Zwangsarbeiter in Hohenheim

Veröffentlicht am 12.11.2018

Viele Verbrechen, an denen Hohenheimer während der NZ-Zeit beteiligt sind, bleiben auf dem Campus unsichtbar. Die Opfer sind weit weg: In Polen, Russland oder der Ukraine etwa, wo wissenschaftlich ausgearbeitete Pläne zur Enteignung von Bauernhöfen und der Ansiedlung „volksdeutscher“ Bauern in die Tat umgesetzt werden. Anders verhält es sich mit den knapp 250 Frauen, Männern und Kindern, die während des Kriegs in Hohenheim als Zwangsarbeiter eingesetzt werden. Dennoch ist auch ihr Schicksal heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Denn Unrechtsbewusstsein gegenüber den ausgebeuteten Menschen kommt an der Hochschule auch nach der Kapitulation 1945 nicht auf. Historikerin Dr. Anja Waller will ihnen ihre Geschichte zurückgeben.

Gab es ein Kreuz, einen Grabstein? Nichts deutet darauf hin. Dass unter dem schmalen Grünstreifen am Rand des unieigenen Friedhofs die Gebeine von Isabella Sikorska und Peter Ralintschenko liegen, weiß 70 Jahre später in der Verwaltung der Universität Hohenheim niemand mehr. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes Gras über die Sache gewachsen.

Auf das vergessene Schicksal der beiden Zwangsarbeiter aufmerksam wurde Historikerin Dr. Anja Waller bei ihren Recherchen im Archiv des Suchdienstes des internationalen Roten Kreuz und im Sterberegister des Stadtarchivs. Die Akten belegen, dass beide 1945 in Hohenheim verstorben und auf dem Campus beigesetzt wurden. Auf alten Friedhofsplänen wird die Historikerin daraufhin fündig. In neueren Karten sind die beiden verwilderten Gräber hingegen irgendwann nicht mehr eingezeichnet.

Opfer sollen Gesicht bekommen
Im Jubiläumsjahr ergreift die Universität Hohenheim nun erstmals eine Initiative gegen das Vergessen: Beide Verstorbenen erhalten über 70 Jahre nach ihrer anonymen Beerdigung im Rahmen einer Gedenkveranstaltungen am 20.11. einen Grabstein. Eine Skulptur am Eingang des Uni-Friedhofs soll künftig an das Schicksal der Hohenheimer Zwangsarbeiter erinnern.

„Wie über die meisten der knapp 250 Frauen und Männer, die zwischen 1940 und 1945 in Hohenheim unter Hungerlöhnen zum Arbeitsdienst gezwungen wurden, ist auch über die Biografien von Isabella Sikorska und Peter Ralintschenko nahezu nichts bekannt“, so Waller. „Es war mir in meiner Arbeit deshalb ein ganz besonderes Anliegen, nicht nur Täter zu benennen und Verantwortlichkeiten zu beschreiben, sondern auch den Opfern ihr Gesicht und ihre Geschichte zurückzugeben. Auch wenn dies im Fall der Hohenheimer Zwangsarbeiter auf Grund der extrem schwierigen Quellenlage im vorgegebenen Zeitrahmen nur in Ansätzen und Fragmenten möglich war.“

Gräuel gegen Kriegsende nehmen zu
Die Polin Isabella Sikorska ist 56 Jahre alt als sie im September 1944 in Warschau verhaftet wird. Zuvor hat die polnische Heimatarmee in einem 63-tägigen Aufstand erfolglos versucht sich gegen die deutsche Besatzung zu wehren. Der Warschauer Aufstand wird als größter bewaffneter Widerstand während des zweiten Weltkriegs in die Geschichte eingehen. Es folgen Massenmorde an der Bevölkerung und Deportationen. Isabella Sikorska wird vermutlich zuerst in das Konzentrationslager Bergen-Belsen und danach in das KZ Ravensbrück verschleppt.

Um eine Befreiung durch die herannahenden sowjetischen Truppen zu verhindern, lösen die Nationalsozialisten frontnahe Konzentrationslager in den letzten Kriegsmonaten sukzessive auf und zwingen die Häftlinge zum Abmarsch in Richtung Reichsmitte oder sperren sie zum Abtransport in Eisenbahnwägen. Nicht marschfähige Häftlinge werden dabei in großer Zahl erschossen. Viele erfrieren oder verhungern.

Langer Leidensweg bis nach Hohenheim

Einer der Orte, an denen sich KZ-Insassinnen gegen Kriegsende zusammendrängen, ist das Frauen-KZ Ravensbrück. Von dort wird Isabella Sikorska im März 1945 in einer Gruppe von 120 Frauen und Kindern nach Stuttgart gebracht – vermutlich wegen Überfüllung.

Offenbar sind die Frauen ursprünglich als Zwangsarbeiterinnen für eine Munitionsfabrik der Firma Bosch vorgesehen, doch diese ist zwischenzeitlich durch einen Bombenangriff zerstört worden. Die Zwangsarbeiterinnen werden daher anderweitig verteilt. Die Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim hat wahrscheinlich gerade eine Anfrage offen – und wird bedient.

Die genauen Umstände des Transports von Ravensbrück nach Stuttgart sind nicht bekannt. Feststeht lediglich, dass eine Gruppe von 29 ausgehungerten, entkräften und kranken Frauen sowie Kindern am 13. März in Hohenheim ankommt. Eine Frau ist kurz vor der Ankunft gestorben. Manche, wie die 13-jährige Eulalia Grzymna, die nach dem Warschauer Aufstand zuerst nach Auschwitz und dann nach Ravensbrück deportierte wurde, haben ein besonders langes Martyrium hinter sich.

Isabella Sikorska stirbt 6 Tage nach ihrer Ankunft in Hohenheim. Auf ihrer Sterbeurkunde ist als Todesursache „Herzmuskelschwäche, Pneumonie“ vermerkt.

Kein Unrechtsbewusstsein
„Es waren die letzten Kriegswochen und nur die Allerverblendetsten unter den NS-Anhänger können sich noch Illusionen über den Ausgang des Krieges gemacht haben. Dennoch setzte an der Landwirtschaftlichen Hochschule auch in diesen Stunden offenbar keine Reflexion, kein Mitgefühl ein“, so Waller. „Man beschwerte sich über die schlechte Arbeitsleistung und den hohen Krankenstand der Neuankömmlinge, der es in vielen Fällen unmöglich machte, dass sie, wie vorgesehen, in der Landwirtschaft eingesetzt werden konnten. Das unfassbare Leid, das die ehemaligen KZ-Insassinnen hinter sich hatten, interessierte hingegen nicht. Selbst nach der Kapitulation Deutschlands gab es an der Hochschule in Bezug auf die Zwangsarbeiter keinerlei Unrechtsbewusstsein. Man hatte ja schließlich nur von einer einstmals legalen Option Gebrauch gemacht.“

Gelockt, verschleppt, deportiert
Insgesamt setzt die Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim zwischen 1940 und 1945 mindestens 242 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ein, knapp zwei Drittel davon sind Frauen. Zumeist handelt es sich um junge Erwachsende, aber auch Kinder und Jugendliche werden zum Arbeitsdienst gezwungen. Zudem gibt es fünf Kleinkinder zwischen 0 und 3 Jahren, die gemeinsam mit ihren Müttern nach Hohenheim gebracht wurden oder während ihres Aufenthalts in Deutschland geboren wurden. Die älteste Zwangsarbeiterin in Hohenheim ist 69 Jahre alt.

Die Art und Weise wie die Menschen in der Zwangsarbeit gelandet sind unterscheidet sich stark. Es sind Kriegsgefangene darunter und Menschen, die auf offener Straße überwältigt und verschleppt wurden. Bei etlichen bleibt die Herkunft komplett im Dunkeln. Gerade in der Anfangszeit wurden allerdings auch zahlreichen Menschen unter Vorspielen falscher Tatsachen nach Deutschland gelockt.
 
„Die Begriffe ‚Anwerben‘ und ‚Freiwilligkeit‘ müssen in diesem Zusammenhang jedoch wirklich in Anführungszeichen gesetzt werden“, betont Waller. „Durch die nationalsozialistische Besatzungspolitik haben z.B. in Polen viele Menschen ihre Existenzgrundlage verloren. Vor Ort hätte ihnen ebenfalls in vielen Fällen Zwangsarbeit gedroht. Unter diesen Umständen verfangen Versprechen über vermeintlich bessere Arbeitsbedingungen in Deutschland zunächst. Als dann aber nach und nach durchsickert, wie die Realität in Deutschland tatsächlich aussieht, findet die NS-Besatzung keine ‚Freiwilligen‘ mehr.“

Persönlicher Kontakt soll unterbunden werden
Auch auf inoffiziellen Wegen kommen Zwangsarbeiterinnen nach Hohenheim. Beispielsweise bringt der Hohenheimer Professor Gustav Rösch, der zu jener Zeit zur Waffen-SS einberufen und dem SS-Ansiedlungsstab in Posen zugewiesen wird, von seinem Auslandseinsatz 1940 die Polin Marianne Skowronska mit. Sie arbeitet bis Kriegsende als seine persönliche Hausangestellte.

„Eigentlich will das NS-Regime unter allen Umständen vermeiden, dass es zu persönlichem Kontakt zwischen Deutschen und den Zwangsarbeitern kommt. Dazu werden zahlreiche Regelungen erlassen und entsprechende Vorkehrungen getroffen. Auch der Einsatz in Privathaushalten ist aus diesem Grund zunächst untersagt“, erklärt Waller. „Vermutlich war das Vorgehen Röschs jedoch kein Einzelfall, so dass der Einsatz ausländischer Hausmädchen 1942 für gesinnungstreue Parteigenossen nachträglich legalisiert wird.“

„Bestellung“ übers Arbeitsamt

Im Normalfall erfolgt die „Bestellung“ der Billigarbeitskräfte per Formular ans städtische Arbeitsamt.

Dort werden sie – je nach Herkunft – unter harmlos klingenden Bezeichnungen wie „Ausländische Zivilarbeiter“, „Ostarbeiter“ oder „Westarbeiter“ geführt. Für jede Gruppe gelten andere, exakt definierte Richtlinien für die Behandlung und die Bezahlung, die sich an der NS-Rassenhierarchie orientieren. Zwangsarbeiter mit „germanischer Abstammung“ sind dabei bessergestellt als „fremdländische Völker“.

Die Hohenheimer Zwangsarbeiter kommen aus mindestens 12 verschiedenen Ländern. Die meisten aus Russland, Polen und der Ukraine, weitere aus Frankreich, Tschechien und Armenien. Eingesetzt werden sie in erster Linie in der Landwirtschaft, aber auch an Instituten, im Schloss oder in der Gartenbauschule, später auch in Privathaushalten.

Landwirtschaft wird zum Experimentierfeld

Das System der Zwangsarbeitervermittlung ist von langer Hand geplant. Bereits Jahre vor dem Krieg lässt das NS-Regime umfassende Pläne zum Einsatz von Kriegsgefangenen ausarbeiten, um zu erwartende Engpässe in der Landwirtschaft abzufedern. Ab 1940 werden diese Pläne ohne nennenswerte Verzögerungen effizient in der Praxis umgesetzt.

„Als klar wird, dass der Bedarf in der Landwirtschaft noch größer ist als ursprünglich angenommen – und auch in der Industrie dringend benötigte Arbeitskräfte fehlen, wird das Modell systematisch ausgeweitet und neue Wege der Rekrutierung etabliert. Die frühe Phase der landwirtschaftlichen Zwangsarbeit kann dabei als eine Art Experimentierfeld angesehen werden, auf dem man Erfahrungen für andere Bereiche sammelte“, so Waller.

Hohenheim wird großzügig berücksichtigt
Die Institute der landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim machen von der neuen Möglichkeit von Beginn an umfassend Gebrauch.

Als angehende nationalsozialistische Musteranstalt findet man dabei offenbar einen besonderen Draht zu den Behörden. Hohenheimer Rektoren werden u.a. auch persönlich beim Arbeitsamt vorstellig, um den Hohenheimer Bedarf zu erläutern und Sonderwünsche vorzutragen. Tatsächlich finden sich unter den Hohenheimer Zwangsarbeitern viele mit landwirtschaftlichem Hintergrund oder sogar einer agrarwissenschaftlichen Ausbildung.

Nicht alle der knapp 250 Zwangsarbeiter, die während des Krieges in Hohenheim eingesetzt werden, sind gleichzeitig vor Ort. Einige bleiben nur eine Erntesaison, andere mehrere Jahre bis Kriegsende. Die genaue Aufenthaltsdauer lässt sich in vielen Fällen nicht rekonstruieren. Es ist anzunehmen, dass sich die Einsatzorte je nach saisonalem Bedarf in der Landwirtschaft ändern.

 „Führt man sich vor Augen, dass im Sommersemester 1942 nur noch 51 Studenten eingeschrieben und 8 von 12 Professoren zur Wehrmacht eingezogen sind, wird dennoch klar, wie präsent die Zwangsarbeiter in Hohenheim gewesen sein müssen“, so Waller. „Ihre vergleichsweise große Anzahl kann als weiterer Beleg für die hohe Bedeutung angesehen werden, die der Hochschule und der Disziplin Agrarwissenschaft seitens des NS-Regimes bis zuletzt beigemessen wurde.“

Lebensumstände bleiben im Dunkeln
Die Zwangsarbeiter großer Firmen, etwa der Daimler-Benz-AG, leben zumeist zusammengepfercht in Massenunterkünften und erfahren nur unzureichende medizinische Versorgung durch Ärzte aus den eigenen Reihen. An der Landwirtschaftlichen Hochschule zeichnet sich diesbezüglich hingegen ein etwas anders Bild.

Die Unterkünfte befinden sich je nach Einsatzort verteilt über das Hochschulgelände oder auf weiter entfernten Versuchsfeldern. Gebäude wie das „Römische Wirtshaus“ im Exotischen Garten werden ebenso umfunktioniert, wie einfache Scheunen, Lager oder verfügbare Räume an Instituten. Über die Errichtung einer zentralen Baracke wird an der Hochschule zwar diskutiert, allerdings sieht man letztlich davon ab, u.a. da man befürchtet, dass der Bau zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde.

„Die konkreten Lebensumstände der Hohenheimer Zwangsarbeiter lassen sich auf Grund der schlechten Quellenlage nur in Ansätzen rekonstruieren. Insbesondere die Heizmittelversorgung in den Unterkünften scheint allerdings ein gravierendes Problem gewesen zu sein“, berichtet Waller. „So sorgte z.B. ein Vorfall in einer Unterkunft an der Garbe für Unmut, bei dem ukrainische Zwangsarbeiter Teile ihrer Bettgestelle sowie Strohsäcke zum Heizen benutzt haben sollen.“

Medizinische Versorgung

Da es unter den Hohenheimer Zwangsarbeitern keinen Arzt gibt, findet die medizinische Behandlung, sofern unumgänglich, durch den Plieninger Hausarzt statt.

„Allerdings war der gesundheitliche Zustand der Zwangsarbeiter nur dann von Belang, wenn dadurch die Produktivität gefährdet war“, betont Waller. „Gewissermaßen stellten die Zwangsarbeiter für die Hochschule ‚Arbeitsgeräte‘ dar, die es allenfalls so zu pflegen galt, wie man sich um die Funktionalität eines Traktors oder eines Gewächshauses kümmern musste.“

Bezeichnend dafür kann auch der Umgang mit dem tödlichen Unfall des russischen Zwangsarbeiters Peter Ralintschenko angesehen werden, der sich am 22. Februar 1945 im Tierzuchtinstitut ereignet.
 
„Peter Ralintschenko befand sich zum Zeitpunkt des Unfalls knapp ein Jahr in Hohenheim. Ebenso wie die ehemalige KZ-Insassin Isabella Sikorska wurde er vier Tage nach seinem Tod ohne Grabstein auf dem Friedhof der Hochschule beigesetzt. Weitere Aufzeichnungen, Unterlagen oder Informationen über den Todesfall finden sich im Archiv der Universität nicht“, so Waller.

Widerstand und Flucht
Aufbegehren und Widerstand unter den Hohenheimer Zwangsarbeiter findet offenbar lediglich in Einzelfällen statt. Belegt ist beispielsweise der Fall zweier kroatischer Arbeiter in der Forschungs- und Lehrmolkerei, die wiederholt Rahm in dem Abguss laufen lassen und Butter entwenden. Ihr Verhalten wird durch Schläge geahndet. Da ihre Arbeitskraft dringend benötigt wird, bleiben weitere Konsequenzen jedoch aus.

Was Zwangsarbeitern, die sich nicht an die Regeln halten, im Extremfall blühen kann, zeigt hingegen ein Vorfall in der unmittelbaren Umgebung der Hochschule: Zwei polnische Zwangsarbeiter, die an örtlichen Bauernhöfen im Einsatz stehen, werden von der Gestapo verhaftet und im Remsbachtal zwischen Birkach und Hoftal gehängt. Offenbar haben sie sich zuvor an der Garbe unerlaubterweise mit Frauen getroffen und ihnen gestohlene Wäsche zum Geschenk gemacht.

Trotz aller drohenden Konsequenzen versuchen drei Hohenheimer Zwangsarbeiter ihrem Schicksal durch Flucht zu entgehen.

Details ihrer Geschichte bleiben im Dunkeln. Mindestens zwei von ihnen werden allerdings zu einem späteren Zeitpunkt erneut durch die Nationalsozialisten aufgegriffen: Der französische Kriegsgefangene Alfred Meger, der 17 Monate in der Hohenheimer Gartenbauschule gearbeitet hatte, findet sich wenige Monate später erneut als Zwangsarbeiter bei den Wieland-Werken in Ulm wieder. Der Kroate Marco Varenina, der vier Monate lang in der Hohenheimer Versuchs- und Lehrmolkerei eingesetzt worden war, ist 1945 Insasse im Starnberger Außenlager des KZ Dachau.

Über den Verbleib des dritten Geflüchteten, Marko Ratkovic, der zuvor ebenfalls in der Hohenheimer Molkerei gearbeitete hat, ist bis Kriegsende nichts bekannt.

Von Zwangsarbeitern zu „displaced persons“
Nach dem Einmarsch der französischen Truppen in Hohenheim und der kurz darauffolgenden Kapitulation Deutschlands kehrt nur ein Teil der ehemaligen Zwangsarbeiter in ihre Heimatländer zurück.

„Neben den kranken und zum Teil alten ehemaligen KZ-Insassinnen blieben in den Nachkriegsjahren insbesondere Menschen aus der Ukraine und aus Armenien in Hohenheim, deren Staaten nun ihre Souveränität verloren hatten. In der Sowjetunion hätte ihnen unter Umständen eine erneute Inhaftierung gedroht“, erklärt Waller. „Trotz des Verlustes ihrer Heimat und ihrer Selbstbestimmung haben sich unter den verschleppten Frauen und Männern in den Kriegsjahren zudem Paare gefunden und es wurden Kinder geboren. Einige hofften nach dem Krieg nun auf ein besseres Leben und bereiteten ihre Ausreise in die USA oder nach Australien vor.“

Die US-Militärregierung verpflichtet die Hochschule für die Verpflegung der ehemaligen Zwangsarbeiter zu sorgen. Wie gering das Unrechtsbewusstsein hier auch zu diesem Zeitpunkt noch ausgeprägt ist, zeigen mehrere Beschwerdeschreiben des Übergangsrektors Adolf Münzinger an den zuständigen Kommandanten im Jahr 1945.

Dessen Antwort fällt schließlich jedoch deutlich aus:

„Diese Dienststelle ist sich vollkommen der Schwierigkeiten bewusst, die durch die Gegenwart der verschleppten Personen in der Stadt Stuttgart entstehen. Jedoch, da diese Personen gegen ihren Willen durch Deutsche nach Deutschland gebracht worden sind, überarbeitet, unterernährt, misshandelt und in vielen Fällen gequält worden sind, deren Familien auseinandergerissen, deren Häuser zerstört wurden, die demoralisiert wurden usw., sind wir der Meinung, dass alles Ungemach, das der deutschen Bevölkerung verursacht wird, dagegen von geringer Bedeutung ist.“

In den folgenden Jahrzehnten wird das Kapitel „Zwangsarbeiter“ an der Hochschule nicht mehr thematisiert.