Nachgefragt: Kühlkreislauf  [31.03.23]

Klimaneutrale Hochschulen bis 2030 – wenn dieses ehrgeizige Ziel des Landes tatsächlich Wirklichkeit werden soll, sind in Hohenheim eine ganze Reihe von Modernisierungen und Sanierungen notwendig. Neben der Heizungsanlage ist dabei die Kälteversorgung ein zentraler Punkt. Studierende des Arbeitskreises Nachhaltigkeit (AKN) und des AStA-Umweltreferats haben sich bei einem Rundgang zeigen lassen, wo aus Sicht der Uni die Probleme liegen, was bisher erreicht wurde und welche Schritte jetzt notwendig sind. Der Online-Kurier war dabei.


Studierende des AKN und des AStA sind Teil der erweiterten Task Force Energie, die sich an der Uni Hohenheim mit dem Thema Energiesparen beschäftigt. Wolfgang Lutz von der Betriebstechnik zeigte den Studierenden Anfang des Jahres vor Ort einige der größten technischen Probleme, die die Uni beim Energiesparen behindern. Teil 1 der Tour befasste sich mit dem Fernwärmenetz. Der Online-Kurier berichtete: Zum Artikel…

Die Temperatur eines Raums um 1 Grad abzukühlen verbraucht etwa 3-4-mal mehr Primärenergie als sie um 1 Grad zu erwärmen. Deshalb sind die meisten Gebäude auf dem Campus nicht klimatisiert. In Laboren, Serverräumen und großen Hörsälen im Biologiegebäude ist eine Kühlung aus baulichen und betrieblichen Gründen jedoch unverzichtbar.

Auf der Energie- und Wasserrechnung der Universität schlägt das kräftig zu Buche. Grund dafür ist nicht zuletzt die Uralt-Technologie aus den 1970er Jahren. Um das zu veranschaulichen, führt Wolfgang Lutz die Studierenden auf das Dach des Biologiegebäudes.

„Hier sehen Sie zwei echte Dinosaurier“, sagt Lutz und deutet auf die beiden alten Kühltürme. „Dieselbe Technik kommt z.B. auch in Atomkraftkraftwerken zum Einsatz. Dort müssen riesige Mengen Wasser gekühlt werden. Für ein Gebäude wie dieses hier gibt es heute jedoch wesentlich bessere Lösungen.“

 

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Die Kühltürme auf dem Dach des Biologiegebäudes sind technisch nicht mehr auf dem Stand der Zeit.


Die Funktion der Kühltürme im Kühlkreislauf des Gebäudes erklärt Lutz wie folgt:

  • Die Kühltürme sind nicht direkt für die Kühlung der Räume zuständig, sondern dafür, dass die großen Kältemaschinen im Keller des Biologiegebäudes nicht überhitzen („Rückkühlkreislauf“). Denn wenn man mit einem Kompressor Kälte erzeugt entsteht dabei viel Abwärme. Das ist z.B. auch der Grund, warum sich Kühlschränke von außen auf der Rückseite oft warm anfühlen.
  • Um die Abwärme abzuführen, wird sie mittels eines Wärmetauschers an einen Wasserkreislauf abgegeben.
  • Das erwärmte Wasser wird dann aus dem Keller des Biologiegebäudes mit großen Pumpen ca. 30 m in die Höhe gepumpt – zu den Kühltürmen auf dem Dach. Hier verdunstet ein Teil des Wassers durch Kontakt mit Außenluft und ein Teil wird abgeschlammt.
  • Die Verdunstung bewirkt eine Abkühlung. Anschließend kann das Wasser wieder zu den Kältemaschinen im Keller zurückfließen und der Kreislauf beginnt von vorne.
  • Die Räume des Biologiegebäudes selbst werden über einen zweiten Wasser-Kreislauf mit Kälte versorgt. Die Abkühlung dieses Wassers erfolgt durch den Verdampfungsprozess der Kältemittel in den Kältemaschinen.
  • Im Maschinenraum des Biologiegebäudes gibt es eine große Kältemaschine (1,5 MW Leistung) und eine kleinere (800 kW). Je nach Kältebedarf werden die Maschinen kombiniert oder einzelnen eingesetzt.
  • Aufgrund eines Baumangels kann die Kälteleistung derzeit allerdings nicht zu 100% abgerufen werden. Um Spitzen abzudecken muss die Uni deshalb seit 2018 auf eigene Kosten eine mobile Miet-Kältemaschine (800 kW) hinterm Biogebäude in Bereitschaft vorhalten.


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Der Maschinenraum im Keller des Biologiegebäudes ist das Herz des Kältekreislaufs.

Neue Technik könnte mehrere Millionen Liter Wasser sparen


„Das Problem: Durch den Kontakt mit der Außenluft haben wir bei der Rückkühlung ein offenes System“, erklärt Lutz und demonstriert dies durch Öffnen einer Luke am Kühlturm.

„Das bedeutet unter anderem, dass wir aufwendig dafür sorgen müssen, dass das Wasser nicht durch Bakterien verunreinigt wird. Zum einen erreichen wir das durch den Zusatz von Chemikalien, zum anderen durch eine stetige Zufuhr von frischem Trinkwasser. Im Jahr verbrauchen wir allein für die Kühlung des Biologiegebäudes 5.000 m³ - 7000 m³ Wasser, das sind 5-7 Millionen Liter“, so Lutz.

Eine zeitgemäße Rückkühlung mit geschlossenem Kreislauf könnte den Wasserverbrauch um 60 – 80% senken, ebenso den Chemikalieneinsatz und den Wartungsaufwand, schätzt der Leiter der Hohenheimer Betriebstechnik. Auch die Pumpen im Keller würden deutlich weniger Energie benötigen.

Die immense Ersparnis ist möglich, weil in einem geschlossenen System Luft statt Wasser zur Rückkühlung verwendet werden kann. Um die Verdunstungskälte zu erhalten, genügt es, dem Kreislauf geringe Mengen Wasserdampf zuzuführen. Nur an heißen Tagen müsste die Anlage auf einen aufwändigeren Kühlprozess mit größeren Wassermengen umgestellt werden.

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Das Rückkühlsystem im Biologiegebäude ist ein offener Kreislauf. Das führt zu hohem Wasser- und Energieverbrauch.

„Mit einer einmaligen Investition könnten die jährlichen Betriebskosten der Rückkühlung von derzeit rund 50.000 - 70.000 Euro um 60 - 80 Prozent gesenkt werden. Dabei ist unsere tägliche Arbeitsersparnis im Team der Betriebstechnik noch gar nicht berücksichtigt. Die jetzige Anlage muss täglich ca. 1-2 Stunden manuell kontrolliert und eingestellt werden. Dies ließe sich bei einer modernen Anlage fast vollständig automatisieren. Da wir aufgrund des Fachkräftemangels chronisch unterbesetzt sind, wäre das eine enorme Entlastung“, so Lutz.

Gemeinsam achtsam

Die Uni rechnet mit Mehrkosten in Millionenhöhe für Strom und Gas im Jahr 2023. Um Kosten zu reduzieren und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, soll der Energieverbrauch mindestens um 10 % sinken. Dafür ist die Mithilfe aller Uni-Angehörigen wichtig. Unter dem Motto „Gemeinsam achtsam“ berichtet der Online-Kurier über Energiesparmaßnahmen, Tipps und Hintergründe

Wenig Anreiz für Umsetzung

Im Vergleich zu anderen Energiesparmaßnahmen, wie z.B. der Sanierung des Fernwärmenetzes, wäre die Installation eines neuen Rückkühlsystems aus Sicht des Hohenheimer Fachmanns zudem technisch relativ zeitnah zu realisieren.

Warum also wurde eine Maßnahme wie diese nicht schon längst umgesetzt? Kanzlerin Dr. Katrin Scheffer sieht darin ein weiteres Beispiel für einen grundsätzlichen Missstand:

„Jeder Bauherr, der selbst von den positiven Effekten profitiert, würde eine solche Maßnahme mit hoher Priorität vorantreiben. Im Hochschulbau ist das aber leider anders. Baumaßnahmen werden vom Finanzministerium finanziert und durchgeführt. Die Energie- und Betriebskosten tragen wir als Universität aus unserem Budget, das dem Ressort des Wissenschaftsministeriums zugehörig ist. Durch diesen Systemfehler sind auch energetische Sanierungen in den letzten Jahrzehnten viel zu kurz gekommen“, resümiert Scheffer.


Baumangel führt zu erheblichen Mehrkosten

Die verworrenen Zuständigkeiten führen derzeit aber noch zu weiteren Problemen: Bei einer Sanierung des Rückkühlkreislaufs im Jahr 2018 wurden Rohre mit einem Durchmesser von 25 cm verlegt - statt 30 cm wie eigentlich erforderlich. Durch diesen Baumangel kommt weniger Kühlwasser bei den Kältemaschinen an, weshalb diese an heißen Tagen zu überhitzen drohen.

„Der Baumangel wurde inzwischen durch ein externes Gutachten bestätigt. Obwohl wir als Universität dafür nicht verantwortlich sind, müssen wir seit 6 Jahren eine zusätzliche mobile Mietkältemaschine hinter dem Biogebäude in Bereitschaft vorhalten. Die Kosten dafür fallen voll zu Lasten der Universität. Das leuchtet uns nicht ein“, so die Kanzlerin.

Das Amt für Vermögen und Bau plant nun den Einsatz einer leistungsstärkeren Pumpe, um das Problem zu lösen.

 

Erster Winter ohne Kältemaschine

Dass es grundsätzlich auch anders geht, hat die Universität 2013 gemeinsam mit einem externen Investor bewiesen.

Stolz führt Wolfgang Lutz die Studierenden näher zu einem Kühlturm, der so umgerüstet wurde, dass er an kalten Wintertagen auf den Modus „freie Kühlung“ umschalten kann: „Ist es draußen kalt genug, also 5 Grad oder kälter, wird die Außenluft mittels eines Wärmetauschers direkt zur Kühlung des Gebäudes genutzt“, erklärt Lutz.

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Freie Kühlung nur mit Außluft spart im Winter viel Energie.


Mit der freien Kühlung allein lässt sich im Gebäude allerdings nur eine Kühlleistung von etwa 200 kW erzielen. In den vergangenen Wintern lag die Grundlast jedoch bei rund 250 - 270 kW. Das heißt: eine Kältemaschine musste stets zur Ergänzung weiterlaufen.

„Im Zuge der aktuellen Energiesparbemühungen hat es sich unser MSR-Techniker, Herr Florian Siegle, gemeinsam mit unserem Team zur Aufgabe gemacht, verschiedenste Möglichkeiten zu prüfen, wie wir den Kältebedarf im Bio-Gebäude senken können. Ziel war es, unter die 200 kW-Grenze kommen, damit wir auf die Kältemaschinen verzichten können. Beispielsweise werden einige ehemalige Labore jetzt als Büros genutzt und benötigen entsprechend weniger Kühlung. Außerdem konnten wir einige Einstellungen an der Anlage optimieren. Das Projekt war ein großer Erfolg: In diesem Winter konnten wir den Kältebedarf erstmals komplett über die freie Kühlung decken!“, freut sich Lutz.

Möglich wurde die Installation der freien Kühlung durch ein sogenanntes Energiespar-Contracting. Ein externer Investor stellte der Uni Hohenheim zwischen 2013 und 2019 insgesamt 4,5 Millionen Euro für verschiedene Maßnahmen zur Verfügung, die sich in den Folgejahren aus den Einsparungen selbst refinanzierten.


Weichen stellen für klimaneutrale Uni

„Grundsätzlich hätten wir großes Interesse, ein ähnliches Verfahren zu wiederholen“, betont Kanzlerin Dr. Katrin Scheffer. „Allerdings haben wir in der ersten Runde des Energiespar-Contractings bereits alle Maßnahmen realisiert, die einfach umzusetzen sind und sich schnell amortisieren. Für die nun anstehenden, etwas komplexeren Maßnahmen müsste die Kooperation über das Land laufen. Aufgrund fehlender personeller Kapazitäten werden solche Projekte dort aber derzeit nicht vorangetrieben.“

Klar ist jedoch: Wenn die Ankündigung des Landes, bis 2030 alle Hochschulen CO2-neutral zu machen, mehr als ein Lippenbekenntnis sein soll, müssen die Weichen dafür jetzt schnell gestellt werden. Die Uni-Leitung in Hohenheim fordert deshalb vom Land einen technischen Masterplan, wie genau das Ziel erreicht werden soll.

„Inzwischen ist etwas Bewegung in die Sache gekommen“, freut sich Scheffer. „Das Land will bis zum Herbst eine Machbarkeitsstudie zur Modernisierung unseres Heizwerks erstellen. Das begrüßen wir sehr und unterstützen nach Kräften. Wichtig ist aus unserer Sicht jedoch, auch mögliche Alternativen zu prüfen, zum Beispiel ob wirklich alle Bereiche über ein zentrales Heizwerk bedient werden sollten. Außerdem sollten von Anfang an alle Energiesektoren gemeinsam betrachtet werden, also z.B. auch das Kältesystem. Denn Lösungen müssen sektorübergreifend aufeinander abgestimmt werden und möglicherweise können z.B. beim Thema Kälte effektive Maßnahmen, wie eine moderne Rückkühlung, noch schneller umgesetzt werden.“

Text: Leonhardmair


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