Sie forscht, wie Nahrungsmittel wirken  [15.08.24]

Ihre Passion ist die menschliche Ernährung, obwohl sie lange auch zur Tierernährung geforscht hat: Prof. Dr. Katrin Giller leitet seit Oktober 2023 das Fachgebiet Molekulare Ernährungswissenschaft an der Uni Hohenheim. Hier schätzt sie auch die Möglichkeit von Kooperationen mit den Agrarwissenschaften.


In ihrem Fokus stehen die Wirkungen von Lebensmitteln und individuellen Lebensmittelinhaltsstoffen auf den Menschen – von Effekten der Ernährung der Eltern auf die Nachkommen bis hin zur Wirkung von alternativen Proteinquellen wie der Mikroalge Spirulina.

Frau Giller, das frühere Fachgebiet Ernährungswissenschaft hat mit Ihnen den Zusatz „molekular“ erhalten. Was hat sich geändert?

Wir untersuchen nicht nur, was die Ernährung mit dem Menschen macht, sondern auch, wie die Ernährung auf molekularer Ebene wirkt. Das heißt, wir betrachten nicht die Ernährungsweise im Allgemeinen, sondern spezifische Molekülgruppen und deren Effekte auf der zellulären und molekularen Ebene des Körpers. Unsere Forschung konzentriert sich also auf einzelne Substanzen und deren spezifische Wirkungen z.B. auf die Aktivität von Genen.

Warum haben Sie sich gerade diesem Thema zugewandt?

Ich finde das Leben generell faszinierend, und insbesondere wie der menschliche Körper funktioniert. Er ist ein komplexes System aus vielen Zellen und Prozessen, die koordiniert werden müssen, um das Gesamtsystem möglichst lange funktionstüchtig zu halten. Und es ist spannend zu sehen, wie gut der Körper das schafft und welche Rolle einzelne Moleküle dabei spielen.

Wie sind Sie nach Hohenheim gekommen?

Mein Weg war nicht ganz geradlinig. Am Ende der Schulzeit hatte ich viele Interessen und suchte nach einem Fach, das mehrere Disziplinen kombiniert. So stieß ich auf Ökotrophologie, das ich dann in Kiel studiert habe. Das Studium fand ich spannend, nur die betriebswirtschaftlichen Inhalte haben mich weniger interessiert. So habe ich mich frühzeitig auf die rein ernährungsphysiologischen und lebensmittelwissenschaftlichen Themen fokussiert und in diesem Bereich auch in Kiel promoviert.

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Nach der Promotion wollte ich dann eigentlich irgendwohin, wo ich meine Sprachkenntnisse in Englisch und Spanisch anwenden und verbessern konnte. Aber dann kam mir der Zufall zu Hilfe: Bei einer Suchmaschine hatte ich ein Häkchen falsch gesetzt und fand so einen Job an der ETH Zürich, zunächst drei Jahre im Bereich Tierphysiologie und danach in der benachbarten Gruppe für Tierernährung. Obwohl ich eigentlich weder in diesem Themenbereich arbeiten noch in die Schweiz wollte, stellte sich das als Glücksfall heraus: Denn dort lernte ich Nutztiere wie Rinder und Schweine als Modelltiere zur Untersuchung von Ernährungseffekten beim Menschen zu nutzen. Obendrein verstand ich mich sehr gut mit dem dortigen Professor Michael Kreuzer.

In dieser Zeit habe ich aber auch zu nachhaltiger Tierernährung geforscht, zum Beispiel zur Senkung von Treibhausgasemissionen durch den Einsatz von Nebenprodukten der Lebensmittelindustrie als funktionelle Futtermittel, was wiederum auch zur Nachhaltigkeit der menschlichen Ernährung beiträgt.

Prof. Kreuzer war es auch, der anregte, dass ich über eine Professur nachdenken solle. Schließlich hatte ich dann drei Professuren zur Auswahl, darunter Hohenheim. Diese Erfahrung zeigte mir, dass es gut ist, auch Dinge zu tun, die man zunächst nicht angestrebt hat. Denn so kann man neue interessante Themen für sich entdecken.

Warum haben Sie sich dann für Hohenheim entschieden?

Ich wollte letztlich doch wieder in die Humanernährung und die anderen beiden Professuren waren im Nutztierbereich angesiedelt. Hohenheim ist sowohl in den Ernährungs- als auch Agrarwissenschaften sehr stark, was ein breites Spektrum an Kooperationen ermöglicht. Zudem mag ich den Campus sehr.

Mit welchen Forschungsthemen beschäftigen Sie sich im Augenblick?

Ein großer Bereich ist der Effekt der Ernährung der Eltern auf den Stoffwechsel der Nachkommen, also die sogenannte ernährungsinduzierte metabolische Programmierung. Wir untersuchen Lebensmittelinhaltsstoffe wie bioaktive Substanzen aus dem Bereich der sekundären Pflanzenstoffe oder Fettsäuren.

Oder auch alternative Proteinquellen wie die Mikroalge Spirulina. Sie wird hierzulande hauptsächlich als Nahrungsergänzungsmittel verwendet und soll gesundheitsfördernde Eigenschaften haben, wobei Studien am Menschen dies noch nicht eindeutig belegen konnten.

Machen Sie dazu auch Versuche mit Tieren?

Ja, ohne Tierversuche funktionieren detaillierte generationsübergreifende Untersuchungen nicht. In Zürich haben wir Versuche mit Schweinen gemacht, da diese z.B. in Bezug auf Anatomie und Physiologie des Verdauungstraktes dem Menschen ähnlicher sind als Mäuse. Letztere sind durch die kürzere Tragezeit bei generationenübergreifenden Versuchen dann wiederum von Vorteil, wenn man nicht mehrere Monate auf die Nachkommen warten möchte. Die Schweine bekamen Spirulina zum einen als Supplement und zum anderen als Proteinquelle, und wir untersuchten jeweils die Effekte auf Trächtigkeit, Laktation und Stoffwechselparameter der Nachkommen. In der Ernährungsforschung sind Tiere als Modelle außerdem wichtig, da Humanstudien äußerst schwer kontrollierbar sind. Doch Tiere „schummeln“ nicht, sie können nur das fressen, was man ihnen gibt.

Fachgebiet Molekulare Ernährungswissenschaft

Prof. Dr. Katrin Giller leitet seit 1.10.2023 das Fachgebiet in der Fakultät N. Die Bezeichnung änderte sich von „Ernährungswissenschaft“, nachdem ihre Vorgängerin Prof. Dr. Melina Claussnitzer an das Broad Institute of MIT and Harvard wechselte. mehr


Ein weiteres Forschungsfeld sind die Auswirkungen der Ernährung auf das Milieu im Reproduktionstrakt, insbesondere die Follikelflüssigkeit im Eierstock. Eizellen sind empfindlich gegenüber oxidativem Stress, und wir möchten sehen, wie eine Veränderung der Antioxidantien die Qualität der Eizelle und den Stoffwechsel der Nachkommen, auch schon im embryonalen Stadium, beeinflusst. Im Moment beziehen wir für unsere Forschung Rinder-Eierstöcke aus dem Schlachthof und gewinnen daraus Follikelflüssigkeit und Eizellen. Doch langfristig wollen wir eine Biobank mit humaner Follikelflüssigkeit aufbauen, da diese in Kinderwunschkliniken oft quasi als Abfallprodukt anfällt und gezielt genutzt werden kann.

Bei einem anderen Forschungsthema geht es um den Fettstoffwechsel. Wir untersuchen die Rolle von Transportproteinen, den Lipocalinen. Das sind Proteine, die fettlösliche Moleküle durch den Körper transportieren. Für einzelne Lipocaline wurde ein Zusammenhang mit Adipositas nachgewiesen, aber hierzu ist noch viel Forschung nötig.

Wie sieht der Praxisbezug Ihrer Forschung aus?

Nehmen wir die Fertilität als Beispiel: Sie nimmt bei Frauen und Männern seit Jahren ab. Wir müssen herausfinden, über welche Mechanismen die Ernährung als einer der beitragenden Umweltfaktoren hier sowohl negativ als auch positiv modulieren kann. Außerdem wissen wir über die Zusammensetzung von Follikelflüssigkeit, Eileiter- und Uterussekret einfach noch wenig. Doch das ist wichtig, um diese Bedingungen auch in vitro genau nachstellen zu können, damit sich auch in vitro erzeugte Nachkommen optimal entwickeln können.

Können sich Studierende an Ihren Forschungsprojekten beteiligen?

Ja sicher, die Studierenden sind schon fleißig dabei. Wir betreuen experimentelle Bachelor- und Masterarbeiten und bieten derzeit zwei Humboldt reloaded-Projekte an. Bei einem geht es um die Follikelflüssigkeit, das andere beschäftigt sich mit der Analyse des Vitamingehalts von proteinreichen Lebensmitteln. In diesem Projekt optimieren die Studierenden eine Methode für die Probenaufarbeitung, und ich habe einen tollen Mitarbeiter, der das Projekt betreut.

Was ist gute Lehre?

Gute Lehre muss die Studierenden dabei unterstützen, sich Wissen anzueignen und funktioniert am besten, wenn sie praxisbezogen ist und die neuesten Forschungsergebnisse, auch die eigenen, einbezieht. Das spricht Studierende an. Und Lehrveranstaltungen sollten ein sicherer Raum sein, in dem jede Frage erlaubt ist und kritisches Denken sowie Diskussionen gefördert werden.

Wie lautet Ihr Tipp für ein erfolgreiches Studium?

Studieren Sie, was Sie interessiert, und denken Sie nicht nur strategisch. Hören Sie sich auch Vorlesungen an, von denen Sie zunächst denken, dass sie Sie nicht interessieren, um über den Tellerrand zu schauen. Und halten Sie durch, auch wenn es schwierig wird.

Eine letzte Frage: Was machen Sie, wenn Sie gerade nicht arbeiten?

Ich gehe gerne ausgedehnt spazieren, am liebsten am Meer – in Kiel war der Strand um die Ecke. Ich reise auch gerne, was sich gut kombinieren lässt. Zudem tanze ich sehr gerne und möchte, wenn die Zeit es zulässt, meine langjährige Aktivität im Turniersport der lateinamerikanischen Tänze wiederaufnehmen.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Giller!

Interview: Elsner/Klebs


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