Mehr Diversity für die Landwirtschaft [27.03.24]
Frauen werden an landwirtschaftlichen Betrieben häufig in überholte Rollen gedrängt. Queere Menschen sind nahezu unsichtbar. Das muss sich ändern, findet Lucia Parbel. In ihrer Bachelor-Arbeit hat sie sich auf Ursachenforschung begeben und mit jungen Menschen gesprochen, die am Anfang ihres Berufswegs stehen. Ein Interview.
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Lucia, du hast dich in deiner Bachelor-Arbeit ja intensiv mit der Thematik beschäftigt, was würdest du sagen: Wie divers ist die Landwirtschaft?
Es kommt darauf an, wie man es betrachtet. Natürlich existiert Diversität in der Landwirtschaft - wie in fast allen gesellschaftlichen Bereichen. Aber sie ist derzeit wenig sichtbar. Und es gibt Strukturen, die Frauen und queere Menschen systematisch benachteiligen.
Tatsächlich werden rund 90% der Betriebe in Deutschland von Männern geleitet. Selbstverständlich leisten Frauen sehr viel für die Höfe. Sie arbeiten aber fast immer in untergeordneten Positionen und werden in überholte Geschlechterrollen gedrängt.
Queere Personen in der Landwirtschaft sind in der öffentlichen Wahrnehmung quasi überhaupt nicht präsent. Aber auch sie gibt es!
Über Online-Netzwerke und Telegram-Gruppen konnte ich einige Personen in ganz Deutschland näher kennenlernen und auch als Interview-Partern:innen für meine Bachelor-Arbeit gewinnen. Sie berichten davon, wie schwer es ihnen fällt, in ihrem beruflichen Umfeld offen mit ihrer queeren Identität umzugehen.
Hier könnt ihr Lucia Parbels Bachelorarbeit im Original lesen: |
Hier muss sich dringend etwas ändern. Es darf keine Rolle spielen, welche Menschen ich liebe, oder mit welcher geschlechtlichen Identität ich mich identifiziere. Wenn wir unsere Landwirtschaft nachhaltig und zukunftsfähig gestalten wollen, dann müssen wir neben Themen wie Ökologie und Tierwohl auch über diese soziale Dimension sprechen.
Wie bist du auf das Thema deiner Bachelor-Arbeit gekommen und wie hast du es genau bearbeitet?
Das Interesse hat sich aus eigenen biographischen Erfahrungen heraus entwickelt. In dem Modul "Global Agri-Food Systems" habe ich mich dann zum ersten Mal intensiver damit auseinandergesetzt, wie diese Problematik empirisch untersucht werden kann.
Zuerst habe ich versucht, mir einen Überblick über die Literatur zu verschaffen. Das war allerdings ziemlich ernüchternd. Was Deutschland betrifft, existierten damals fast gar keine aktuellen Daten.
Dabei gab es eigentlich schon seit den 50er und 60er Jahren viele spannende Arbeiten über patriarchale Strukturen in der Landwirtschaft, auch hier an der Uni Hohenheim. Was aber fehlte, waren groß angelegte, systematische Studien und damit harte Zahlen - bis letztes Jahr.
2023 haben Forscherinnen von Uni Göttingen und Thünen-Institut eine umfangreiche Arbeit zur Situation von Frauen in der Landwirtschaft veröffentlichen können, die viele Fragen, die ich auch beim Schreiben meiner Hausarbeit hatte, beleuchtete.
Obwohl es damals noch so schwierig war, an Daten zu kommen, ermutigte mich meine Dozentin, am Thema dranzubleiben. Und so habe ich in meiner Bachelorarbeit 5 Leitfaden-Interviews mit Personen geführt, die sich in einer staatlichen Ausbildung als Gärtner:in oder Landwirt:in befinden bzw. diese Ausbildung bereits abgeschlossen haben.
Die Transkripte habe ich mit Methoden der empirischen Sozialforschung auswertet und mit einer Software für qualitative Datenauswertung auf wiederkehrende Muster hin untersucht.
Auf welche Muster bist du dabei gestoßen?
Alle Befragten berichten von Sexismuserfahrungen während ihrer Ausbildung, sowohl in der Berufsschule als auch auf ihren Ausbildungsbetrieben. Auch eine unterschiedlich stark ausgeprägte queerfeindliche Stimmung zieht sich als roter Faden durch die Interviews.
Weibliche Auszubildende berichten z.B. davon, dass ihnen bestimmte Ausbildungsinhalte vorenthalten wurden, etwa das Schlepperfahren oder das Bedienen großer Maschinen, weil diese Tätigkeiten angeblich "Männersache" seien.
Mehrere von ihnen waren weitgehend auf Bereiche festgelegt, die von den Ausbildern als „Frauenarbeit“ angesehen werden: z.B. der Kälberstall.
Eine Interviewpartnerin brachte es folgendermaßen auf den Punkt: "Die Maschinen, die ich am Ende bedienen konnte, war die Melkanlage und der Kärcher." Das finde ich persönlich wirklich erschreckend, weil der Interviewpartnerin daraus ganz konkrete Nachteile bei ihrem weiteren beruflichen Weg entstanden sind.
Schockiert haben mich auch wiederkehrende Schilderungen über die Gruppendynamik in Berufsschulklassen, die von toxischem männlichen Gehabe geprägt war, und feindselige oder bedrohliche Züge annehmen kann: Pornos, die sexualisierte Gewalt verharmlosen, wurden unter Johlen auf dem Schulhof geteilt. Queerfeindliche Sprüche waren an der Tagesordnung. Nach dem Motto: „Bei uns gibt es so was nicht!“. Auch von Mobbing-Fällen wurde mir berichtet.
Viele Lehrkräfte nehmen so etwas offenbar kommentarlos hin, ohne in irgendeiner Form einzugreifen.
Denkst du denn solche Probleme sind im Berufsfeld Landwirtschaft besonders stark ausgeprägt?
Natürlich sind Sexismus und Queerfeindlichkeit allgemeine gesellschaftliche Probleme. Aber abhängig vom Umfeld können sie sich unterschiedlich stark manifestieren. Und im Fall der Landwirtschaft gibt es definitiv Handlungsbedarf. Das trifft aber sicherlich auch noch auf andere Bereiche zu, die ich jedoch nicht untersucht habe.
Auf keinen Fall will ich das Narrativ bedienen, die Landwirtschaft sei eben ein besonders rückständiger Bereich. Das ist Unsinn und bringt uns keinen Schritt weiter. Stattdessen geht es darum besser zu verstehen, welche Faktoren die Probleme ganz konkret begünstigen und was mögliche Ansatzpunkte sein können, um etwas an der Situation zu verbessern. Genau dazu wollte ich mit meiner Arbeit einen Beitrag leisten.
Kannst du dafür konkrete Beispiele geben?
Die meisten Interview-Parter:innen haben ihre Ausbildung an einem traditionellen, ländlichen Familienbetrieb absolviert. In einem solchen Umfeld halten sich tradierte Geschlechterrollen ganz besonders hartnäckig. Beispielsweise war es vielerorts ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Frauen für Küche & Kochen zuständig sind.
Eine Interview-Partnerin berichtete jedoch, dass diese Aufgaben im Wechsel von allen übernommen wurden – auch von männlichen Kollegen. In der Wahrnehmung der Auszubildenden trug das ganz enorm zu einem guten Klima bei. Sie fühlte sich an ihrem Ausbildungsbetrieb wohl und hatte deutlich weniger Scheu, Probleme offen anzusprechen und sich selbst als Person einzubringen, als andere Befragte.
Eine weitere Besonderheit der landwirtschaftlichen Ausbildung ist, dass die Höfe oftmals recht isoliert liegen und man während der Ausbildung nur sehr wenig Austausch mit anderen Azubis hat.
Wie wirkt sich das aus?
Wenn man Probleme am Ausbildungsbetrieb hat, kann man diese Erfahrungen nicht so einfach mit anderen teilen und man erfährt daher auch kaum Unterstützung aus der eigenen Peergroup. Das kann ein Gefühl des Ausgeliefertseins hervorrufen. Man nimmt unangemessene Behandlung in der Folge eher hin, anstatt sich zu wehren.
Soziale Netzwerke, wie ich sie im Rahmen meiner Recherche gefunden habe, können diese Lücke ein Stück weit füllen. Doch es wäre enorm wichtig, auch im Rahmen der regulären Ausbildung, mehr Austauschmöglichkeiten für die Azubis zu schaffen.
Vor allem aber sollten Ausbilder:innen und Berufsschullehrer:innen besser für die Problematik sensibilisiert werden. Ich finde deshalb, dass das Thema auch an der Uni Hohenheim auf den Lehrplan gehört. Denn viele, die hier Agrarwissenschaft studieren, werden später einmal selbst Azubis haben.
Auch in der empirischen Sozialforschung sollte das Thema unbedingt stärker bearbeitet werden. Nur wenn die bestehende Datenlücke verringert wird, können gezielte Maßnahmen ergriffen werden.
Wir werden berichten. Vielen Dank für diese Einblicke in deine Arbeit!
Interview: Leonhardmair