Er nimmt die Struktur des Erbguts ins Visier  [12.11.21]

Die Corona-Pandemie hat auch in der Hochschulkommunikation ihre Spuren hinterlassen: Unter anderem war es seit Beginn der Pandemie zeitlich nicht mehr möglich, die traditionellen Willkommensinterviews mit neuen Profs durchzuführen. Mit Beginn dieses Wintersemesters soll dies in Form schriftlicher Fragebögen nachgeholt werden: 18 neue Professorinnen und Professoren haben seit Beginn der Pandemie und kurz davor in Hohenheim gestartet. Den Auftakt macht Jun.-Prof. Dr. Chang Liu.


Der Pflanzengenetiker leitet seit 1. März 2020 das neu eingerichtete Fachgebiet Epigenetik. 2017 hatte er – damals noch an der Universität Tübingen – für seine Forschung ein ERC Starting Grant des Europäischen Forschungsrats erhalten. Sein Haupt-Augenmerk liegt auf der dreidimensionalen Struktur der DNA und ihren Auswirkungen auf die Funktion der pflanzlichen Zelle.

(Der Fragebogen wurde auf Englisch ausgefüllt und übersetzt)
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Herr Liu, Epigenetik ist der Name Ihres Fachgebiets. Was genau ist das?

Die Epigenetik befasst sich mit der Frage, wie sich genetische Veränderungen, die nicht DNA-Sequenz verändern, auf die Aktivitäten des Genoms – des Erbguts – auswirken. Zum Beispiel die Genexpression, also wie die genetische Information bei einem Organismus zum Ausdruck kommt und in Erscheinung tritt. Die Vorsilbe "epi" bedeutet konkret, dass es keine Veränderungen in der DNA-Sequenz gibt.

Wie war denn Ihr persönlicher Weg bis Hohenheim?

Ich habe zwei Postdoc-Runden absolviert: Eine im Temasek Life Sciences Laboratory in Singapur, wo ich mich hauptsächlich mit pflanzlicher Epigenetik beschäftigt habe, und die andere am Max-Plank-Institut in Tübingen. Dort habe ich zur Organisation des Chromatins geforscht. Chromatin ist das genetische Grundmaterial der Zellkerne.

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2015 wechselte ich als Nachwuchsgruppenleiter an das ZMBP (Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen) der Universität Tübingen. Am ZMBP fokussierten meine Forschungsprojekte auf die funktionelle Genomik von Pflanzen, das heißt es ging um das Zusammenspiel der Gene. Im Wesentlichen lagen diese Projekte an der Schnittstelle zwischen "Epigenetik" und "Dreidimensionaler Chromatinorganisation".

Welches Rätsel würden Sie gerne mit Ihrer Forschung lösen?

Eigentlich gibt es bei mir zwei Puzzleteile, die eng miteinander verbunden sind: Erstens: Wie wird die Transkriptionsregulation ausgeführt, um ein abgestimmtes Genexpressionsprofil zu erreichen? Vereinfacht ausgedrückt: Wie wird die Übersetzung der genetischen Information von DNA in RNA reguliert, so dass man ein bestimmtes Ergebnis erhält? Zweitens: Wie können wir dieses Wissen nutzen, um Pflanzen besser wachsen zu lassen?

Welches Projekt würden Sie in Angriff nehmen, wenn Sie über unbegrenzte Ressourcen und Möglichkeiten verfügen könnten?


Ich würde eine Plattform entwickeln mit der die Pflanzenforschung die molekularen Mechanismen, die der Transkriptionsregulierung zugrunde liegen, auf der Ebene eines einzelnen Zellkerns effektiv zu untersuchen könnte.

Derzeit ist die Arbeit mit heterogenen Proben eine große Herausforderung für Forschende auf dem Gebiet der funktionellen Pflanzengenomik. Also mit Proben, die aus Zellen mit unterschiedlichen zellulären Identitäten bestehen.

Lassen Sie mich das an einem Beispiel erklären: Stellen Sie sich vor, Sie halten ein Blatt in der Hand. Sie können nun einfach das Blatt als Ganzes betrachten – doch in Wirklichkeit besteht es aus vielen verschiedenen Zelltypen: Zellen, die Blattadern bilden, Zellen, die eine schützende Oberfläche bilden, Zellen, die Photosynthese betreiben usw. Wenn man es also in Experimenten verwendet, ist das Ergebnis der Durchschnitt und verliert potenzielle Informationen, die speziell mit einem Zelltyp verbunden sind.

Eine weitere technische Herausforderung, die ich mit meiner Plattform zu überwinden hoffe, sind die begrenzten Informationen, die derzeit verfügbare Einzelzellmethoden liefern. So ist es beispielsweise äußerst schwierig, gleichzeitig die Genexpression und epigenetische Veränderungen desselben Zellkerns zu messen. In den meisten Fällen müssen die Forschenden für diese Informationen getrennte Experimente durchführen – natürlich an verschiedenen Materialchargen. Ich wünsche mir daher, dass meine Plattform bei der Erstellung von mehrdimensionalen Datensätzen sehr robust ist.

An welchen Forschungsthemen arbeiten Sie denn aktuell?

Wir führen derzeit mehrere Projekte mit verschiedenen Modellpflanzen durch. Bei der Ackerschmalwand (Arabidopsis) untersuchen wir, wie bestimmte Genomregionen in bestimmten Kompartimenten des Zellkerns lokalisiert sind. Anhand des Leberblümchens (Marchantia) erforschen wir, wie sich das Chromatin falten und spezielle Strukturen ausbilden kann und wie dies die Genexpression beeinflusst. Außerdem haben wir ein Projekt gestartet, bei dem es darum geht, wie das Epigenom und die dreidimensionale Organisation des Chromatins die Entwicklung der Tomate steuern.

Können sich Studierende denn auch schon an Ihrer Forschung beteiligen?

Aber sicher. Wir haben bereits Masterstudierende und Promovierende, die an ihren Projekten arbeiten.

Was wollen Sie Ihren Studierenden beibringen?

Unser Fachgebiet bietet Lehrveranstaltungen zu Epigenetik und funktionelle Genomik an. Wir haben zwei Praxismodule, in denen die Studierenden Routineverfahren der Molekularbiologie der Pflanzen erlernen können. Der Schwerpunkt liegt natürlich auf der Genomik.

Fachgebiet Epigenetik

Jun.-Prof. Dr. Chang Liu leitet seit 1.3.2020 das neue Fachgebiet Epigenetik. Es handelt sich um eine Juniorprofessur mit Tenure-Track, gefördert durch das Bund-Länder-Programm zur Förderung des wiss. Nachwuchses. Diese Professuren sind auf 6 Jahre befristet und werden bei Bewährung in eine reguläre Professur umgewandelt. mehr


Darüber hinaus umfasst die Lehre auch Bioinformatik und Programmierung.

Was bedeutet gute Lehre für Sie?

Meiner Meinung nach vermittelt gute Lehre den Studierenden die Botschaft, dass Wissenschaft spannend, dynamisch und unterhaltsam ist – und nicht langweilig oder trockener Lehrbuchstoff. Gute Lehre weckt auch die Neugier und Kreativität der Studierenden. Mein Ziel ist es, den Studierenden grundlegendes Wissen über den Kursinhalt zu vermitteln und ihnen gleichzeitig eine Wertschätzung für aktives Lernen, kritisches Denken und Problemlösung nahezubringen.

Wo können Ihre Absolventinnen und Absolventen nach dem Studium arbeiten?

Studierende, die sich für Molekularbiologie begeistern, können ihren Weg fortsetzen, indem sie in einem Forschungslabor an einer Hochschule arbeiten oder in einem Unternehmen wissenschaftliche Entdeckungen machen. Die Arbeit muss sich nicht speziell auf die Pflanzenwissenschaft beziehen – das Wissen über Epigenetik, Chromatin und Transkriptionsregulierung, das die Studierenden an Pflanzen gelernt haben, lässt sich leicht auf die Forschung an anderen lebenden Organismen übertragen. Mit Kenntnissen in Bioinformatik und Informatik können Absolvierende, die "Big Data" lieben, auch als Bioinformatiker und Bioinformatikerinnen arbeiten.

Welchen guten Rat möchten Sie Studierenden mit auf den Weg geben?

Studierende sollten unbedingt das breite Spektrum an Möglichkeiten nutzen, das der Campus Hohenheim für die Gestaltung ihrer beruflichen Zukunft bietet.

Arbeiten Sie gerne in Hohenheim, Herr Liu?


Auf jeden Fall. Vor allem, weil ich während der Pandemie angefangen habe auf dem Campus zu arbeiten. Diese Zeit hat alle unter Druck setzt und herausfordert. Der Campus ist gut organisiert und bietet ein freundliches Arbeitsumfeld. Und die Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Bereichen der Uni haben mich bei Lehre und Forschung sehr unterstützt.

Wie verbringen Sie denn Ihre Freizeit?

Ich lese gerne historische Romane oder Biografien. Und mit meinen Kindern spiele ich gerne Computerspiele.

Herzlichen Dank für das Interview, Herr Liu!

Interview: Elsner



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