jahrzehnten auf den Standpunkt zurückgezogen, dass Wissenschaft und Politik getrennt bleiben müssen. Nach dem Motto: Wir liefern die Erkenntnisse – handeln müssen andere. Ich bin dagegen der Überzeugung, dass ein Wissenschaftler die Verpflichtung hat, gesellschaftlich tätig zu werden wenn eine Krise droht.
Natürlich darf der wissenschaftliche Erkenntnisprozess selbst nicht politisch sein. Ergebnisse müssen allein nach neutralen wissenschaftlichen Standards gewonnen werden. Aber: Wenn Erkenntnisse vorliegen und die Politik darin versagt, angesichts einer bevorstehenden Krise die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, haben auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine gesellschaftliche Verantwortung. Dass sich nun junge Menschen zu Wort melden, ist eine tolle Entwicklung und gibt wieder Anlass zur Hoffnung.
Was sollte Ihrer Ansicht nach konkret geschehen?
In der Regionalgruppe „Scientists for Future“ erarbeiten wir gerade einen konkreten Maßnahmenkatalog für die Landes- und Bundespolitik.
Der wichtigste Punkt: Die CO2-Umlage muss unbedingt kommen. CO2-Einsparungen müssen honoriert, CO2-Emission muss teurer werden. Anders lässt sich eine so weitreichende Verhaltensänderung nicht erzielen. Dabei lassen sich auch sozialverträgliche Lösungen finden. Die Einnahmen können entsprechend umverteilt werden, sodass soziale Schwache einen Ausgleich erhalten. In einigen Ländern wird das bereits erfolgreich praktiziert.
Außerdem muss der Ausbau erneuerbarer Energie massiv vorangetrieben und Innovationen müssen besser gefördert werden. Das Erneuerbare Energie-Gesetz war ursprünglich eines der weltweit erfolgreichsten Gesetze dazu, wurde aber inzwischen so reformiert, dass sich mittelständische Unternehmen quasi überhaupt nicht mehr an Ausschreibungen für neue Windkraftanlagen beteiligen können. Das muss dringend korrigiert werden.
Auch meine Kollegen aus den Wirtschaftswissenschaften haben gezeigt: Nicht die Energiewende wird teuer, sondern das Verschlafen derselben.
Sind nationale Maßnahmen in Deutschland nicht eher ein Tropfen auf den heißen Stein? Müsste nicht eher globalen Entwicklungen wie der wachsenden Weltbevölkerung die größte Aufmerksamkeit geschenkt werden?
Es geht nicht um die Frage, ob wir entweder nationale oder globale Maßnahmen fördern sollten. Die Maßnahmen auf nationaler Ebene sind vielmehr ein entscheidender Schritt, um auch auf globaler Ebene wirksame Ergebnisse zu erzielen. Die wachsende Weltbevölkerung bringt viele Probleme mit sich und kann auch den Klimawandel noch beschleunigen. Das ist aber nicht notgedrungen so, sondern es hängt letztlich davon ab, welche Reformen in den einzelnen Ländern stattfinden und wie sie den CO2-Ausstoß verringern.
Die Bundesrepublik Deutschland ist weltweit der sechstgrößte CO2-Emittent. Wenn wir handeln, bringt das also durchaus schon eine Menge. Als reiches Industrieland und Hauptverursacher haben wir auch eine besondere Verantwortung und eine Vorbildfunktion. Der Großteil des CO2, das ist sich inzwischen zusätzlich in der Luft befindet wurde nicht durch China, sondern durch die EU und die USA verursacht. Wenn es ein Land wie Deutschland nicht schafft, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten – wer sollte es dann schaffen?
Text: Leonhardmair
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Volker Wulfmeyer, Universität Hohenheim, Institut für Physik und Meteorologie
T 0711 459 22150, E volker.wulfmeyer@uni-hohenheim.de