Aromawunder:
Geschmacklich ist das Urkorn Dinkel noch lange nicht ausgereizt [13.06.16]
Mehr Geschmack & Ertrag: Testmarathon von Handwerkern und Forscher der Universität Hohenheim weist Weg zu neuen Zuchtzielen für das Traditionsgetreide
Würzig, zimtig, nussig: so variantenreich können Dinkelkreationen munden. Doch bislang haben Züchter das Aroma zu sehr zugunsten des Ertrags vernachlässigt, so die Kritik von Saatgutforschern der Universität Hohenheim. Mit einem zweitägigen Back- und Verkostmarathon belegte PD. Dr. Friedrich Longin zusammen mit Bäckern und Müllern jetzt, wie vielfältig der Dinkel heute schon ist und welch hohes Genusspotential sich durch gezielte Zucht in dem traditionellen Getreide noch freilegen lässt. Die gute Nachricht: Geschmack, Ertrag und gute Backqualität sind nach dem Testergebnis kein Widerspruch. Übrigens: Noch mehr Forschungsergebnisse, Austausch mit Handwerkern und alte Getreidearten samt Produkten gibt es auf dem Feldtag mit Pressekonferenz am 6. Juli 2016 an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Pressemitteilung mit Programm: www.uni-hohenheim.de/presse
Römerstein auf der schwäbischen Alb: In der Backstube vom Beckabeck herrscht quirlige Geschäftigkeit. Wo sonst alles von der Apfeltasche bis zum Zwiebelbaguette hergestellt wird, regiert heute nur der Dinkel. In zwei Tagen werden hier 30 verschiedene Sorten gemahlen, gerührt, geknetet und verbacken – im Dienste der Wissenschaft und des guten Geschmacks.
Backen im Akkord, darauf ist die Backstube der großen Handwerksbäckerei ausgelegt. Heute wuseln hier nicht nur Bäcker zwischen glänzenden Maschinen: Sie teilen sich den Raum mit Müllern aus Bad Wurzach und Römerstein. Und noch einer legt Hand an: Getreide-Experte Dr. Longin von der Universität Hohenheim. Testen, müllern, backen und verkosten: Was sonst an getrennten Orten stattfindet, geht heute Hand in Hand.
In Bäcker Heiner Beck und Müller Hermann Gütler hat Saatgutforscher PD Dr. Longin zwei Gleichgesinnte gefunden. Die Fragen, die sie umtreiben: Unterscheiden sich gängige Dinkelsorten im Aroma? Wie wirken sich Klima und Boden auf das Odeur des Urkorns aus? Lassen sich guter Geschmack, guter Ertrag und gute Backeigenschaften vereinen?
Eine Versuchsmühle, drei Knetmaschinen – und eine Nacht voller Erwartungen
Vor dem Fenster arbeitet die Versuchsmühle, mahlt je zwei Kilogramm Mehl von jeder Dinkelsorte. Nach jeder Dinkelladung reinigt sich das Gerät automatisch. Denn: die verschiedenen Sorten dürfen sich nicht vermischen.
Auf dem Tisch daneben stehen drei Knetmaschinen bereit und verarbeiten die Dinkelmehle mit Wasser, Hefe und Salz zu Brotteig. Der wird erst von Hand auf seine Festigkeit und Dehnbarkeit hin getestet, dann in Kastenformen in den Backofen geschoben. Wenn das letzte Blech aus dem Ofen kommt heißt es: Warten. Allerdings nur bis zum nächsten Tag – dann werden die Dinkellaibe verkostet.
Geschmack wurde in der Zucht zu lange vernachlässigt
Geschmack ist ein Faktor, der nach Meinung von Dr. Longin, Leiter der Weizenabteilung an der Landessaatzuchtanstalt in Hohenheim, in der Zucht mehr Aufmerksamkeit verdient: „Getreidezüchter achten derzeit vor allem auf eines: Mehr Ertrag. Der Größe der Getreidekörner und deren Stärkegehalt wird dabei mehr Bedeutung beigemessen als dem Geschmack des Mehls und der daraus gebackenen Produkte.“
Seine Vision: Das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. „Unser Test sollte auch zeigen, ob sich Geschmack und Ertrag bei den bisherigen Sorten gegenseitig ausschließen. Denn das wäre ein Hinweis, dass sich die Kombination genetisch ausschließt und nicht gezüchtet werden kann“. Um ein Ergebnis jetzt schon vorweg zu nehmen: dem ist nicht so.
Kooperation zwischen Forschung und Handwerk
Für den Geschmackstest liefert Getreideforscher Dr. Longin die benötigte Sortenvielfalt von Testfeldern der Universität in Hohenheim und Schwäbisch Hall. Bäcker Beck stellt seine Backstube zur Verfügung. Und Müller Gütler kauft eigens eine Versuchsmühle für 25.000 Euro. Seine große Mühle ist für Mehlmengen im Tonnenbereich ausgelegt, für den heutigen Vergleich werden aber viele kleine Mengen sortenreines Mehl benötigt.
Das Pilotprojekt ist ihm die Investition wert: „Als Müller möchte ich innovative Landwirte mit innovativen Bäckern zusammenbringen. Dafür brauche ich mehr Wissen, auch über weniger gängige Getreidesorten.“
Würzig, zimtig, nussig: Variationen bei Geschmack und Geruch
Vor dem Brottest am nächsten Morgen müssen die Dinkelkenner jedoch Geduld beweisen: Vor dem Geschmack werden erst einmal Erscheinungsbild und Geruch getestet. Die Tester halten sich dabei streng an die Kriterien der DLG zur Brot-Beurteilung.
Das die Sorten recht unterschiedliche Ergebnisse liefern, lässt sich jedoch schon auf den ersten Blick erkennen. Zwar hat die stabilisierende Kastenform dafür gesorgt, dass die Brote in ihrer Größe nicht sehr voneinander abweichen. Im Bräunungsgrad jedoch schon: Von hellem gold- bis zu knusprigem mittelbraun reicht die Färbung der Brotkrusten.
Auch in der Festigkeit unterscheiden sich die Brote. Nach Begutachtung werden die Brotlaibe angeschnitten und das sogenannte Krumenbild untersucht: Ist die Schnittfläche glatt oder uneinheitlich, gibt es Luftblasen oder ist das Innere des Brotes etwa zu fest? All diese Kriterien werden erfasst, bevor es ans Riechen und Schmecken geht.
Hier erleben die Tester die größte Überraschung: von fade und trocken bis hocharomatisch decken die Testbrote das ganze Spektrum an Geschmacksintensität ab. „Die Brote einiger Sorten schmecken und riechen würzig, zimtig oder nussig. Auch Röstaromen wie von Malz oder Kaffeebohnen lassen sich ausmachen“, fasst Heiner Beck die Ergebnisse zusammen. „Einige Sorten schmecken sogar intensiv nach Hefe, obwohl alle Rezepte die gleiche Menge Hefe beinhalten.“
Nach Geschmack züchten wäre möglich
Den Grund für die Unterschiede vermutet Dr. Longin im Genmaterial der Sorten. „Eine Korrelation zwischen Anbauort und Geschmack konnten wir nicht feststellen. Umwelteinflüsse oder auch die Art der Verarbeitung haben also einen geringeren Einfluss als bisher angenommen.“
Und: es gibt keine zwingenden Zusammenhang zwischen Ertrag, Backeigenschaften und Geschmack, betont Dr. Longin: „Züchter könnten verstärkt auf geschmacksintensive Sorten setzen, ohne dabei Einbußen beim Ertrag in Kauf nehmen zu müssen.“
Der Getreide-Experte ist jedoch skeptisch, ob der Getreidemarkt diese Möglichkeit annehmen wird. „Die Landwirte werden primär nach Masse bezahlt. Für die Mehlpreise ist Geschmack leider kein relevantes Kriterium.“ Hier können die Verbraucher helfen: Indem sie Bereitschaft zeigen für geschmacklich hochwertige Produkte auch mehr zu bezahlen.
Weiterhin Spezialsorten im Blick
Mit dem Backmarathon ist der Wissensdurst der Projektpartner noch lange nicht gestillt. Müller Gütler wird mit seiner Kleinmühle weiter eigene Versuche machen und seltene Getreidesorten in kleineren Mengen verarbeiten. Das Experiment hat sich für ihn gelohnt: „Als Bindeglied zwischen Landwirtschaft und Handwerk ist es für mich wichtig mein Fachwissen beständig zu erweitern. Kooperationen wie diese sind dafür der perfekte Rahmen.“
Heiner Beck will die neugewonnenen Erkenntnisse in seiner Backstube weiter ausbauen, zum Beispiel durch Experimente mit der Verarbeitungszeit des Teiges, um das Maximum an Geschmack aus den Spezialsorten zu holen: „Ich bin es meinen Kunden schuldig, die Rohstoffe meiner Backwaren gut zu kennen. Dafür suche ich fortlaufend nach regionalem Qualitätsgetreide mit guten Back- und Geschmackseigenschaften.“
Auch für Dr. Longin ist das Thema Dinkel nicht abgehakt: Seit Frühjahr diesen Jahres ist er in Kooperation mit einem Backlabor dabei, die Backeigenschaften von 200 Dinkelsorten zu testen und dabei auch genetische Merkmale der Sorten genauer zu betrachten. Im Sommer soll das von der Universität Hohenheim eigenfinanzierte Projekt abgeschlossen sein.
SAVE THE DATE:
Feldtag mit Pressekonferenz zu Urgetreide am 6. Juli 2016 in Stuttgart
Sie faszinieren Wissenschaftler und Verbraucher gleichermaßen: Die alten Getreidearten Einkorn, Emmer & Dinkel erhöhen die Sehkraft, senken Cholesterin, lassen sich zu schmackhaftem Bier brauen und haben ihr Zuchtpotential hinsichtlich Geschmacks- und Ertragspotential längst nicht ausgereizt. So lauten einige der Forschungsergebnisse der vergangenen Monate, die Saatzucht-Experte PD Dr. Friedrich Longin von der Universität Hohenheim in Stuttgart auf dem Feldtag vorstellt. Mitveranstalter ist der Landesinnungsverband für das württembergische Bäckerhandwerk e.V.. Ein Pflichttermin für Landwirte, Züchter, Müller, Bäcker, Brauer, Nudelproduzenten und andere Liebhaber: mit Feldbesichtigung, praktischem Austausch und viel Networking. Pressemitteilung mit Programm: www.uni-hohenheim.de/presse
Text: Barsch / Klebs
Kontakt für Medien:
PD Dr. Friedrich Longin, Universität Hohenheim, Leiter Weizenzüchtung und -forschung der Landessaatzuchtanstalt Hohenheim
T 0711 459-23846, E friedrich.longin@uni-hohenheim.de