Sie ergründet die Geheimnisse von Geschmacksvorlieben [28.11.23]
Süß, salzig oder doch lieber bitter – warum haben wir Menschen bestimmte Geschmacksvorlieben? Und wie wirken sich die Inhaltsstoffe der verschiedenen Lebensmittel auf unseren Körper aus? Die Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dr. Barbara Lieder geht diesen Fragen auf den Grund. Sie leitet seit 1.9.2023 das Fachgebiet Humanernährung und Diätetik an der Uni Hohenheim.
Das Interesse am Thema Ernährung wurde ihr von ihrer Familie gewissermaßen in die Wiege gelegt. Doch während ihr Großvater als Koch gutes Essen zubereitete, liegt ihr Fokus auf den Mechanismen hinter dem Zusammenspiel von Geschmackswahrnehmung und Nahrungsaufnahme. Prof. Dr. Lieders Ziel bei Forschung und Lehre ist, dass sich die Menschen in der heutigen Gesellschaft nachhaltig gesund ernähren.
Frau Lieder, Ihr Fachgebiet heißt „Humanernährung und Diätetik“. Das klingt nach einem breiten Feld. Was beinhaltet es?
In der Lehre umfasst mein Fachgebiet die Diätetik, Maßnahmen zur Gesunderhaltung, Krankheitsprävention oder den Nährstoffbedarf in besonderen Lebenssituationen. Es ist also tatsächlich recht breit angelegt.
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Meine Forschung ist dagegen fokussierter: Hier geht es um das Zusammenspiel von Geschmacksrezeptoren und Nahrungsaufnahme. Genauer gesagt, welche Faktoren unsere Geschmackswahrnehmung und Vorlieben beeinflussen und wie das die hormonelle Regulierung der Nahrungsaufnahme steuert. Der Fokus lag dabei in den letzten Jahren auf Süßgeschmack. Umgekehrt kann die Nahrungsaufnahme auch einen Einfluss auf Geschmackswahrnehmung haben.
Was fasziniert Sie an diesen Themen?
Mich fasziniert besonders, wie Lebensmittelinhaltstoffe auf den Körper wirken und warum unsere Geschmacksvorlieben so sind, wie sie sind beziehungsweise ob man sie aktiv beeinflussen kann. Das Wechselspiel zwischen dem, was wir zu uns nehmen, und genetischen Mechanismen beeinflusst unsere Auswahl, und das kann zu einem Teufelskreis führen.
Denn Mechanismen, die evolutionär sinnvoll waren, können in unserer heutigen Zeit kontraproduktiv sein. So ist zum Beispiel unsere Vorliebe für Süßes aus evolutionärer Sicht eigentlich sinnvoll, schafft aber aufgrund der heutigen leichteren Verfügbarkeit Probleme. Auch übergewichtige Menschen können übrigens mangelernährt sein, aber Mangelernährung wird meist mit Entwicklungsländern assoziiert.
Wie schafft man es, Menschen dazu zu bringen gesunde Lebensmittel auszuwählen, obwohl sie von Natur aus Süßes bevorzugen? Wir müssen die Prinzipien dahinter verstehen, um die Menschen heute noch nachhaltig gut zu ernähren.
Gab es in Ihrem Leben Schlüssel-Faktoren, die Ihr Interesse an den Ernährungswissenschaften geweckt haben?
Mein Interesse an Lebensmitteln und Ernährungswissenschaft wurde durch meine Familie geweckt: Mein Großvater war Koch, meine Schwester betreibt ein Restaurant, und gemeinsames Essen hat in meiner Familie schon immer eine wichtige Rolle gespielt.
Während meiner Doktorarbeit unter der Betreuung von Veronika Somoza untersuchte ich, wie Aromastoffe die Sättigungsmechanismen regulieren. Dabei entwickelte ich auch ein Interesse an den Rezeptoren, die dahinterstehen..
Und mit welchen Forschungsthemen beschäftigen Sie sich im Augenblick?
Mein Oberthema ist die Geschmackswahrnehmung und ihr Wechselspiel mit physiologischen Mechanismen. Im Detail untersuchen wir, wie Rezeptoren aktiviert werden und wie verschiedene Stoffe schmecken.
Zum Beispiel gibt es keinen anderen Stoff, der das gleiche Geschmacksprofil wie Zucker hat. Süßstoffe haben ein anderes zeitliches Profil. Sie brauchen meist etwas Zeit, bis sich die Süße aufgebaut hat, und haben dafür einen Nachgeschmack. Wenn Sie Cola light trinken, haben Sie auch danach noch den Süß-Geschmack im Mund. Das finden wir unangenehm, denn das ist bei Zucker nicht der Fall.
Und das wirkt sich physiologisch aus?
Ja, das untersuchen wir. Süß-Rezeptoren gibt es nicht nur im Mund, sie sind im ganzen Körper verteilt. Auch im Dünndarm, und dort sind sie an der Ausschüttung von Hormonen beteiligt, die für unseren Stoffwechsel wichtig sind. Wenn aber nun Zuckerersatzstoffe ein völlig anderes sensorisches Profil haben, müssen wir uns die Frage stellen, was das mit unserem Körper macht. Hat das unterschiedliche Wirkungen auf unseren Stoffwechsel?
Fachgebiet Humanernährung und Diätetik |
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Seit 1.9.2023 leitet Prof. Dr. Barbara Lieder das Fachgebiet in der Fakultät N. Es wurde umbenannt von „Ernährungswissenschaft und Diätetik“ nach dem Wechsel ihrer Vorgängerin Prof. Dr. Sarah Egert an die Universität Bonn. mehr |
Welchen Anteil hat dabei allein die Wahrnehmung des süßen Geschmacks, oder müssen die Stoffe erst mal in den Darm kommen, um einen nachhaltigen Effekt zu haben? Deshalb führen wir Sensorik-Studien durch. Wir verkosten Proband:innen und sie berichten über ihre Wahrnehmung. Dann prüfen wir mit Humanuntersuchen die Effekte im Körper. Und die Mechanismen dahinter wiederum untersuchen wir in Zellkulturstudien.
Machen Sie dafür Tierversuche?
Nein, ich führe keine Tierstudien durch. Für die Untersuchung, welchen Einfluss verschiedene Diäten auf den Geschmacksapparat haben, bekommen wir von unseren Kooperationspartnern Gewebe, das sie nicht benötigen, etwa die Zunge. Aus den Zungen können wir auch Stammzellen gewinnen und züchten Geschmacksknospen als Organoid-Modell. Auf diese Weise kann man aus einer Zunge sehr viele Geschmacksknospen gewinnen. Das Verfahren wurde in den USA entwickelt, ich habe es bei einem Postdoc-Aufenthalt erlernt.
Das ist spannend. Können sich denn Studierende an Ihrer Forschung beteiligen?
Ja, Studierende können sich gerne in Form von Masterarbeiten an unseren Forschungsprojekten beteiligen. Wir versuchen, die Arbeiten mit aktuellen Forschungsthemen zu verknüpfen, und bieten eine gute Betreuung, da unser Team sehr motiviert ist.
Wir suchen auch immer Proband:innen für Humanstudien und Sensorik-Studien. Das ermöglicht auch Einblicke in die Durchführung von Versuchen.
Und Humboldt reloaded-Projekte…?
…habe ich schon auf dem Schirm für das nächste Semester. Gerade im Bereich Geschmacksforschung ist das eine gute Sache, weil es da auch kleine Themen zu bearbeiten gibt.
Was zeichnet denn gute Lehre aus?
Gute Lehre bedeutet für mich nicht nur die reine Wissensvermittlung, man muss auch die Motivation und Begeisterung der Studierenden für die Themen wecken. Auch in Bereichen, die sie sich vielleicht zunächst nicht zugetraut hätten.
Haben Sie einen Tipp für ein erfolgreiches Studium?
Mein Rat ist, verschiedene Dinge auszuprobieren und sich auch bei einem Rückschlag nicht entmutigen zu lassen. Wenn man sich für etwas interessiert, sollte man einfach dranbleiben, selbst wenn es anfangs nicht gleich klappt. Mit Geduld und Ausdauer kann man vieles erreichen.
Eine letzte Frage, Frau Lieder: Was machen Sie denn in Ihrer Freizeit?
Ich bin gerne draußen in der Natur und in Bewegung. Bergwandern im Urlaub finde ich sehr erholsam. Deshalb gehe ich auch gerne in den Hohenheimer Gärten spazieren. Der Campus hier in Hohenheim ist ein großartiger Ort für mich.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Interview: Elsner/Klebs