Er gräbt nach den Ursprüngen des Lebens [26.01.23]
Vier Milliarden Jahre – das ist der Zeitraum, den Prof. Dr. Rainer Schoch bei seiner Forschung im Blick hat. Der Paläontologe untersucht Gesteine und Fossilien aus prähistorischer Zeit. Und gewinnt daraus Erkenntnisse, die brandaktuell sind – und zum Beispiel zu einem besseren Verständnis des Klimawandels beitragen.
Ein persönlicher Spagat kommt dem Forscher dabei zugute: Er leitet nicht nur seit 1.10.2020 das Hohenheimer Fachgebiet „Paläontologie“, sondern auch die gleichnamige Abteilung am Stuttgarter Naturkundemuseum. Das eröffnet ihm und seinen Studierenden vielfältige Möglichkeiten.
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Herr Schoch, Sie leiten das Fachgebiet Paläontologie. Was genau machen Sie als Paläontologe – und wozu braucht man die Erkenntnisse aus prähistorischer Zeit heute?
Paläontolog:innen interessieren sich für die großen Zeiträume: Wie verändern sich Arten, Ökosysteme, Lebensräume langfristig? Wie wandelt sich das Klima, und welche Faktoren wirken hier? Natürlich liefern einzelne Forschende nur Puzzleteile, aber die großen Fragen verlangen heute eine so dichte Vernetzung, dass Paläontolog:innen immer häufiger dabei sind.
Hinweis der Redaktion |
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Seit Beginn der Corona-Pandemie war es zeitlich nicht mehr möglich, die traditionellen Willkommensinterviews mit neuen Profs durchzuführen. Nun wird dies in Form einer Serie mit schriftlichen Fragebögen nachgeholt. |
Ein gutes Beispiel ist das Klima: Wir überblicken den Klimawandel derzeit nur über wenige hundert Jahre. Fügen wir das von Paläontolog:innen aufgetürmte Wissen hinzu, dann verlängert sich dieser Zeitraum nicht nur um vier Milliarden Jahre, sondern man beginnt auch, Zyklen zu erkennen, Faktoren zu identifizieren, die Phasen nach einer Klimakatastrophe zu untersuchen – und davon gab es viele. Und natürlich spielt auch das Thema Evolution eine zentrale Rolle, aus dem mein Gebiet nicht wegzudenken ist.
Parallel zum Fachgebiet leiten Sie die gleichnamige Abteilung am Naturkundemuseum Stuttgart. Worin besteht der Vorteil dieser Doppelrolle?
Das Naturkundemuseum bewahrt rund vier Millionen paläontologische Objekte – also Fossilien und Gesteinsproben – auf, die ein Archiv des Lebens darstellen. Mit der Kooperation zwischen Museum und Uni lässt sich dieses Archiv viel besser nutzen: Studierende können hier direkt zugreifen, ihr Wissen in Kursen vor Ort und in Abschlussarbeiten vertiefen, an wissenschaftlichen Grabungen teilnehmen.
Zugleich stehen in der Abteilung neben mir derzeit fünf aktive Wissenschaftler:innen bereit, Projekte zu betreuen und ihr jeweiliges Fachwissen einzubringen. Schließlich ist es auch immer unser Ziel im Museum, spannende Forschungsergebnisse zu präsentieren, und so kann das Museum auch zu einer Bühne für die Forschung an der Uni werden.
Wie war Ihr Weg bis zur Professur in Hohenheim?
Meine erste Begegnung mit Steinen hatte ich als Sechsjähriger, und seit ich 14 war stand mein Berufswunsch fest. Ich habe dann in Tübingen studiert, meine Diplomarbeit über ein geologisches Thema in den argentinischen Anden gemacht, schließlich in Paläontologie promoviert.
Nach einer Assistentenzeit an der HU Berlin kam ich dann an das Naturkundemuseum in Stuttgart, wo ich Ausstellungen organisierte und langjährige Grabungen durchführte. Gerade aus diesen Grabungen ergab sich eine Vielzahl neuer Projekte, die nun auch für Hohenheim von Interesse sind.
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Seit 2012 habe ich zusätzlich im Fachbereich Biologie an der Uni Jena Kurse gegeben und wurde dort 2018 habilitiert. Seit Oktober 2020 leite ich das neue Fachgebiet Paläontologie an der Universität Hohenheim.
Welches grundlegende Rätsel möchten Sie mit Ihrer Forschung lösen?
Vor rund 250 Millionen Jahren ereignete sich die größte uns bekannte Klimakatastrophe. Die Zeit danach – etwa acht Millionen Jahre – war von Mangel geprägt: Unzählige Arten ausgestorben, Lebensräume verwaist, Landstriche unbewohnbar. Wie erholte sich die Biosphäre von diesem Schock? Wie kam es dazu, dass nur wenige Millionen Jahre später völlig neue Lebensräume entstanden waren und nun von den Krisengewinnern besiedelt wurden – darunter die ersten Echsen, Krokodile, Dinosaurier und Säugetiere?
Unsere Grabungen fokussieren auf dieses Zeitfenster und haben viele neue Erkenntnisse gebracht: Zahlreiche neue Arten (darunter die älteste Schildkröte der Welt), fremdartige ökologische Beziehungen, Belege für sich rasch verändernde Lebensräume. Aber der Weg zur Welt der frühen Dinosaurier und Säugetiere liegt noch ziemlich im Dunkeln. Wir wollen das Schloss zu dieser Black Box knacken, also verstehen, wie sich die Lebewelt erholen konnte und was die genannten Tiergruppen zu Gewinnern dieser Krise gemacht hat.
Angenommen, Sie würden über unbegrenzte Mittel und Möglichkeiten verfügen: Welches Projekt würden Sie in Angriff nehmen?
Wir würden die gerade genannte Thematik aufgreifen und vertiefen: Nur durch mehr Grabungen, den Einsatz von Experten aus aller Welt und neuen Methoden können wir hoffen, die Black Box zu öffnen. Unsere Grabungen erschließen Ablagerungen von Flüssen, Seen und Lagunen, die aber meist nur kurzfristige Schnappschüsse aus der damaligen Welt zeigen.
Vertiefen müsste man dies durch das gezielte Besammeln weiterer Orte und Zeitschnitte, um den Übergang in die frühe Dinosaurierzeit in möglichst vielen Schritten zu dokumentieren und verstehen zu können. Wir werden am Ende dadurch nicht nur eine ferne, exotische Welt besser verstehen, sondern gewiss auch ökologische und klimatische Faktoren, die uns heute Kopfzerbrechen bereiten.
Mit welchen Forschungsthemen beschäftigen Sie sich im Augenblick?
Bei unseren Grabungen kamen vielfältige und teilweise sehr fremdartige Amphibien und Reptilien zum Vorschein. Mit meinem Team, in dem Kolleg:innen aus den Niederlanden, Großbritannien, Spanien, Brasilien und den USA beteiligt sind, erforschen wir diese „neuen“, 240 Millionen Jahre alten Arten, analysieren ihre Evolutionsgeschichte, studieren ihren Lebensraum und die Nahrungsnetze, in welche sie eingebettet waren.
Wir schauen dabei auch in den mikroskopischen Bau der Knochen, um Wachstumsraten und Einflüsse der Umwelt zu erfassen. Dazu verwenden wir vielfältige Methoden, die von der Geologie der Ablagerungsgesteine über anatomische Vergleiche und computertomografische Auswertungen bis zur Mikroskopie von Knochenschliffen reichen. Wir binden auch Geochemiker:innen mit ein, die uns anhand der im Knochen erhaltenen chemischen Isotopengemische Auskunft über den Stoffwechsel oder die Nahrungsbeziehungen dieser Arten geben können.
Können sich Studierende an Ihren Forschungsprojekten beteiligen? Gibt es zum Beispiel Hiwi Jobs oder Humboldt reloaded-Projekte?
In dem ersten Jahr haben sich bereits mehrere Bachelor- und eine Masterarbeit ergeben. Die Kandidat:innen waren durch meinen Kurs „Evolution des Lebens“ aufmerksam geworden, und ich habe mich sehr über die vielen Fragen, das Engagement und die guten Ergebnisse bei diesen Arbeiten gefreut. Ich möchte das Programm ausbauen und um Projekte erweitern, die auch in Humboldt reloaded eingebettet werden können. Dabei wird es ab 2022 auch Hiwi Jobs geben. Wir können hier auf das zuvor schon erwähnte reiche Material des Naturkundemuseums zurückgreifen und mit neuen Fragestellungen herantreten.
Was sind die wesentlichen Inhalte Ihres Lehrkonzeptes?
Ich möchte ein ganzheitliches Bild vermitteln, in dem die Paläontologie interdisziplinär eingebunden ist. Leitfragen sind: Wie wurde die Erde bewohnbar und wann entstand das Leben? Warum gab es drei Milliarden Jahre lang fast nur Bakterien und danach erfolgte eine Explosion der höheren Organismen? Welche Stoffkreisläufe prägen die Erdoberfläche und wie haben sie sich langfristig gewandelt? Was bedeutet das für Evolution, Ökosysteme und Klimaentwicklung? Diese Themen behandeln wir in meinem Bachelormodul „Evolution des Lebens“.
Fachgebiet Paläontologie |
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Die Professur Paläontologie ist die zweite gemeinsame Berufung der Uni Hohenheim mit dem Staatlichen Naturkundemuseum Stuttgart (SMNS). Prof. Dr. Rainer Schoch leitet das Fachgebiet seit 1.10.2020 und parallel die Abteilung Paläontologie am Museum. mehr |
In einem Mastermodul für Fortgeschrittene beleuchten wir die Geschichte der Wirbeltiere, da geht es um die ersten Fische, den Gang an Land, die Dinosaurier und die Herausbildung der heutigen Gruppen.
Was bedeutet für Sie gute Lehre?
Lehre muss begeistern, und dazu muss man selbst begeistert sein. Es macht mir große Freude, mein exotisch erscheinendes Fachgebiet in all seinen Vernetzungen darzustellen. Da geht es natürlich um vielfältige Methoden. Dabei lassen sich aber vor allem auch scheinbar ganz einfache Fragen angehen: Woher kommen wir? Wie sahen die ersten Vielzeller aus? Wieso sind die Nachfahren der ersten großen Prädatoren heute mikroskopisch kleine Winzlinge? Wieso unternahmen Fische erste Schritte an Land, und wie kam die Schildkröte zu ihrem Panzer? Warum ist der Spatz näher mit T. rex verwandt als mit dem Alligator, und wieso trugen Dinosaurier Federn? Und natürlich ist die Entstehung des Menschen spannend, denn schließlich beherbergt das Naturkundemuseum einen 300.000 Jahre alten Urmenschenschädel…
Wo arbeiten Ihre Absolventinnen und Absolventen später?
In ganz unterschiedlichen Berufen. Natürlich freue ich mich, einige gute Paläontolog:innen ausbilden zu können. Aber mindestens ebenso wichtig ist es, die Inhalte, von denen ich zuvor gesprochen hatte, allen nahe zu bringen. Denn langfristiger Wandel der Biosphäre und des Klimas gehen uns alle an. Und ich freue mich besonders, wenn frühere Studierende sich melden und sich an die spannenden Diskussionen erinnern.
Welchen guten Rat geben sie den Studierenden mit auf den Weg?
Behalten Sie Ihre Begeisterung, folgen Sie dem eigenen Interesse! Wenn Sie das machen, was Sie am meisten fasziniert, werden Sie Erfolg haben. Flexibilität ist der zweite wichtige Aspekt. Die Forschung ist in so vielen Bereichen global geworden, und man kann nie wissen, wo man landet. Ziemlich sicher ist nur: Wenn man begeistert seinem Interesse folgt, wird sich irgendwo ein Fenster öffnen, und dann darf man nicht zögern.
Wie gefällt es Ihnen denn jetzt hier in Hohenheim?
Ich bin sehr angetan von den vielen interessierten Studierenden, den netten Kollegen, der unkomplizierten Verwaltung, dem Campus. Es ist rundum ein Gewinn für mich. Da ich bis vor einem Jahr mit anderen Unis kooperiert hatte, war ich überrascht, wie viel besser es hier für mich passt, in Forschung und Lehre.
Das freut uns. Verraten Sie uns noch, wie Sie Ihre Freizeit verbringen, Herr Schoch?
Ich reise sehr gern, möchte möglichst viele Länder sehen und verstehen, und dabei in die Kulturen eintauchen. Es bereichert und lenkt den Blick auf das Wesentliche, und ist immer eine Erholung. Momentan widme ich mich meinem Garten, den ich nach marokkanischem Vorbild anlegen möchte.
Wir danken Ihnen für das Interview!
Interview: Elsner