Phytotechnikum:
Universität Hohenheim plant Forschungsgewächshaus für 8 Mio. Euro [09.12.15]
Neubau ermöglicht modulare, computergesteuerte Forschung in Bioökonomie / Baukosten: 8 Mio. Euro / Carl-Zeiss-Stiftung spendet 4 Mio. / Voraussichtlicher Baubeginn: Frühjahr 2016
Klimawandel, Biodiversität, Welternährung, Bioenergie, Nachwachsende Rohstoffe, Pflanzenkrankheit…: Zukunftsfragen zu diesen Themenkomplexen werden die Wissenschaftler der Universität Hohenheim bald schon in einem neuen Hightech-Forschungsgewächshaus auf den Grund gehen. 8,3 Mio. Euro soll allein der 1. Bauabschnitt kosten. Möglich wird er dank einer 4 Mio.-Euro-Spende, mit der die Carl-Zeiss-Stiftung rund die Hälfte der Baukosten finanziert. Weitere 4 Mio. Euro übernimmt das Land Baden-Württemberg, 300.000 Euro die Universität Hohenheim. Damit unterstützen Carl-Zeiss-Stiftung und Land auch die Bioökonomie-Strategie, den interdisziplinären Schwerpunkt der Universität Hohenheim. Baubeginn könnte bereits Frühjahr 2016 sein.
Als luftig-ätherischer, transparenter Glaspalast – so soll sich das neue Phytotechnikum im Westen des Campus der Universität Hohenheim präsentieren. Im Inneren befindet sich Technik nach aktuellem State of the Art: computergesteuerter Klimaregelung und Bewässerungsautomatik, eine CO2-Düngungsanlage, Feinregelung für Lichtstärke, Luftfeuchtigkeit und Temperatur und variable Beleuchtungstechnik (z.B. Quecksilber-, Natrium- oder Schwefel-Dampflampen).
Durchdacht ist vor allem das Nutzungskonzept: Alle Elemente sind modular. So lassen sich schnell kleine und große Einheiten je nach Versuchsanforderungen zusammenschalten und machen die Forschung flexibler. „Mit diesen hochvariablen Forschungseinheiten schlägt das Phytotechnikum eine Brücke zwischen wissenschaftlicher Grundlagenforschung und Wirklichkeit“, freut sich Prof. Dr. Stephan Dabbert, Rektor der Universität Hohenheim.
Mehr Forschung auf halber Fläche
Dabei reduziert das Phytotechnikum sogar die Unter-Glas-Fläche, auf der die Universität Hohenheim ihre Forschung betreibt. „Raum ist eine knappe Ressource, die wir optimal ausnutzen wollen“, begründet der Rektor.
Zurzeit betreibt die Universität ca. 15 Gewächshäuser – über den ganzen Campus verteilt. Das Forschungsgewächshaus soll langfristig nahezu alle an einem Standort bündeln. 1.360 Quadratmeter umfasst das Phytotechnikum als ersten Bauabschnitt. 5.800 Quadratmeter sollen es später einmal sein. Das ist nicht mal die Hälfte der jetzigen Fläche von 13.000 Quadratmetern.
Die räumliche Nähe wird auch die Forschung beflügeln: „Wenn Wissenschaftler räumlich konzentriert zusammen arbeiten, nimmt der Austausch untereinander zu und es entstehen neue Ideen“, ist sich der Rektor sicher.
Weniger Wasser und weniger Energie
Weniger Raum, weniger Energie, optimales Wassermanagement: auch die Umweltbilanz des Neubaus kann sich sehen lassen.
Vorsichtig geschätzt dürfte das neue Forschungsgewächshaus am Ende pro Quadratmeter um die zwei Drittel weniger Energie verbrauchen. Überschlägig könnte sich dies in jedem Jahr in einer vierstellige Zahl an eingesparten Megawattstunden niederschlagen.
Geheizt wird mit dem eigenen Fernwärmenetz und damit z.T. auch über Kraft-Wärmekopplung. Energieschirme im Innern verringern weitere Energieverluste. Einen zusätzlichen Energiegewinn liefert die geplante Photovoltaik-Anlage auf dem Trakt mit Labor- und Büroräumen.
Regenwasser, das an Stelle des Neubaus nicht mehr versickern kann, fängt die Universität in eigenen Zisternen auf. Das Wasser wird zur Kühlung des Autoklaven verwendet und verringert den Wasserbedarf für die Bewässerung.
Optimale Flächenausnutzung und Perspektive für Staatsschule für Gartenbau
Wert legt die Universität auf die optimale Flächenausnutzung. Der Neubau soll sich deshalb so nah wie möglich an die Grenze des Flächennutzungsplanes anschmiegen.
Der Grund: Die Fläche nördlich des Gebäudes soll als Entwicklungskorridor für die Staatsschule für Gartenbau dienen. Je nach weiterer Entwicklung sind hier ein Schulgebäude und Lehrgewächshaus möglich.
Bis zum Sommer 2015 waren Staatsschule und Universität noch verbunden gewesen. Seit 1.9.2015 sind beide Organisationen klar getrennt. „Mit diesem Entwicklungskorridor halten wir der befreundeten Lehranstalt die Zukunftsoptionen offen, dies ist im Interesse aller Beteiligten“, erklärt Prof. Dr. Dabbert.
Möglicher Baubeginn im April, mögliche Bauzeit rund zwei Jahre
Intern sind die Planungen bereits in einem fortgeschrittenen Stadium.
Die Absichtserklärung der Carl-Zeiss-Stiftung, 4 Mio. Euro für das Forschungsgewächshaus zu spenden, hatte die Universität Hohenheim bereits 2014 erhalten. Um das Geld freizugeben, war allerdings erst ein Beschluss des Landtages von Baden-Württemberg zum Gesamthaushalt 2015 notwendig.
Am kommenden Dienstag berät der Ausschuss für Umwelt und Technik der Stadt Stuttgart über den „Masterplan 2030“. Darin haben Stadt, Land und Universität die baulichen Perspektiven für die Universität fixiert – darunter auch das geplante Phytotechnikum.
Sollten keine weiteren Verzögerungen eintreten, könnten die Bauarbeiten bereits im April 2016 beginnen. Und zwei Jahre später könnten Spaziergänger und Passagiere der U-Bahn-Linie 3 bereits den gläsernen Forschungspalast in der Sonne glitzern sehen.
Hintergrund Bioökonomie
Neue Lebens- und Futtermittel (z.B. aus Algen), Energie aus Ernteabfällen, Chemikalien und Kunststoffe aus Pflanzen: Die Bioökonomie eröffnet Wege zu neuen Produkten, neuen Produktionsverfahren und zu einer modernen, nachhaltigen Wirtschaft. Denn ihre Rohstoffe sind bio-basiert, das heißt, sie stammen von Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen. Auch bei der Pflanzen- und Tierproduktion nutzt die Bioökonomie biologische Prozesse, die nachhaltiger, energie- und ressourcenschonender sind.
Um sich durchzusetzen, benötigt die Bioökonomie ein hohes Maß an Forschung, Innovation und einen grundlegenden Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei steht Ernährung in der Bioökonomie an erster Stelle. Auch Klimaschutz, Gesundheit und Artenvielfalt sind wichtige Inhalte.
Die Universität Hohenheim hat die Bioökonomie zum Schwerpunkt von Forschung und Lehre gemacht. Einzigartig in Deutschland besitzt sie die umfassende Expertise, um die gesamte Wertschöpfungskette der Bioökonomie abzudecken. Dazu arbeiten Agrar-, Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaftler Hand in Hand mit Physikern, Biologen und Biotechnologen sowie Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern.
Text: Klebs