Sie macht Anbausysteme fit für die Zukunft [14.08.23]
Ob Proteinpflanzen, Fasern für den 3D-Druck oder medizinische Anwendungen – Pflanzenbau muss heute vielen Ansprüchen gerecht werden. Anbausysteme müssen dem Klimawandel trotzen, der Transformation der Ernährung Rechnung tragen und für Artenvielfalt sorgen. Vor diesem Hintergrund führt Prof. Dr. Simone Graeff-Hönninger eine der klassischen Agrar-Disziplinen in die Zukunft. Sie leitet seit Oktober 2022 das Fachgebiet Pflanzenbau an der Universität Hohenheim.
Die Modellierung ist dabei eines ihrer wichtigsten Tools, das sogar manchen Feldversuch ersetzt. Dennoch bleibt die Praxis elementar: Von ihren Studierenden erwartet die Agrarbiologin, dass sie auch mal die Gummistiefel auspacken, um Pflanzen auf dem Acker unmittelbar erleben zu können.
Frau Graeff-Hönninger, was fasziniert Sie am Pflanzenbau?
Vor allem die Vielfalt und die Herausforderungen. Es gibt eine so große Bandbreite an Kulturpflanzen – fast jede Woche ruft jemand bei mir an und hat Fragen zu irgendeiner bestimmten Kulturart, ihren Nutzungsmöglichkeiten oder der Anbauweise. Kürzlich war es der Medizinal-Rhabarber…
Wir sehen daran, dass es einen großen Bedarf an Forschung im Bereich Pflanzenbau gibt. Landwirte erproben eine Vielfalt von Kulturarten, und wenn es Probleme beim Anbau gibt, bedarf es oft noch an Grundlagenforschung. Leider können wir nicht alle Kulturpflanzen bearbeiten.
Pflanzenbau ist ja ein sehr breites Fach im Agrarbereich. Was sind die Themenschwerpunkte der heutigen Zeit?
Die wichtigste Frage ist: Wie müssen wir Anbausysteme für die Zukunft gestalten? Klimawandel und Fragen der Biodiversität sind drängende Herausforderungen, für die wir im Pflanzenbau Lösungen finden müssen. Wie können wir Anbausysteme so gestalten, so dass sie diese Herausforderungen meistern können?
Wie kann das denn aussehen?
Wir überlegen zum Beispiel, welche neuen Kulturarten für einen Anbau in Deutschland in Frage kommen. Welche sorgen für mehr Biodiversität, und welche unterstützen bei der Transformation der Ernährung? Schließlich gibt es immer mehr Veganer:innen und Vegetarier:innen. Wie passen diese Kulturen ins Anbausystem und in die Fruchtfolgen? Und halten sie dem Klimawandel stand? Wir untersuchen auch, wie sich die Anbausysteme ändern, wenn wir weniger Pestizide und Düngemittel einsetzen.
Damit sind wir auch schon beim zweiten großen Thema: der Digitalisierung der Landwirtschaft. Digitale Tools können uns helfen, z.B. Krankheiten früh zu erkennen und den Pestizideinsatz zu reduzieren. Hier untersuchen wir auch, wie wir 5G und diverse Sensoren nutzen können, um Anbausysteme wettbewerbsfähig zu machen, politische Vorgaben (z.B. Düngeverordnung) einzuhalten etc. .
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Und schließlich der dritte große Themenkomplex: die Bioökonomie. Welches bioökonomische Potenzial haben Pflanzen? Wie können wir die Vielfalt an Kulturpflanzen auch für industrielle Anwendungen nutzen, welche Inhaltsstoffe sind hier maßgebend und wir können wir diese im Anbausystem beeinflussen. Es gibt z.B. einen zunehmenden Bedarf an Naturfasern für die Bioökonomie. Zum Beispiel für den 3D-Druck…
…3D-Druck mit Pflanzenfasern?
Ja, für Exoskelette zum Beispiel, aber auch für andere Anwendungen. Jede Anwendung stellt spezifische Anforderungen an die Fasern. Es braucht eine bestimmte Länge oder Elastizität für das Filament. Wir erforschen, welche Pflanzenfaser diese Anforderungen erfüllt und wie wir das im Anbausystem steuern können .
Aber das gesamte Spektrum der möglichen Anwendungen pflanzlicher Rohstoffe ist noch größer, von Kosmetika bis zu medizinischen Anwendungen.
Welche Kulturarten stehen denn bei Ihnen im Fokus?
Neben den klassischen Kulturen auch Lieferanten für pflanzliche Proteine, im Sinne der Transformation der Ernährung. Leguminosen bieten hier einen Ansatz sowie Möglichkeiten mit der zunehmenden Trockenheit klarzukommen: Im Augenblick arbeiten wir mit Kichererbsen. Sie sind trockentolerant und liefern pflanzliche Proteine. Es fehlt aber bisher an konkreten Anbauempfehlungen. Und wir müssen prüfen, wie die Qualität am Ende aussehen muss für Produkte wie Hummus, Kichererbsen in der Dose, Salat oder vegane Schnitzel.
Buchweizen ist eine weitere Kultur, die wir erforschen. Und natürlich Hanf sowohl als Nutzhanf als auch für medizinische Zwecke. Bei allen Projekten ist uns ein ganz konkreter Praxisbezug wichtig. Wir arbeiten meist mit Landwirt:innen und der Industrie zusammen.
Mit welchen Methoden arbeiten Sie?
Methodisch setzen wir auf einen systemorientierten Ansatz. Die Modellierung des Pflanzenwachstums hilft uns vorherzusehen, wie sich Pflanzen verhalten würden, wenn wir z.B. früher aussäen, wenn die Temperatur ansteigt, oder die Niederschläge sich verändern. So können wir abschätzen, ob die Pflanze überhaupt nach Deutschland passt, bevor wir aufwändige Feldversuche machen. Mit der Modellierung können wir auch eine größere Bandbreite an Varianten testen als auf dem Feld, und dies in einem kurzen Zeitfenster.
Hätten Sie für uns ein Beispiel für ein Forschungsprojekt, an dem Sie gerade arbeiten?
Wir begleiten derzeit ein großes Infrastrukturprojekt: die SuedLink-Trasse. Die Stromleitungen werden unterirdisch verlegt, so dass viele landwirtschaftliche Flächen betroffen sind: Es wird ein 1,5 Meter tiefer Graben ausgehoben, das ist ein massiver Baueingriff in den Boden – welche Auswirkungen hat das?
Fachgebiet Pflanzenbau |
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Seit 1.10.2022 leitet Prof. Dr. Simone Graeff-Hönninger das Fachgebiet. Die Bezeichnung änderte sich von „Allgemeiner Pflanzenbau“, nachdem der frühere Leiter Prof. Dr. Wilhelm Claupein in den Ruhestand trat. mehr |
Die Kabel geben Wärme ab: Die Wärme wirkt sich möglicherweise auf den Wasserhaushalt des Bodens aus. Doch haben wir durch höhere Bodentemperaturen nicht auch eine höhere Mineralisierung? Was passiert mit den Nährstoffen? Hat die Temperatur auch direkte Auswirkungen auf Pflanzen? Verändern sich dadurch Erträge und Qualitäten des Erntegutes?
Das sind komplexe Fragen… Können sich denn Studierende an Ihren Forschungsprojekten beteiligen?
Es ist sogar sehr wichtig, dass die Studierenden nicht nur im Hörsaal sind. Wir führen Feldversuche durch, und die Studierenden dürfen die Pflanzen hautnah erleben, nicht nur in der Theorie. Das ist ein wichtiger Bestandteil in der Lehre, vor allem Abschlussarbeiten sind in die Feldforschung eingebunden. Man erlernt dabei nicht nur die Praxis, sondern auch Softskills wie Selbst-Organisation etc. Humboldt Projekte bieten wir übrigens auch regelmäßig an.
Sie haben selbst in Hohenheim studiert, oder?
Ja, ich habe Agrarbiologie studiert. Für die Promotion bin ich nach Gießen gegangen, und dann gerne wieder hierher zurückgekommen. Nun bin ich schon seit 23 Jahren wieder in Hohenheim.
Was kennzeichnet für Sie gute Lehre?
Lehre muss facettenreich und vielfältig sein, und sie muss Theorie und Praxis miteinander verknüpfen. Und selbstverständlich muss man selbst vom Thema begeistert sein, damit der Funke überspringt und es auch den Studierenden Spaß macht.
Die Herausforderung im Pflanzenbau ist, dass es nicht ums Auswendiglernen geht, sondern dass der Systemgedanke verankert werden muss. Eine Maßnahme kann einmal richtig sein, ein andermal jedoch nicht. Um das abwägen zu können, muss man lernen, das Komplettsystem im Auge zu behalten. Wenn ich weniger Stickstoff gebe, habe ich eventuell auch eine Auswirkung auf das Vorkommen an Beikräutern, den Aufwuchs an Biomasse. Damit ändert sich auch die Menge an Ernterückständen, die Nährstoffaufnahme etc., was sich im nächsten Jahr wiederum auf die Nährstoffverfügbarkeit auswirkt etc. Ich muss also das System als Ganzes verstehen.
Haben Sie einen Tipp für Ihre Studierenden, wie man erfolgreich studiert?
Lernen Sie, sich auch mal durch eine Situation durchzubeißen. Wenn irgendetwas nicht sofort klappt, zeigen Sie Standhaftigkeit. Das ist nicht nur fürs Studium wichtig, sondern auch in der Zukunft.
Und wie verbringen Sie Ihre freie Zeit?
Vor allem mit meiner Familie. Ich mache aber auch viel Sport, gehe joggen und wandern und reise gerne. Ich bin allgemein gern viel in der Natur unterwegs.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Graeff-Hönninger!
Interview: Elsner