„Mangelnder Mut in der Politik lässt Deutschland zurückfallen“ [23.06.06]
Rektor der Universität Hohenheim mahnt Mut zur Veränderung an. Mittelbau-Vertreterin kritisiert Landeshochschulgesetz und Studiengebühren.
Sämtliche Redetexte unter www.uni-hohenheim.de/presse.
Deutschland fällt im internationalen Wettbewerb zurück – denn entgegen allen Lippenbekenntnissen fehle der Politik oft der Mut, einen eindeutigen Schwerpunkt zugunsten des Bereichs Bildung zu setzen, erklärte der Rektor der Universität Hohenheim, Prof. Dr. Hans-Peter Liebig auf dem Festakt zum Dies academicus am Freitag, 23. Juni 2006. Als besondere Herausforderungen nannte Prof. Dr. Hans-Peter Liebig den stark steigenden Bedarf an Studienplätzen. An die eigene Hochschule gewandt, forderte der Rektor Mut zu Veränderungen: „Für die Universität Hohenheim gehörten Veränderungen bereits in der Vergangenheit zum Erfolgsrezept.“
Die universitäre Ausbildung bezeichnete Prof. Dr. Liebig als Motor für die gesamte Entwicklung. „Wir wissen allerdings, dass zwischen der Leistungsfähigkeit einer Universität, ihrer Exzellenz und den verfügbaren Finanzmitteln ein enger Zusammenhang besteht.“ Problematisch sei die Zahl der Studienanfänger, die laut Statistik bis 2012 stark ansteigen werde. „Die Landesregierung hat hier die richtigen Weichen und vor der Landtagswahl zusätzliche Mittel von 30 Prozent in Aussicht gestellt.“ Inzwischen sei das Engagement des Landes auf 15 Prozent gesunken, der Rest solle durch Zuschüsse aus der Wirtschaft und höhere Effizienz der Hochschulen erwirtschaftet werden.
Als Antwort auf den erhöhten Bedarf konzipiere die Universität Hohenheim, wie auch die anderen Landeshochschulen, deshalb neue Studiengänge. Gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern sollen die neuen Angebote mit den Bedürfnissen der Wirtschaft abgeglichen und die Förderbereitschaft von Unternehmen ausgelotet werden.
Um ihre Position zu stärken, suche die Universität Hohenheim die stärkere Vernetzung in der Region und in internationalen Hochschulnetzwerken. „Die Vernetzung kann aber nur erfolgreich sein, wenn die Universität Hohenheim selbst inhaltliche Schwerpunkte aufweise.“ Die wissenschaftlichen Zentren sollen deshalb gestärkt und die vorhandenen Organisationsstrukturen optimiert werden. „Veränderungen sind hier notwendig, um die Zukunft zu meistern.“
Seitens der Vertreterin des Mittelbaus, PD Dr. Ulrike Weiler, stand vor allem die Landesregierung mit den geplanten Studiengebühren in der Kritik: Als Gefahren nannte sie, dass Studiengebühren die Zugangschancen zum Studium verändern und die soziale Selektivität verschärfen, ohne dass sich die Vision des Studierenden als anspruchsvollen Kunden bewahrheiten werde: „Professoren und Studierende sind nicht durch eine paritätische Angebots- und Nachfragebeziehung verbunden. Es ist und bleibt eine ungleiche hierarchische Beziehung, die den Studierenden die schlechtere Position lässt.“ Nicht zuletzt würden Studiengebühren auch den akademischen Mittelbau verändern: So habe das hessische Landeskabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, nachdem Hochschulen bis zu 3.000 Euro pro Jahr von Doktoranden erheben können. „Für viele Doktoranden, die bei vollem Stundendeputat mit 800 bis 900 Euro im Monat nach Hause gehen, bedeutet das das Ende der wissenschaftlichen Laufbahn.“
Als „voll von vermeintlich modernen Worthülsen“ geißelte Dr. Weiler auch das neue Landeshochschulgesetz, das den Hochschulen neue Leitungsstrukturen in Analogie zu Wirtschaftsunternehmen diktierte. „Hier haben die Hohenheimer Gremien und das Rektorat den Mut bewiesen, demokratische Strukturen zu wahren, soweit das mit den neuen Vorschriften vereinbar ist.“ Umso unverständlicher sei es, dass das Forschungsministerium nun Kritik an der Hohenheimer Grundordnung anmelde: „Wir sind der Meinung, dass das Ministerium hier einen riskanten Weg einschlägt, der einer vertrauensvollen Zusammenarbeit alles andere als zuträglich ist.“
Für die Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA), Bianca Brosig, gehörten Studiengebühren und die laufende Umstellung auf das Bachelor-/Master-System zu den wichtigsten Eckpunkten ihres Rückblicks. Wenn schon einmal in Kraft getreten, sei es wichtig, dass die Studiengebühren tatsächlich die Lehre verbessern. „Eine bessere Lehre kann man nur erreichen, wenn einem auch bei Problemen geholfen wird.“ Wie die neuen Einnahmen verteilt werden, soll in einer Kommission entschieden werden, an der auch die Studierenden beteiligt sind. Positiv beurteilte Brosig die Umstellung auf das Bachelor-/Master-System. Im anstehenden Wintersemester sollen die Fächer der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften umgestellt werden, im kommenden Jahr folgen die Naturwissenschaften, während die Agrarwissenschaften die Umstellung bereits abgeschlossen haben.