Intelligente Ställe zum Wohl für Tier und Umwelt  [16.05.21]

Tierwohl, Umwelt und Wirtschaftlichkeit in der konventionellen Landwirtschaft unter einen Hut zu bringen, ist nicht einfach ‒ kann aber durch intelligente Stallsysteme gelingen: Ein Hohenheimer Beitrag aus dem aktuellen Sonderheft „Biointelligenz“ des Magazins „Bild der Wissenschaft“. Von Ursel Stuhlemmer.


Einmal im Jahr widmet sich eine zusätzliche Ausgabe des Magazins „Bild der Wissenschaft“ einem einzigen Thema. In diesem Jahr geht es um „Biointelligenz“. Sie steht für ein System, in dem biologische und technische Prinzipien miteinander verschmelzen und der Verbrauch natürlicher Ressourcen übergeht in einen Kreislauf aus Nutzung, Aufbereitung und Wiederverwertung – kurzum: ein rundum nachhaltiges System. Gemeinsam mit anderen aus der Region Stuttgart berichten Forschende von der Uni Hohenheim darüber, wie dies gelingen kann. Wir stellen die Artikel der Hohenheimer Forschenden in loser Reihe vor.



Themenheft 2021

Bild der Wissenschaft Spezial „Biointelligenz“, ca. 100 Seiten, 8.20 €: jetzt am Kiosk erhältlich

Woher weiß man, ob Schweine sich wohlfühlen? Fragen kann man sie ja nicht. „Sie zeigen uns durch ihr Verhalten, ob es ihnen gut geht oder nicht“, sagt Eva Gallmann, Agrarwissenschaftlerin an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Die Professorin erforscht, wie Landwirte Schweinen auch in großen Tierhaltungen ein artgerechtes Leben ermöglichen und dabei zugleich umweltbewusst und wirtschaftlich sein können. Zusammen mit rund 60 Partnern aus Wissenschaft und Praxis verpackt sie ihre Erkenntnisse in Empfehlungen für den Bau von innovativen Ställen.

Big Data zum Wohl der Tiere

Auch viele Konsumenten wollen heute wissen, wo ihr Fleisch herkommt. Wie wurden die Tiere gehalten, wie wurden sie gefüttert und ging es ihnen gut? Daten vom Tier selbst und aus der Haltungsumgebung können Auskunft auf diese Fragen geben.

An dieser Stelle setzt intelligente Big Data-Analytik an. „Damit können wir große Datenmengen zu diesen Faktoren aus unterschiedlichen Quellen analysieren – und so neue Informationen gewinnen und bisher unbekannte Zusammenhänge aufdecken“, erläutert Stefan Kirn, Professor für Wirtschaftsinformatik in Hohenheim. Gemeinsam mit dem Bildungs- und Wissenszentrum Boxberg haben hierzu die Forschenden den gesamten Stall mit WLAN ausgestattet und Industriecomputer mit Touchscreens installiert. Abteiltemperatur, Lüftungseinstellungen, Wasserdurchfluss oder Futterverbrauch, Konzentrationen von Ammoniak und Feinstaub sind nur einige der Variablen, die in einer digitalen Plattform zusammenfließen und dann für das maschinelle Lernen genutzt werden sollen.

Kompetenzzentrum Biointelligenz

Die Kooperation der Uni Hohenheim mit der Uni Stuttgart, den vier Fraunhofer-Instituten in Stuttgart und dem NMI an der Uni Tübingen wurde Anfang 2019 gegründet. Rund 40 Vertreterinnen und Vertreter dieser renommierten Forschungseinrichtungen arbeiten hier intensiv und interdisziplinär zusammen.

Ein Thema, das die Wissenschaftler beider Fachgebiete besonders interessiert, ist die Frage, wie man frühzeitig gesundheitliche Risiken erkennen kann. Noch steckt allerdings die automatische Überwachung der Tiergesundheit in den Kinderschuhen. Zugrunde liegt die Idee, die Aktivitäten der Tiere aufzuzeichnen und daraus Rückschlüsse auf ihre Gesundheit zu ziehen. Ärger mit dem Buchtennachbar, Kampf um den Zugang zu Wasser, Futter und Beschäftigungsmaterial, gesundheitliche Probleme, zu hohe Schadgasgehalte im Abteil – all das führt nicht nur zu Verletzungen durch Beißereien, sondern oft auch zu Verhaltensauffälligkeiten, die sich digital erfassen lassen.

So kann über Videokameras das Liegeverhalten der Tiere aufgezeichnet und mittels Deep Learning automatisch ausgewertet werden. In einem weiteren Projekt wird die Aktivität der Tiere über Ohrmarken mit eingebauten Transpondern erfasst. Eine Technik mit dem sperrigen Namen ultrahochfrequentes Radiofrequenzidentifikationssystem oder kurz einfach nur UHF-RFID macht das möglich.

Die Idee dahinter erklärt Gallmann so: „Wenn ein Schwein nur noch selten den Trog oder die Tränke aufsucht, stimmt etwas nicht.“ Die Technik erkennt, dass ein Tier weniger läuft als üblich, und löst auf dem Smartphone des Landwirtes Alarm aus. Auf diese Weise können Krankheiten, wie beispielsweise Lahmheit, schneller entdeckt werden. Auch brünstig gewordene Sauen kann der Landwirt leichter finden, wenn er sich das Bewegungsmuster der Sau ansieht: Steht die Sau ständig in der Nähe der Eberbucht, ist das meist ein klares Zeichen.

Blog Biointelligenz

Seit kurzem liefert der Blog des Fraunhofer IPA, an dem die Uni Hohenheim beteiligt ist, wöchentlich Beiträge zur Biologischen Transformation. Schauen Sie doch mal rein!

Sie forschen in Hohenheim und möchten sich beteiligen? Melden Sie sich gern bei der Pressestelle: presse@uni-hohenheim.de

Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz nicht vernachlässigen

Neben dem Schweinewohl stehen aber auch Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz im Fokus der Forschung. „Natürlich ist uns wichtig, dass es den Schweinen gut geht. Aber wir untersuchen auch, wie gleichzeitig die Umweltbelastung möglichst geringgehalten werden kann“, betont Gallmann.

„Mit Hilfe von ausgeklügelten Systemen können wir den Schweinen ein gutes Leben bieten und gleichzeitig die Umwelt weniger belasten“, so die Wissenschaftlerin. Innovative Auslauf- und Entmistungskonzepte helfen, Kot und Harn besser voneinander getrennt zu halten. Wichtig ist ein regelmäßiges Reinigen und Nachstreuen, auch mit Hilfe von Einstreurobotern. Aber auch bauliche Lösungen für Harnablaufrinnen, Bodengefällegestaltung und Entmistungsschieber tragen dazu bei, dass die Bildung von Ammoniak deutlich reduziert werden kann.


Die Forschenden widmen sich dabei immer auch betriebswirtschaftlichen Fragen: „Künstliche Intelligenz kann das betriebliche Management optimieren“, ist Wirtschaftsinformatiker Martin Riekert überzeugt. Im papierlosen Stall der Zukunft entfallen manuelle Schritte, denn die Daten laufen direkt in die Datenplattform ein. „Die Dateneingabe wird so schneller und effizienter“, erklärt der Wissenschaftler. „Daraus entstehen Entscheidungshilfen und Prognosemodelle, die sowohl dem Tierwohl als auch dem betriebsindividuellen Management zugutekommen.“

„Schweinen ein artgerechtes Leben zu ermöglichen und dabei umweltbewusst und wirtschaftlich zu sein ist nicht einfach“, unterstreicht Gallmann. Der erhöhte Aufwand, den die Landwirte haben, macht sich nur bezahlt, wenn die Produkte hinterher auch höherwertig vermarktet werden können – und die Konsumenten bereit sind, diese Preise zu bezahlen.

Text: Ursel Stuhlemmer


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