Ein virtueller Kaffee mit… dem Humboldt reloaded-Team

Humboldt goes digital  [09.04.20]

Ein virtueller Kaffee mit...: Cornelia Frank, Natascha Selje-Aßmann und Evelyn Reinmuth. Bild: Uni Hohenheim

Inzwischen steht fest: Das Sommersemester muss komplett digital stattfinden. Wie das Humboldt reloaded-Team damit umgeht, warum sich für Studierende auch in Corona-Zeiten die Teilnahme an den Projekten lohnt und was Humboldt reloaded jetzt von der Digital-Branche lernen will, berichten die Koordinatorinnen Dr. Natascha Selje-Aßmann und Dr. Evelyn Reinmuth sowie Lehr- und Business-Coach Dr. Cornelia Frank bei einem virtuellen Kaffee mit dem Online-Kurier. Die neue Website „HR digital“ bündelt für Lehrende spezifische Hilfestellungen, Angebote und Tools zur Umsetzung digitaler HR-Projekte.

 


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Die Hoffnung, dass im Sommersemester zumindest kleinere Veranstaltungen auf dem Campus möglich sind, hat sich inzwischen zerschlagen. Ist Forschendes Lernen unter diesen Bedingungen überhaupt möglich?

Selje-Aßmann: Wir haben uns darüber viele Gedanken gemacht. Das Markenzeichen von Humboldt reloaded ist es ja, den praktischen Forschungsbetrieb im direkten Kontakt mit erfahrenen Forscherinnen und Forschern kennenzulernen. Wenn wir nicht gemeinsam ins Labor oder aufs Feld können, ist das natürlich eine Herausforderung.

Andererseits gibt es neben der empirischen Datenerhebung sehr viele weitere wichtige Schritte im Forschungskreislauf, die sich sehr gut im digitalen Raum realisieren lassen: Vom Erkennen des Problems und der Einarbeitung in das Thema, über der Formulierung von Fragestellungen und Hypothesen bis hin zum Planen des Forschungsdesigns oder der Verschriftlichung und Darstellung von Erkenntnissen.

Die gegenwärtige Situation bietet die Gelegenheit, Aspekte zu fokussieren, die bisher aus Zeitmangel oft eine untergeordnete Rolle gespielt haben, für die Forschung tatsächlich aber ganz elementar sind. Anregungen wie Projektbetreuer das konkret umsetzen könnten, haben wir auf der neuen Website „HR digital“ im Bereich „Forschungskreislauf digital“ dargestellt. Materialien, die Lehrende für Studierende zur Verfügung stellen können, wollen wir hier sammeln und in der nächsten Zeit ergänzen.

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Neue Projekte können noch bis 19. April angelegt und bearbeitet werden. Studierende können sich vom 20. bis 30. April für die Projekte bewerben, sofern kein spezieller Zeitraum gilt.

Entfällt der praktische Teil der Datenerhebung also ganz?

Selje-Aßmann: Wir suchen natürlich nach Alternativen, wie sich dieser Schritt unter den gegenwärtigen Bedingungen realisieren lässt. Dabei gibt es allerdings noch einige offene Fragen, was möglich sein wird und was nicht. Entgegen der sonst üblichen Vorgehensweise empfehlen wir, den praktischen Teil deshalb eher für das Ende des Projekts einzuplanen.

Vielleicht können Studierende z. B. jeweils einzeln losziehen und unter Anleitung allein im Feld Beobachtungen oder Datensammlungen durchführen. Auch Online-Interviews – so wie dieses hier – können eine Möglichkeit sein, eigene Daten zu erheben. Vielleicht fühlen sich Studierende durch Corona in ihrem Forschungsgeist angestachelt und befragen z. B. Landwirte nach den konkreten Auswirkungen? Darüber hinaus bietet es sich an, mit bereits erhobenen Daten von Hohenheimer Forschenden oder aus Datenbanken zu arbeiten.

Das heißt, es lohnt sich für Studierende trotz allem ein Projekt zu belegen?

Frank: Auf jeden Fall! Wenn wir jetzt mehr Zeit haben, um über grundsätzliche Themen, wie die Forschungsfrage oder das Forschungsdesgin zu sprechen, nutzt das Studierenden ja später z. B. auch ganz konkret bei der Themenwahl ihrer Bachelor- oder Master-Arbeit.

An dieser Stelle werden erfahrungsgemäß die Weichen zwischen Freud und Leid gestellt: Denn es ergibt sich eben eine völlig andere Herangehensweise, ob ich z. B. einen systematisch-beschreibenden Ansatz wähle oder ob ich einen Erklärungsanspruch erhebe, also die Frage nach dem warum stelle.

Reinmuth: Das Tolle ist, dass Humboldt reloaded einen großen Freiraum bietet, Dinge auszuprobieren und auch auf Situationen wie diese kreativ zu reagieren. Den Umstieg auf digitale Formate sehen wir jetzt definitiv auch als Riesen-Chance, um das Forschende Lernen weiterzuentwickeln und neue innovative Formate zu erproben. Schon vor Beginn der Corona-Krise haben wir hierzu an Ideen und Konzepten gearbeitet. Nun können wir damit schneller als gedacht Erfahrungen sammeln.

Worin genau bestehen denn die Chancen?

Reinmuth: Zum einen spielt die Digitalisierung im Forschungsbetrieb selbst ja eine immer wichtigere Rolle. Wir sehen es deshalb auch als unsere Aufgabe an, Studierenden die dafür notwendigen digitalen Kompetenzen zu vermitteln, die ihnen auch in vielen Berufsfeldern zugutekommen. Zum anderen passt der Grundansatz sehr gut zusammen: Digitale Formate leben davon, dass die Studierenden selbstständig aktiv werden, z. B. sich eigenständig Wissen aneignen etc. Genau dieses Ziel verfolgen wir ja auch beim Forschenden Lernen.

Gleichzeitig wissen wir aus unserer Erfahrung bei Humboldt reloaded aber auch, dass Studierende dabei Struktur und eine gute Begleitung benötigen. Außerdem ist es wichtig, flexibel reagieren zu können, wenn ein Projekt eine andere Wendung nimmt als ursprünglich gedacht. Diese Erfahrungen können wir nutzen, um das volle Potential von digitalen Formaten auszuschöpfen.

Dabei möchten wir uns gerne auch ein Beispiel an Methoden des agilen Projektmanagements nehmen, die ursprünglich aus der Digital-Branche kommen. Denn tatsächlich stehen Teams, die z. B. in Software-Agenturen virtuell zusammenarbeiten, zum Teil vor ganz ähnlichen Herausforderungen wie wir in einem Humboldt reloaded-Projekt. Wir glauben deshalb, dass sich ein Framework wie Scrum, welches sich dort und inzwischen auch in vielen anderen Branchen bewährt hat, sehr gut für uns übertragen lässt.

Was genau kann ich mir darunter vorstellen und wie können Projektbetreuer Scrum konkret einsetzen?

Reinmuth: Das Grundprinzip des agilen Projektmanagements ist, dass komplexe Projekte in kleine, bearbeitbare Einheiten heruntergebrochen werden. Arbeitspakte, zu liefernde Ergebnisse und Zuständigkeiten werden sehr klar formuliert und immer wieder neu den aktuellen Entwicklungen oder auftretenden Schwierigkeiten angepasst. Der sogenannte Sprint-Cycle gibt dabei klare Strukturen für den regelmäßigen Austausch aller Beteiligten, die Reflektion von Teilergebnissen und die Verteilung neuer Aufgaben.

Scrum ermöglicht also ein hohes Maß an Transparenz und Struktur, was für die digitale Betreuung von Studierenden ganz besonders wichtig ist. Zugleich erlaubt das flexible Framework weiterhin kreative Freiräume, die zum besonderen Charme von Humboldt reloaded gehören. Und nicht zuletzt lernen Studierende eine aktuelle Form des digitalen Projektmanagements kennen.

Wir haben das Glück, dass wir im Humboldt reloaded-Team auch einen Software-Entwickler an Bord haben, der die Methode und technische Tools aus erster Hand kennt. Ich selbst habe eine Fortbildung als Scrum-Master absolviert. Gemeinsam entwickeln wir gerade einen Leitfaden für Lehrende, der zeigt, wie Scrum in HR-Projekten konkret eingesetzt werden kann. Wir stehen zugleich als „agiles Coaching-Team“ im Hintergrund bereit und helfen bei allen Fragen zur Umsetzung, insbesondere auch, welche technischen Tools für das jeweilige Projekt in Frage kommen.

Frau Frank, Sie begleiten Humboldt reloaded als Lehr-, Business- und Projektmanagement-Coach. Welche Unterstützung können Sie während der Corona-Krise leisten?

Frank: Mein individuelles Coaching-Angebot steht allen Betreuerinnen und Betreuern von Humboldt reloaded Forschungsprojekten weiterhin in vollem Umfang zur Verfügung – auch wenn persönliche Treffen auf dem Campus im Moment leider nicht möglich sind, sondern ebenfalls im digitalen Raum oder als Telefonat stattfinden müssen.

In einer Krisenzeit wie dieser müssen viele Dinge neu gedacht oder organsiert werden – auch persönliche Karriereentscheidungen erscheinen möglicherweise in einem neuen Licht. Dabei will ich sehr gerne Unterstützung leisten. In den letzten Jahren haben sich für das Coaching vier große Schwerpunkte herauskristallisiert, bei denen ich auch in der aktuellen Situation sehr gerne unterstützten möchte: Dies sind Themen in Zusammenhang mit der Lehre, der eigenen Forschung, der Karriereentwicklung und des persönlichen Führungsstils.

Im persönlichen Gespräch kann es z. B. um Fragen gehen wie: Kann ich es mir angesichts der Corona-Krise leisten, ein Job-Angebot auszuschlagen, das mich nicht zu 100 % interessiert? Wie gelingt es mir, eine Abgrenzung zu schaffen angesichts der permanenten Erreichbarkeit, die virtuelle Arbeitsformen mit sich bringen? Wie ticke ich als forschend Lehrende bzw. Lehrender – und wie wirkt sich das auf die Durchführung digitaler Formate aus? Wie schaffe ich es, Studierende im Verlauf eines virtuellen Projekts motiviert zu halten? Auch ein Training für ein virtuelles Bewerbungsgespräch ist möglich.

Zum Schluss die Frage an alle: Welche Botschaft ist Ihnen jetzt wichtig?

Frank: Auf den ersten Blick ändert sich mit dem Umstieg auf virtuelle Lehrformen sehr viel. Bei allen guten Tipps und Hinweisen, die jetzt zum Thema verfügbar sind, kann sich allerdings auch schnell ein Information Overload einstellen. Dann hilft es sich vor Augen zu führen, dass sich die wesentlichen Punkte für gute Lehre auch im digitalen Raum nicht verändern: Es geht darum, Lernziele klar zu definieren, die Interaktion mit den Studierenden und zwischen ihnen zu ermöglichen – und eine gute Begleitung anzubieten.

Reinmuth: Die Umstellung auf digitale Formate stellt uns alle vor Herausforderungen. Aber wir haben im Humboldt-Team bereits viele gute Ideen im Köcher, die wir nun gemeinsam mit den Studierenden erproben und weiterentwickeln können. In einem möglichen Nachfolge-Projekt von Humboldt reloaded werden digitale Formate einen großen Raum einnehmen. Alle Erfahrungen, die wir jetzt sammeln, können uns helfen, bei der Antragstellung erfolgreich zu sein.

Selje-Aßmann: Wir hoffen, dass wir mit der Homepage „HR digital“ Projektbetreuern eine gute Hilfestellung an die Hand geben können. Wir werden das Angebot stetig erweitern. Ideen, Kommentare und Kritik sind dabei jederzeit willkommen. Ich bin beeindruckt, welche kreative Energie Corona im Humboldt-Team bereits freigesetzt hat und wie viele spannende Projekte weiterhin von engagierten Lehrenden für Hohenheimer Studierende angeboten werden. Lasst uns das Corona-Semester in diesem Geist gemeinsam bewältigen!

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Leonhardmair

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