Er ist Insektenkundler aus Leidenschaft  [17.12.21]

Es ist nicht nur der Pflanzenschutz, der Jun.-Prof. Dr. Georg Petschenka umtreibt. Er leitet seit März letzten Jahres das Fachgebiet Angewandte Entomologie an der Uni Hohenheim, das zwar traditionell die Kontrolle von Schadinsekten im Fokus hat, doch seine Arbeit trägt ebenso zum Schutz der Artenvielfalt bei.


Update (1.2.2024): Prof. Dr. Georg Petschenka hat zum 1. Februar 2024 – nach erfolgreicher Bewährungsphase (Tenure-Track) – in einem speziellen Berufungsverfahren eine dauerhafte, reguläre Professur erhalten.

Denn Kenntnisse über Insekten lassen sich vielfältig nutzen: Für Anwendungen in der Medizin ebenso wie für die Verwendung von Insekten als Nahrungs- und Futtermittel. Oder eben auch, um dem Insektensterben Einhalt zu gebieten. Jun.-Prof. Dr. Petschenkas Passion für die kleinen Krabbeltiere zeigt sich in seiner Forschung genauso deutlich wie in seiner Lehre.


Herr Petschenka, Ihr Fachgebiet ist die Angewandte Entomologie. Was genau versteht man darunter?

Die Entomologie ist die Insektenkunde. Wenn man sich vor Augen führt, dass Insekten die größte Organismengruppe der Erde darstellen, ist leicht vorstellbar, wie vielfältig diese Disziplin ist. Nach meinen Begriffen versteht man unter angewandter Entomologie die Erforschung und Nutzung von Konzepten aus der Insektenkunde für die Anwendung. Traditionell steht hier sicher der Pflanzenschutz, also die Kontrolle von Schadinsekten, auf unterschiedlichste Weise im Fokus.

In jüngerer Zukunft wurde jedoch mehr und mehr deutlich, dass Insektenforschung auch auf vielfältige andere Weisen nutzbar ist. Hierbei ist vor allem an zahllose potentielle biotechnologische Anwendungen von Insekten zu denken (bspw. für die Medizin) als auch an die Nutzung von Insekten als Nahrungsmittel für Tier und Mensch. Insbesondere im Zeichen der herrschenden Biodiversitätskrise sehe ich aber auch den Insektenschutz sowie die Ursachenforschung zum Insektensterben als zentrales Aufgabengebiet der angewandten Entomologie.

Hinweis der Redaktion

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Genauso wie ich eine Trennung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung nur eingeschränkt für sinnvoll erachte, halte ich jedoch eine Unterscheidung der Entomologie in „angewandte“ und „allgemeine“ oder „spezielle“ Entomologie nicht für zielführend, da ich glaube, dass gerade die neugiergetriebene Grundlagenforschung viel Inspiration für Anwendungen liefern kann.

Wie war denn Ihr eigener Weg bis zur Professur in Hohenheim?

Lang und abwechslungsreich, aber immer von Leidenschaft getrieben. Ich habe in Tübingen und Bayreuth Biologie studiert, danach habe ich mich als wissenschaftlicher Volontär am Naturkundemuseum Karlsruhe mit der Taxonomie von Nachtfaltern befasst.

Im Anschluss habe ich in Hamburg zur Anpassung von Insekten an Pflanzengifte promoviert und war dann Postdoc am Department of Ecology and Evolutionary Biology an der Cornell University. Nach meiner Rückkehr aus den USA habe ich an der Uni Gießen eine Emmy Noether-Gruppe geleitet und bin seit März 2020 Tenure-Track-Professor in Hohenheim.

Welches Rätsel möchten Sie mit Ihrer Forschung lösen?

Ich möchte kein bestimmtes, sondern gerne viele Rätsel lösen. Der große konzeptionelle Rahmen meiner Forschung ist es, die Evolution der wechselseitigen Anpassungen zwischen Insekten und Pflanzen zu verstehen. In diesem Rahmen testen wir evolutionäre Hypothesen und versuchen künftig, aus unseren Erkenntnissen auch Anwendungen abzuleiten.

Viele meiner Projekte entstehen jedoch einfach auch aus meiner Faszination für Insekten und Neugier, die ich ohnehin für die zentrale Triebkraft in der Forschung halte.

Angenommen Sie würden über unbegrenzte Mittel und Möglichkeiten verfügen: Welches Projekt würden Sie in Angriff nehmen?

Ich versuche stets, mit den vorhandenen Mitteln, das Beste zu erreichen und glaube auch, dass man schon mit sehr begrenzten Mitteln konzeptionell starke Forschung machen kann. Dennoch kann man mit mehr Geld natürlich Fragestellungen adressieren, deren Beantwortung sonst nicht möglich wären, insbesondere was die Methoden angeht.

Mit unbegrenzten Mitteln würde ich wahrscheinlich eine starke Verpflichtung verspüren, mich mit der Optimierung unseres Wissenschaftssystem zu befassen, was mir jetzt nur in sehr begrenztem Umfang möglich ist.

Mit welchen Forschungsthemen beschäftigen Sie sich im Augenblick?

Wir untersuchen aktuell im Rahmen unserer DFG-geförderten Grundlagenforschung Anpassungen von Insekten an verschiedene Klassen von Pflanzengiften (Herzglykoside und Alkaloide) im evolutionären Kontext. In diesem Zusammenhang interessieren wir uns vor allem für Insekten, die Pflanzentoxine in ihren Körpergeweben speichern, um sich gegen Fressfeinde zu schützen, ein Phänomen, das man als Sequestration bezeichnet. Dabei führen wir sowohl Untersuchungen auf molekularer Ebene durch, aber auch physiologische Untersuchungen, bspw. an isolierten Insektengeweben. Im gleichen Zusammenhang bearbeiten wir auch Räuber-Beute-Beziehungen.

Im Rahmen unserer agrarwissenschaftlichen Forschung untersuchen wir eine große Bandbreite von Fragestellungen. Neben innovativen Pflanzenschutzstrategien, die wir von Beobachtungen aus der Grundlagenforschung ableiten, sollen Forschungen zu Effekten von Insektiziden auf Nichtzielorganismen einen künftigen Schwerpunkt bilden.

Können sich Studierende an Forschungsprojekten beteiligen?

Wir binden ständig Studierende im Rahmen von Bachelor- oder Master-Arbeiten und Praktika in unsere laufende Forschung ein. Genauso beschäftigen wir regelmäßig HiWis. Studierende sind an unserem Fachgebiet herzlich willkommen und werden aktiv in unsere Arbeitsgruppe eingebunden.

Was sind die wesentlichen Inhalte Ihres Lehrkonzeptes?


Geprägt durch die Einheit von Forschung und Lehre im deutschen Universitätssystem betrachte ich Lehre als einen wesentlichen Bestandteil meiner Tätigkeit als Wissenschaftler. Ich selbst habe am meisten von Lehrveranstaltungen profitiert, die von aktiv im Wissenschaftsbetrieb tätigen Dozenten abgehalten wurden, da sie mit den tatsächlichen Problemen des Wissenschaftsalltags vertraut sind und die Fähigkeit zum kritischen, analytischen und kreativen Denken vermitteln können, die für wissenschaftlichen Erfolg erforderlich sind.

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Ich unterrichte sehr gerne, insbesondere entomologische Themen und Pflanzen-Insekten-Interaktionen. Mich faszinieren Insekten seit meiner frühen Kindheit, und die Studierenden schätzen meine natürliche Leidenschaft für Insekten und Pflanzen. Der Stil meiner Lehre ist geprägt von meiner eigenen Neugier und ich versuche, meine Kurse so interaktiv wie möglich zu gestalten, insbesondere um das kritische Denken und die wissenschaftliche Diskussion anzuregen. Insbesondere ermutige ich die Studierenden von der ersten Minute an, Feedback zu geben und ihre Bedürfnisse zu kommunizieren.

So oft wie möglich setze ich Anschauungsmaterial (bspw. lebende Insekten) ein, was durch die herrschende Pandemie aktuell leider kaum möglich ist. Gleichzeitig habe ich bisher regelmäßig Gelände-Exkursionen angeboten, da ich einen großen Wert in der direkten Anschauung sehe. Auch Exkursionen werden künftig wieder einen wichtigen Bestandteil meiner Lehre bilden, sobald die durch die COVID19-Pandemie verursachten Umstände es wieder erlauben.

Neben klassischen Lehrformaten wie bspw. Vorlesungen begrüße ich forschungsorientierte Ansätze sehr, wie sie in verschiedenen Hohenheimer Modulen glücklicherweise schon realisiert sind.

Was bedeutet für Sie gute Lehre?

Gute Lehre bedeutet für mich der Dialog mit den Studierenden. Ich halte mich selbst für sehr nahbar und habe den Eindruck, dass die Studierenden dies auch bemerken und für sich zu nutzen wissen. Ansonsten ist auch meine Lehre leidenschaftsgetrieben, und ich versuche, meine Begeisterung für Sachverhalte auf die Studierenden zu übertragen. Ich versuche, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Fehler gemacht werden dürfen und sich niemand scheuen muss, nachzufragen.

Fachgebiet Angewandte Entomologie

Seit 1.3.2020 leitet Jun.-Prof. Dr. Georg Petschenka das Fachgebiet. Es wurde nach dem Weggang seines Vorgängers Prof. Dr. Johannes Stökl in unveränderter Ausrichtung wiederbesetzt. mehr


Wenn ich realisiere, dass meine Lehre gut ankommt und die Studierenden insbesondere bei der Betreuung im Forschungskontext meine Lehrinhalte gut für sich umsetzen können, freut mich das sehr und motiviert mich im Gegenzug, meine Lehre weiter zu verbessern. Gleichzeitig lerne auch ich sehr viel von den Studierenden, was für mich auch ein Merkmal guter Lehre ist und wofür ich sehr dankbar bin.

Wo arbeiten Ihre Absolventinnen und Absolventen später?

Das Insektensterben hat dazu geführt, dass Insekten stärker in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt sind. Dabei wurde populär, dass auch das Überleben unserer Art von Insekten abhängt, was eine gute Motivation sein sollte, die Insektenforschung verstärkt zu fördern. Deshalb glaube ich, dass es sich -insbesondere jetzt- lohnt, sich mit Entomologie zu beschäftigen.

Da ich mein Fachgebiet erst seit kurzem leite, stehen noch nicht viele meiner Absolventinnen und Absolventen im Beruf. Ich selbst bin besonders daran interessiert, Studierende auf eine akademische Laufbahn vorzubereiten, bin aber davon überzeugt, dass eine gute wissenschaftliche Ausbildung, die wir zu vermitteln hoffen , auch eine gute Vorbereitung auf jegliche Berufslaufbahn darstellt.

Welchen guten Rat geben sie den Studierenden mit auf den Weg?

Authentisch zu sein und sich mit den Inhalten zu befassen, für die Sie wirklich „brennen“.

Gefällt es Ihnen denn jetzt hier in Hohenheim?

Mir gefällt es in Hohenheim und an der Fakultät Agrarwissenschaften sehr gut. Ich habe ein fantastisches Kollegium, das ein großes Potential für gemeinschaftliche Forschung bereithält. Weiterhin schätze ich an Hohenheim die große Offenheit und Transparenz.

Nicht zuletzt möchte ich die Hohenheimer Studierenden erwähnen, die trotz der herrschenden Pandemie am Ball geblieben sind und mit denen ich schon sehr produktiv in Lehre und Forschung zusammenarbeiten durfte.

Eine letzte Frage: Wie verbringen Sie denn Ihre Freizeit?

Welche Freizeit ;-) Aktuell lässt mir der Beruf offen gestanden nur sehr wenig Freizeit, die ich am liebsten mit meiner Lebensgefährtin und meinen Kindern verbringe. Da ich das Glück hatte, meine Leidenschaft zum Beruf machen zu können, fällt es mir jedoch relativ leicht, mich für das hohe Arbeitspensum zu motivieren. Ansonsten bin ich sehr gerne in der Natur und beschäftige mich auch in meiner Freizeit tatsächlich am liebsten mit Insekten.

Wir danken Ihnen für das Interview, Herr Petschenka!



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