Nachhaltig leben: Je geringer der Aufwand, desto mehr Menschen tun es  [04.09.23]

Weniger Müll mit Unverpacktläden: Studierende der Universität Hohenheim haben untersucht, wie sich eine genügsame Einstellung auf das tatsächliche Verhalten auswirkt. | Bildquelle: Werner - stock.adobe.com

Studierenden-Projekt der Universität Hohenheim zeigt: Beim ressourcenschonenden Verhalten deckt sich die Einstellung nicht immer mit der tatsächlichen Umsetzung

Auch Menschen, die einen ressourcenschonenden Lebensstil befürworten, schaffen es nicht immer, ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Wie leicht oder wie schwer ihnen dies fällt, hängt vor allem vom Aufwand ab, den sie dafür betreiben müssen. Zu diesem Schluss kommt ein Studierenden-Projekt an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Dort spielt forschendes Lernen eine große Rolle. So können Studierende schon im Grundstudium in den Forschungsalltag eintauchen und eigene Projekte realisieren.


Vor allem in den westlich orientierten Ländern treffen Menschen jeden Tag Milliarden von Konsumentscheidungen – mit entsprechenden Auswirkungen für Klima, Umwelt und Natur. Dass es eines Umdenkens im Umgang mit den natürlichen Ressourcen bedarf, dürfte den meisten Menschen klar sein. Doch das eigene Verhalten in Frage zu stellen, fällt vielen schwer: Den Gedanken, den eigenen Lebensstil zu ändern und auf Waren und Dienstleistungen zu verzichten, empfinden viele als Rückschritt und Verzicht.

„Dabei ist der Verzicht beim Kauf von Konsumgütern alles andere als ein Rückschritt oder ein Zeichen von Mangel. Auch mit einem geringen Verbrauch von Ressourcen kann man gut leben “, sagt Jun.-Prof. Dr. Laura Henn vom Fachgebiet Nachhaltiges Handeln und Wirtschaften. Die dahinterstehende Einstellung bezeichnen Fachleute als Suffizienz.


Suffizienz: Ressourcenschonender Lebensstil ohne Einbußen an Lebensqualität

„Suffizienz bedeutet, das eigene Handeln bewusst danach auszurichten, nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen als unbedingt nötig – ohne dabei an Lebensqualität einzubüßen“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Oder vereinfacht ausgedrückt: Suffizient leben bedeutet eigentlich gut leben – gut für einen selbst und gut für die Umwelt.“

Suffizient lebende Menschen kaufen bewusster, teilen, tauschen oder reparieren, um ihre Bedürfnisse mit weniger Ressourcenverbrauch genauso gut zu befriedigen. Praktisch kann dies heißen, dass sie weniger Flugreisen unternehmen, weniger Energie verbrauchen oder weniger Fleisch essen, aber auch, dass diese Menschen auf den Besitz von Gegenständen verzichten oder zumindest möglichst langlebige Produkte kaufen. So sparen sie Ressourcen und halten ihren eigenen ökologischen Fußabdruck möglichst klein.


Decken sich Anspruch und tatsächliches Verhalten?

Doch wie sieht es im Alltag aus? Folgen Menschen im Alltag ihrer Einstellung und achten jene Personen, die besonders suffizienzorientiert sind, auch verstärkt auf den Ressourcenverbrauch ihres Verhaltens? Dieser Frage sind Studierende im vierten Semester des Studiengangs „Sustainability & Change“ an der Universität Hohenheim in einem Forschungspraktikum nachgegangen.

Unter Anleitung von Jun.-Prof. Dr. Henn beschäftigten sich die Studierenden in sechs Kleingruppen damit, wie die Suffizienzorientierung von Menschen erfasst werden kann. Sie untersuchten anhand von selbstgewählten Beispielen, ob Menschen, die darin besonders hohe Werte aufweisen, auch ein nachhaltigeres Verhalten zeigen.


Aufwand entscheidet über tatsächliches Einkaufsverhalten

Ein Ergebnis der Studierenden: Je weniger aufwändig ressourcenschonendes Verhalten, desto eher und häufiger wird es umgesetzt. So haben Menschen, die in Unverpacktläden einkaufen, um möglichst viel Müll zu vermeiden, nicht nur eine höhere Suffizienzeinstellung. Sie kaufen dort auch umso häufiger ein, je höher diese ist.

Für die Studierenden ein Hinweis darauf, dass vor allem Personen mit einer hohen Motivation bereit sind, einen höheren Aufwand zu betreiben. „Einkaufen in einem Unverpacktladen ist anders als in einem Supermarkt“, erläutert Janne Hoefer. „Die Menschen müssen viel stärker im Voraus planen, was und wie viel sie einkaufen wollen, und entsprechende Gefäße mitbringen.“

„Auffällig war auch, dass die Einkaufshäufigkeit mit steigendem Alter zunahm“, ergänzt Luis Nollenberger. Generell sind nach den Beobachtungen der Studierenden die häufigsten Kunden in Unverpacktläden junge Familien.


Foodsharing benötigt hohe Motivation

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine andere Gruppe von Studierenden. Sie untersuchten, wie wichtig es Menschen ist, die Verschwendung von Lebensmitteln zu vermeiden. Also beispielsweise ihre Einkäufe bzw. Mahlzeiten zu planen, Lebensmittel nicht wegzuschmeißen, Reste zu verwerten oder sich beim Foodsharing zu engagieren. Auch hier zeigte sich: Je höher die Suffizienzeinstellung einer Person, desto höher ist auch ihr Einsatz beim Lebensmittel-Management.

Besonders auffällig war dies beim Foodsharing. Die Erklärung der Studierenden: Foodsharing ist mit einem hohen Aufwand verbunden. So müssen die Personen aktiv nach Informationen über Foodsharing Angebote suchen, eventuell eine App installieren und die Lebensmittel meist zu bestimmten Zeiten abholen. Dies setzt eine besonders hohe Motivation voraus.


Suffiziente Personen kaufen seltener neue Möbel

Personen, die über viel Suffizienz verfügen, verlängern nach den Ergebnissen der Studierenden auch eher die Lebensdauer ihrer Möbel und kaufen seltener neue Möbel. Dafür bevorzugen sie Reparaturen oder gebrauchte Alternativen. Allerdings gilt hier einschränkend: In der untersuchten Stichprobe waren vor allem jüngere Menschen enthalten, die noch bei Familienangehörigen oder in Wohnheimen bzw. Wohngemeinschaften wohnten.


Bei To-Go-Getränken und auf Partys spielt Suffizienz eine untergeordnete Rolle

Wenig Einfluss der Suffizienz auf das Verhalten fanden die Studierenden hingegen bei der Verwendung von Getränkebechern und auf Partys. So untersuchte eine Gruppe, ob Kund:innen bei To-Go-Getränken die angebotenen Einweg-Becher nutzen, Wert auf wiederverwendbare Becher legen oder sogar selbst solche Behältnisse mitbringen. Zwar wiesen Personen, die Mehrwegbechern positiv gegenüber standen, auch eine höhere Suffizienzeinstellung auf. Statistisch gesehen gab es jedoch keinen Zusammenhang mit der tatsächlichen Wahl des Bechers.

Auch bei Partys konnten die Studierenden keine Verbindung zwischen der Suffizienz und dem tatsächlichen Verhalten feststellen. Dies deckt sich mit ihren eigenen subjektiven Erfahrungen, wonach bei geselligen Veranstaltungen öfter mal die eigene Einstellung zum nachhaltigen Konsum über Bord geworfen wird. „Partys sind kein klassisches Nachhaltigkeitsthema – selbst bei Studierenden, denen dies wichtig ist“, sagt Marie Fankhänel. „Hier stehen die Geselligkeit und der Spaß im Vordergrund.“

Die Studierenden fanden allerdings andere statistische Beziehungen: So kaufen Menschen mit einer höheren Suffizienz seltener neue Kleidung für eine Party – und sie bestellen sich seltener im betrunkenen Zustand Dinge im Internet.


Verzicht auf Flugreisen steht oft im Konflikt mit anderen Zielen

Nur einen geringen Zusammenhang mit der Suffizienzeinstellung konnten die Studierenden auch bei der Frage finden, wie oft Menschen das Flugzeug tatsächlich nutzen, obwohl sie grundsätzlich Flugreisen nicht befürworten.

Laut Jun.-Prof. Dr. Henn könnte eine Ursache darin liegen, dass persönliche Normen und Einstellungen zu Nachhaltigkeit das Fernreiseverhalten nicht vorhersagen können: „Der völlige Verzicht auf Flugreisen erfordert ein starkes Engagement und steht oft im Konflikt mit anderen Lebenszielen, wie beispielsweise dem Sammeln von Reiseerfahrungen.“


Studierenden-Projekt bestätigt wissenschaftliche Studien

„Auch wenn die Ergebnisse der Studierenden nicht repräsentativ sind, so zeigen sie doch ein paar Aspekte auf, die sich auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen finden“, erklärt Jun. Prof. Dr. Henn: „So wird die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person einen stärker suffizienzorientierten Lebensstil führt, vor allem durch zwei Faktoren bestimmt: Einerseits dadurch, wie stark sie einen solchen Lebensstil befürwortet, und andererseits durch die Frage, welche Hindernisse sie hat das entsprechende Verhalten auch umzusetzen.“

Dazu kämen laut der Wissenschaftlerin noch Faktoren, die außerhalb des Einflussbereiches der Betreffenden lägen: „Wenn die Infrastruktur und die Politik ein suffizientes Verhalten unterstützen, ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass Menschen dies auch tun.“

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