Fragwürdiger Protest
Nazivergleich an der Stallwand [03.08.21]

Das Schild am Versuchsstall wurde inzwischen entfernt. Bild: Uni Hohenheim.
„Wer gibt Dir das Recht?“ steht in der 1. Zeile eines Schildes, das Unbekannte am Wochenende an die Wand eines Versuchsstalles der Uni klebten. Darunter als 2. Zeile „Dr. Mengele“. Die Unileitung äußert sich verwundert über die anonyme Frage: Schließlich sei die Uni bislang immer bereit gewesen, Fragen zum Thema Tierversuche öffentlich zu diskutieren. Die 2. Zeile verurteilte sie als geschmacklos und zynisch. Wegen der Schäden am Fassadenputz erstattet die Uni Anzeige.
Die erste Zeile auf dem Schild sei eine Frage, vor der sich die Universität auf keinen Fall drücken wolle, erklärte Julia Fritz-Steuber als Prorektorin für Forschung und stellvertretend für die Unileitung.
„Juristisch ist die Frage schnell beantwortet: Das Recht zu Tierversuchen in der Forschung ergibt sich aus dem Grundgesetz, das die Freiheit von Wissenschaft verbrieft. Die Frage, warum es Tierversuche braucht, ist aber auch eine ethisch-philosophische Frage, die wir immer wieder in der Wissenschaft, in Lehrveranstaltungen und im Dialog mit der Gesellschaft diskutieren“, so Fritz-Steuber.
In Hohenheim gäbe es v.a. zwei Forschungsrichtungen: Die Hohenheimer Agrarwissenschaften suchen nach Erkenntnissen, die die Nutztierhaltung nachhaltiger machen sollen. Dazu gehören Gesundheit und Wohlbefinden der Tiere, nachhaltigere Futterproduktion und –verwertung sowie verbesserte Ökobilanzen. Die Hohenheimer Naturwissenschaften erforschten biologische Grundlagen mit Relevanz für Medizin und Prävention. In gemeinsamen Projekten arbeiteten auch Forschende beider Richtungen miteinander und gewännen so zusätzlichen Mehrwert.
Was passiert beim Tierversuch? |
Fast 90 % der Tierversuche an der Uni Hohenheim werden als leicht eingestuft. Dabei werden Schweine mit neuartigen Ohrmarken versehen, Ferkeln wird Blut abgenommen, um zu sehen, ob sie auf neue Objekte im Stall mit Stress reagieren. Kühe erhalten einen Halfter, der ihre Kaubewegungen aufzeichnet.
Als Versuch mittleren Schweregrades gilt, wenn z.B. Siebenschläfer in freier Wildbahn gefangen und markiert werden.
Getötet werden Versuchstiere z.B. dann, wenn ihnen Muskeln, Nerven oder Teile des Verdauungsapparats für anschließende Untersuchungen entnommen werden müssen. Das war bei der jüngsten Statistik für 2020 bei 8% der Tierversuchen der Fall.
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„Um das zu erfahren, hätte es allerdings kein anonymes Schild gebraucht. Es ist die Politik der Uni Hohenheim, dass wir uns keiner Anfrage verweigern. Egal ob sie mündlich, per Brief oder als Social Media-Kommentar an uns herangetragen wird“, kommentiert Fritz-Steuber. Auf diese Politik habe sich die gesamte Uni schon vor Jahren in ihren Leitlinien für Tierversuche geeinigt.
Über Tierversuche informiere die Universität auch mit einer eigenen Homepage www.uni-hohenheim.de/tierversuche und in Pressemitteilungen. Vergangene Woche stellten sich Unileitung und Wissenschaftler:innen zwei Stunden lang in einer Online-Veranstaltung aus der Reihe „Hohenheim Live“ den Fragen von Universitätsangehörigen.
„Dieses anprangernde Schild zeigt uns auf, dass eine ähnliche Veranstaltung für die breite Öffentlichkeit nötig wäre, um darzulegen, woran wir aus welchen Gründen forschen, und warum ein Teil dieser Forschung an Tieren durchgeführt wird.“
„Nazi-Vergleich ist außerhalb jeder ethischen Norm“
Mit blankem Unverständnis reagiert die Vertreterin der Unileitung auf die 2. Zeile auf dem Schild: „Dr. Mengele“.
„Josef Mengele war ein Kriegsverbrecher, der im Konzentrationslager Ausschwitz-Birkenau die Folter und die Ermordung von mehr als einer Million Menschen mitverantwortet hat“, betont Fritz-Steuber.
In einer Gesellschaft, die Nutztiere vor allem als Nahrungsquelle halte, verunglimpfe der Name Mengele alle Wissenschaftler:innen, die Tierversuche nur als einen Ansatz neben Ersatzmethoden, Laborversuchen, Biostatistik und vielen anderen Techniken verfolgen – und vor jedem Tierversuch abwägten, ob sich dieser nicht ersetzen lasse, wie viele Tiere es maximal brauche und wie sich die Belastung möglichst gering halten ließe.
„Noch viel schlimmer finde ich, dass die Verknüpfung des Schildes mit Josef Mengele die Gräueltaten an Millionen Menschen während des Nationalsozialismus relativiert – womit die ganze Aktion tatsächlich außerhalb jeder ethischen Norm steht.“
Uni erstattet Anzeige
Die Universität bereitet eine Anzeige wegen Sachbeschädigung vor. Grund: Das Schild war mit Silikon direkt auf den Putz einer Außenfassade geklebt und diese zeigt jetzt entsprechende Schäden.
„Für diese Schäden werden wir vom Finanzministerium keinen Cent extra erhalten. Die Reparatur geht zu Lasten unseres Bau-Etats und fehlt uns an anderer Stelle – genauso wie die Zeit, die wir und das Unibauamt nun damit verbringen müssen“, erklärt Fritz-Steuber.
„Beides hätten wir lieber dafür verwendet, andere Bauten voranzutreiben wie z.B. unseren künftigen Abferkelstall, der Muttersauen und Ferkeln mehr Bewegungsfreiheit und Wärmenester bietet und der dank Wärmetauscher das Stallklima zusammen mit der Energiebilanz verbessert.“
Text: Klebs / Leonhardmair