WissZeitVG: Stimmen aus Hohenheim

Befristungen: Reformpläne in der Kritik  [24.03.23]

Bild: envatoelements | LightFieldStudios

„Verschlimmbesserung“, „realitätsfern“, „zu kurz gegriffen“: Postdocs und Promovierende haben gespannt darauf gewartet, wie die Ampel-Regierung ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen will, die Arbeitsbedingungen im wissenschaftlichen Mittelbau durch eine Gesetzesreform zu verbessern. Ein erstes Eckpunktepapier erntet nun Kritik von vielen Seiten. Der Online-Kurier hat Stimmen aus Hohenheim eingeholt.


Nirgendwo sonst gibt es so viele befristete Arbeitsverträge wie in der Wissenschaft. Möglich macht das ein spezielles Arbeitsrecht, das sogenannte Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Begründet wird die Sonderregelung damit, dass die Arbeit in Forschung und Lehre der eigenen Qualifikation diene.

Was die befristeten Arbeitsverträge in der Realität bedeuten – in einer Lebensphase, in der üblicherweise Dinge wie Familienplanung oder der Erwerb einer Wohnung anstehen – beklagen junge Forschende seit knapp zwei Jahren u.a. unter dem Hashtag #IchBinHanna auf Twitter. Sie sehen die Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Deutschland in Gefahr.

Die Ampel-Regierung hat im Koalitionsvertrag eine Reform des WissZeitVG angekündigt, die mehr Planbarkeit und Verbindlichkeit für Forschende in der Qualifizierungsphase schaffen soll. Wie eine solche Reform konkret aussehen könnte, war bis letzte Woche allerdings völlig offen. Das Ministerium hatte sich mit Aussagen dazu bewusst zurückgehalten, da zunächst intensive Gespräche mit Stakeholdern geführt werden sollten.

Eckpunkte im Überblick

Am Freitag vor einer Woche präsentierte das BMBF schließlich ein erstes Eckpunktepapier. Die wichtigsten Punkte im Überblick:

  • Die Reform sieht erstmals Mindestlaufzeiten für die Erstverträge von Promovierenden (3 Jahren) und Postdocs (2 Jahre) vor. Den Hochschulen bleibt jedoch Spielraum („Soll-Vorschrift“)
  • Die Höchbefristungsdauer bleibt für Promovierende wie bisher bei insgesamt 6 Jahren. Für Postdocs soll die maximale Befristungszeit von 6 auf 3 Jahre abgesenkt werden. Das soll schneller Klarheit schaffen, ob der Karriereweg Professur tatsächlich in Frage kommt.
  • Verträge für studentische Hilfskräfte sollen mindestens ein Jahr laufen („Soll-Vorschrift“). Die Höchstbefristungsdauer wird auf 8 Jahre angehoben.

Zum kompletten Eckpunktepapier

Rolle rückwärts?


Der Großteil der Reaktionen auf das Eckpunktepapier fällt vernichtend aus. Akteure der #IchBinHanna-Debatte haben für den heutigen Freitag zu einer Demonstration in Berlin aufgerufen.

Neben Postdocs und Promovierenden solidarisierten sich auch zahlreiche Professor:innen unter dem Hashtag #ProfsFürHanna und in einer ausführlichen Stellungnahme („Nivellierung statt Novellierung“). Auch mehrere Profs der Uni Hohenheim haben das Papier unterzeichnet.

Die Hochschulrektoren-Konferenz bewertet das Eckpunktepapier insgesamt etwas moderater, äußert jedoch ebenfalls Kritik (zur HRK-Stellungnahme)

Ob das Eckpunktepapier in der jetzigen Fassung zu einem Referentenentwurf ausgearbeitet wird, ist angesichts der breiten Kritik inzwischen fraglich. Bereits vergangenen Sonntag teilte Staatssekretärin Prof. Dr. Sabine Döring via Twitter mit, der Reformvorschlag müsse „zurück in den Maschinenraum“.

Eine neue Diskussionsrunde ist für den 30.3. angekündigt. Teilnehmen sollen daran u.a. Gewerkschaften, Beschäftigteninitiativen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die Diskussion soll via Live-Stream übertragen werden.

Stimmen aus Hohenheim


Dr. Fabian Wahl, akademischer Mittelbau Konvent

„Das bisherige Eckpunkte-Papier zum neuen WissZeitVG ist schockierend und würde, sollte es so umgesetzt werden, die Konkurrenzfähigkeit, Produktivität und Zukunftsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland gefährden. Schon jetzt ist Deutschland aufgrund mangelnder Karrierewege außerhalb der Professur und einer Beschränkung von Entfristungsmöglichkeiten im Kampf um junge Forschende zunehmend weniger wettbewerbsfähig.

Dies würde nun noch einmal deutlich verstärkt.

Es ist realitätsfremd, zu glauben, in drei Jahren nach der Promotion bereits die für eine Professur nötigen Publikations-, Forschungs- und Lehrerfahrung gesammelt zu haben. Im Ausland, z.B. in den Niederlanden, geht man den umgekehrten Weg zu Deutschland: Dort wurde beschlossen, dass alle Forschenden an Universitäten nach einem Jahr entfristet werden müssen.

Die Zukunft sollte in Deutschland in eine ähnliche Richtung gehen, ob man nun ein System wie in UK oder den USA schafft, sei dahingestellt. Es braucht jedenfalls eine grundsätzliche Neuorganisation der Karrierewege in der Wissenschaft, welche nicht so sein kann, dass es bei einem Up-or-Out bleibt.“


Prof. Dr. Jana Seifert


„Ich habe die Stellungnahme der Professor:innen unterschrieben, da ich über den Entwurf zur Reform des WissZeitVG entrüstet war. Der Text fasst meiner Einschätzung nach die Probleme sehr treffend zusammen. Insbesondere die 3-Jahres-Befristung für Postdocs ist unzumutbar und macht den Wissenschaftsstandort Deutschland noch unattraktiver als er ohnehin bereits ist.

Die Industrie bietet für unsere Absolvent:innen in den Natur- und Agrarwissenschaften sehr gute Entlohnung, interessante Tätigkeitsfelder und Dauerstellen – auch ohne Promotion. Dagegen können wir uns als Universität auf dem Arbeitsmarkt immer schwerer behaupten. Ohne eine langfristige Perspektive, z.B. ein erhöhter Anteil an Dauerstellen, werden uns die ‚Köpfe der Zukunft‘ sehr bald verlassen.

Kritisch sehe ich u.a. auch den Vorschlag, die Mindestbeschäftigung für studentische Hilfskräfte auf ein Jahr zu setzen. Oft haben wir im Rahmen von Projekten nur die Möglichkeit, zeitlich befristete Aufgaben zu vergeben, wie z.B. Feldarbeiten im Sommer oder die Betreuung von Tutorien. Diese können nicht mit einem Jahresvertrag geregelt werden – und könnten dann entsprechend nicht mehr als Hiwi-Jobs ausgeschrieben werden.

Nach meiner Erfahrung sind Studierende z.T. selbst stark an diesen kurzfristigeren HiWi-Verträgen interessiert, da sie ihnen größere Flexibilität erlauben. Dieses Thema sollte deshalb unbedingt auch direkt mit Studierenden diskutiert werden.“


Dr. Katrin Scheffer, Kanzlerin


„Ich teile die Kritik, dass uns die vorgelegten Eckpunkte kaum voranbringen. In Teilen stellen sie sogar Rückschritte dar, z.B. ist eine maximale Befristung von 3 Jahren für Postdocs zu kurz, um zu beurteilen, ob der Karriereweg Professur in Frage kommt.

Mit Blick auf die aktuelle Debatte, drängt sich aber auch die Frage auf: Was kann eine Reform des WissZeitVG allein überhaupt bewirken?

Wenn der Bund die Regeln für Befristungen ändert, werden dadurch ja noch keine zusätzlichen Dauerstellen geschaffen. Das Haushaltsrecht in BaWü sieht vor, dass dafür Haushaltsstellen notwendig sind, die vom Land bewilligt und finanziert werden müssen. Die dafür erforderliche Grundfinanzierung im Uni-Haushalt ist in den letzten Jahrzehnten im Verhältnis zu den Aufgaben und gestiegenen Kosten jedoch gesunken. Befristete Programme und Drittmittel haben zugenommen.

Die politischen Forderungen müssen also eigentlich hier ansetzen.

Ein erster pragmatischer Schritt wäre eine Reform der Bestimmungen des BMBF als Drittmittelgeber. Bisher gilt: Für jedes neue Projekt müssen Personen neu eingestellt werden – befristet auf die Projektlaufzeit. Sinnvoller wäre es, dass auch festangestellte Wissenschaftler:innen in Drittmittelprojekten finanziert werden dürfen und Unis die Mittel flexibler einsetzen dürfen.

Generell gebe ich zu bedenken: Die hitzige Diskussion um mehr Dauerstellen verliert gelegentlich die Realitäten aus dem Blick. Selbst wenn wir 100 zusätzliche Dauerstellen finanziert bekämen, könnten wir jährlich nur eine Handvoll Personen unbefristet einstellen. Denn Dauerstellen sind in Regel ca. 30 Jahre besetzt. Die meisten Postdocs würden also nicht profitieren.

Als Uni verstehen wir uns zudem als Qualifizierungseinrichtung. Wir wollen jeder Generation ermöglichen, Erfahrungen in Forschung und Lehre zu sammeln. Befristete Verträge sind aus diesem Grund auch künftig notwendig. Wir sollten den Fokus daher eher darauf legen, wie wir befristete Verträge vernünftig und verantwortungsvoll ausgestalten.“

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