Gemeinsam für ein Sommersemester auf dem Campus  [18.02.22]

Die Politik kündigt für das Frühjahr Lockerungen an. Damit stehen die Zeichen für eine Rückkehr auf den Campus im Sommersemester gut. Warum es so wichtig ist, dass dafür jetzt alle an einem Strang ziehen und welche Lehren aus dem Wintersemester gezogen werden sollten, berichten Studierendenvertreterinnen und die Prorektorin für Lehre beim Kaffee mit dem Online-Kurier.


Im Interview:

  • Prof. Dr. Korinna Huber, Prorektorin für Lehre
  • Nayana Kramer, StuPa-Präsidentin und studentisches Senatsmitglied, Ernährungswissenschaften B.Sc.
  • Milena Kugel, studentisches Senatsmitglied, Wirtschaftspädagogik B.Sc.
  • Judith Blättler, studentisches Senatsmitglied, Agrarwissenschaft B.Sc.


An die Studentinnen in der Runde: Wie geht es Ihnen nach dem vierten Pandemie-Semester?


Kugel: Ich komme ins 6. Semester Wirtschaftspädagogik. Ein Semester habe ich noch auf dem Campus erlebt, dann ging es ins Home-Studium. Auf den ersten Blick hat das erstmal auch ganz gut funktioniert. Die Lerninhalte der wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge sind ja eher theorielastig. Das heißt man kann sich den Stoff notfalls ganz gut zu Hause aneignen.

Doch mit der Zeit habe ich Studierende mit Labor-Praktika oder anderen praktischen Übungen immer mehr beneidet. Denn sie hatten zumindest ab und zu Gelegenheit, ihre Kommiliton:innen auf dem Campus zu treffen. Für die meisten WiPäds und WiWis fiel das von einem Moment auf den anderen komplett weg.

Ich bin froh, dass ich es zumindest für kurze Zeit noch anders kennengelernt habe. Im ersten Semester konnte ich viele Kontakte knüpfen und bin so z.B. zur Fachschaft gekommen. Dort bekommen wir allerdings schon mit, dass viele Studierende im Moment wirklich frustriert sind.

Zum Thema

Der Senat hat in einer Resolution beschlossen, dass Präsenz im Sommersemester die Regel, Online die Ausnahme sein soll. Eine bessere Abstimmung soll für eine bessere Studierbarkeit sorgen und den permaneten Wechsel zwischen Online und Präsenz reduzieren. Die Verfasste Studierendenschaft stellt sich mit einer eigenen Stellungnahme hinter die Senatsresolution.

Kramer: Ich studiere Ernährungswissenschaft im 8. Semester, habe das echte Campus-Leben also noch kennengelernt. Mein Eindruck ist, dass viele neue Studierende nur grob ahnen, was sie im Moment eigentlich verpassen. Studieren ist so viel mehr als Stoff pauken. Gemeinsam in der Mensa essen, in der TMS zusammen lernen oder feiern, im Park chillen, sich in studentischen Gruppen engagieren, Uni-Sport… Das ist das Studentenleben, an das ich mich noch in vielen Jahren erinnern werde.

Frau Blättler, Sie haben Ihr Studium unter Corona-Bedingungen begonnen, richtig?

Blättler: Genau. Ich bin im Wintersemester 2020/21 extra für den Bachelor Agrarwissenschaft nach Stuttgart gezogen und hatte mich schon riesig gefreut, viele neue Menschen kennenzulernen und neue Impulse zu erhalten. Mir war aber bewusst, dass mein Studium durch Corona in vielerlei Hinsicht eingeschränkt starten würde.

Umso mehr war ich froh, dass es im ersten Semester zumindest einige Veranstaltungen auf dem Campus gab, wie z.B. die Erstsemester-Akademie des AKN oder die Einführungstage der Fachschaft. Aber erst im letzten Wintersemester als endlich auch wieder mehr Lehrveranstaltungen auf dem Campus stattfanden, habe ich wirklich Leute kennengelernt.

Ich habe gemerkt, dass sich viele Lehrende richtig ins Zeug gelegt haben, um für uns unter den gegebenen Umständen das Beste herauszuholen. Leider wurden einige Veranstaltungen gegen Ende des Wintersemesters mit Verweis auf das Infektionsgeschehen dann aber doch wieder ins Digitale verlagert. Wobei ich das eigentlich nicht wirklich nachvollziehen konnte. Ich habe mich zu keinem Moment an der Uni unsicher gefühlt. Mein Eindruck ist, dass das Hohenheimer Hygienekonzept wirksam ist. Von Corona-Ausbrüchen an der Uni habe ich jedenfalls nichts bekommen.

Aber immerhin konnte ich in den ersten Monaten im Herbst einige Kommiliton:innen kennenlernen. Wenn wir uns jetzt gemeinsam auf Prüfungen vorbereiten, ist das für mich eine völlig neue Erfahrung.

Frau Huber, als Prorektorin für Lehre haben Sie das große Ganze im Blick. Denken Sie diese Schilderungen sind typisch für die Studierendengeneration?

Huber: Meiner Meinung nach sind die Studierendenvertreterinnen hier nur zum Teil repräsentativ, da sie überdurchschnittlich engagiert sind und sich aktiv an Netzwerken beteiligen. Wir können aber nicht davon ausgehen, dass das bei allen Studierenden so der Fall ist.

Psychologen sagen uns: Der Verlust der Präsenz hat für die betroffene Generation massive Auswirkungen, die noch lange nachwirken werden: Für das Lernen, für die Sozialkompetenz, für die Motivation. Das kann sich beim Studienerfolg bemerkbar machen und später auch beim Berufseinstieg.

Das Fatale ist: Diejenigen, die am meisten unter der Pandemie leiden, sind für Lehrende häufig „unsichtbar“, weil sie sich tendenziell immer weiter zurückziehen. Lernrückstände, Motivationsprobleme und psychische Probleme können in eine Negativ-Spirale führen, aus der man sich selbst nur schwer befreien kann. Präsenz-Angebote, die nicht verbindlich sind, werden dann unter Umständen gar nicht mehr wahrgenommen, obwohl genau das den Teufelskreis durchbrechen würde.

Unser pädagogischer Auftrag als Universität ist deshalb klar: Wir müssen auch diese Studierenden zu ihrem eigenen Wohl wieder aus der Reserve locken. Und den Lernbegierigen, die schon ungeduldig mit den Hufen scharren, um endlich wieder Campus-Luft zu schnuppern, müssen wir umfassende Möglichkeiten dazu geben. Das sind wir den jungen Menschen schuldig.

Schon für das zurückliegende Wintersemester hatte die Uni Hohenheim ja erheblich mehr Präsenz angekündigt. Frau Blättler hat ihre Erfahrungen im Bachelor-Studiengang Agrarwissenschaft ja bereits geschildert. Wie lief es denn bei den anderen?

Kugel: Leider muss ich sagen, dass es in den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen weniger gut lief. Vielen Studierende wurden lediglich ein bis zwei Präsenzveranstaltung pro Woche angeboten. Nach den ursprünglichen Ankündigungen war das schon eine Enttäuschung.

Von Lehrenden war teilweise zu hören, dass die Studierenden angeblich gar nicht mehr Präsenz wollen und bestehenden Angebote ja nur schlecht genutzt würden. Aber mal ehrlich: Wegen einer Veranstaltung pro Woche lohnt es sich eben auch kaum an die Uni zu kommen. Viele Studierende haben sich gar nicht erst ein Zimmer in Uni-Nähe gesucht.

Kramer: Ein weiteres Problem ist, dass Online und Präsenz meist nicht aufeinander abgestimmt waren. Es ist gar nicht so einfach, auf dem Campus einen guten Platz zu finden, um sich zwischen zwei Präsenz-Terminen in eine Zoom-Veranstaltung einzuloggen. Leider fehlt es auch allgemein an Lernplätzen, um Hohlstunden auf dem Campus sinnvoll zu nutzen. Auch das hat sicher dazu beigetragen, dass einige Studierende bei Hybrid-Veranstaltungen die digitale Variante gewählt haben.

Blättler: Ich finde Lehrende sollte sich bei dieser Frage generell nicht an vermeintlichen Mehrheiten orientieren. Was bedeutet es denn, wenn z.B. 60 % oder sogar 70 % der Teilnehmer:innen sagen, dass sie lieber daheim lernen? Dann gibt es doch immer noch 30-40 %, die lieber vor Ort wären! Ich finde die Uni sollte sich an diesen aktiven Studierenden orientieren, die dann ja auch andere mitziehen können.

Ich denke hier z.B. auch an die Internationals, die extra nach Deutschland gekommen sind, um das Studium auf dem Campus zu erleben und hier Kontakte zu knüpfen. Auch deutschen Studierenden entgeht im Home-Office viel vom internationalen Charakter der Uni.

Frau Huber, können Sie ausschließen, dass sich die angesprochenen Probleme im Sommersemester wiederholen?

Huber: Der Senat hat eine sehr klare Empfehlung ausgesprochen: Präsenz soll im Sommer der Regelfall sein, Online die Ausnahme. Hybrid-Veranstaltungen werden nicht mehr empfohlen. Lehrende, Studiengangsleitungen und Koordinator:innen sind aufgefordert sich gegenseitig besser abzustimmen, damit Studierende möglichst geblockt in Präsenz auf dem Campus sein können und Online-Vorlesungen in Randzeiten oder an anderen Tagen stattfinden.

Es kommt nun darauf an, dass diese Richtlinien in den einzelnen Studiengängen auch konsequent umgesetzt werden können. Unser Stundenplan ist allerdings ein etwas starres Gebilde, was es nicht leicht macht die erforderlichen Änderungen einzuführen. Gleichzeitig hoffe ich, dass unsere Studierenden die Präsenzangebote dann auch tatsächlich wahrnehmen. Ich versuche jedenfalls auf allen Ebenen Überzeugungsarbeit für die Präsenz zu leisten.

Die Politik kündigt für das Frühjahr Lockerungen an. Das stimmt doch erstmal optimistisch, oder?

Huber: Ja, ein Ende der meisten Einschränkungen scheint noch vor Semesterbeginn vorstellbar. Daher gibt es für die Großzahl der Lehrveranstaltungen keinen Grund mehr, dass sie aus pandemischen Gründen im Online-Format durchgeführt werden. Nur didaktisch sinnvolle Online-Formate wollen wir behalten. Allerdings muss die Studierbarkeit des gesamten Studiengangs dabei mit im Auge behalten werden.

Auch die Lernplatz-Situation dürfte sich in der warmen Jahreszeit etwas entspannten, weil auch die Außenbereiche genutzt werden können. Wir prüfen aktuell auch, wo wir zusätzliche Sitzmöglichkeiten mit WLAN-Empfang als Outdoor-Lernplätze einrichten können.

Wir müssen aber so realistisch sein, dass es auch im Sommersemester noch Unterschiede zwischen einzelnen Studiengängen geben wird. Im Bachelor-Studiengang Wirtschaftswissenschaften gibt es z.B. sehr große Veranstaltungen, die voraussichtlich weiterhin online stattfinden werden.

Trotzdem bin ich überzeugt: Wenn jetzt alle an einem Strang ziehen, können wir in allen Studiengängen erhebliche Verbesserungen erzielen.

Die Verfasste Studierendenschaft hat diese Woche ein eigenes Statement zum Sommersemester herausgegeben. Was gab den Anlass?

Kramer: Wir wollten klarstellen, dass die Studierenden voll und ganz hinter der Senatsresolution stehen. Wie Frau Huber bereits sagte: Es kommt jetzt auf die Umsetzung an. Wir fordern alle Verantwortlichen dazu auf ihren Teil dazu beizutragen, damit sich die Probleme des Wintersemesters nicht wiederholen und wir uns alle im Sommersemester wieder regelmäßig auf dem Campus treffen.

Blättler: Gleichzeitig ist uns wichtig zu sagen, dass wir Digitalformate nicht grundsätzlich ablehnen. Wir finden es richtig, dass die Uni die Erfahrungen aus der Pandemie jetzt nutzen will, um die Digitalisierung auch längerfristig voranzutreiben, z.B. mit Projekten wie DeLLFi oder PePP. Online-Lehre soll dann natürlich keine improvisierte Notlösung mehr sein, sondern eine qualitativ hochwertige Ergänzung zur Präsenz.

Frau Huber, warum belässt es der Senat eigentlich bei Empfehlungen und macht keine klaren Vorgaben?

Huber: Die Verfassung garantiert die Freiheit der Lehre. Deshalb muss so etwas einen sehr breiten Rückhalt in der Professorenschaft haben. Ich hatte gehofft, dass wir im Sommersemester etwas mehr Verbindlichkeit erreichen können. Doch die Diskussion im Senat hat mir gezeigt, dass wir dazu einen etwas längeren Vorlauf benötigen. Mein Ziel ist, dass wir zumindest bis zum Wintersemester diesbezüglich einen Schritt weiterkommen.

Dann steht uns mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die nächste Infektionswelle ins Haus…

Huber: So ist es. Und wenn die Hygieneregeln wieder strengen werden und wir mehr Online-Lehre brauchen, wird die Koordination der Präsenz-Blöcke eine echte Herkulesaufgabe.

Dafür müssen wir uns jetzt vorbereiten. Gemeinsam mit engagierten Lehrenden aus allen Fakultäten will ich deshalb in den kommenden Monaten einen konkreten Vorschlag erarbeiten, wie ein uni-weiter Rahmenstundenplan mit verbindlichen Slots für Präsenz und Online aussehen könnte. Und ich hoffe, dass wir damit dann auch den Senat überzeugen.

Wir sind eine kleine Universität – das könnte in diesem Fall unsere Stärke sein. Wenn das Projekt gelingt, könnten wir auch nach der Pandemie von einem solchen Rahmenstundenplan profitieren, z.B. bei der Integration digitaler Elemente in den Präsenz-Studiengängen. Das wäre dann ein echter Wettbewerbsvorteil gegenüber großen Unis, die weniger flexibel reagieren.

Wir werden berichten. Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Leonhardmair


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