Neue Profs: Ingo Graß
Er vergleicht Landschaften – nicht nur in den Tropen [26.02.20]
Prof. Dr. Ingo Graß | Foto: Uni Hohenheim / Dorothea Elsner
Ob Ölpalmen auf Sumatra, Vanille in Madagaskar oder das Umfeld der Riesen-Metropolen dieser Welt: Prof. Dr. Ingo Graß nimmt Agrarlandschaften genau unter die Lupe. Seit Oktober letzten Jahres leitet er das Fachgebiet Ökologie Tropischer Agrarsysteme an der Uni Hohenheim.
Prof. Graß erforscht, wie sich Landwirtschaft auf Landschaften, die Biodiversität und die sozialen und ökonomischen Strukturen auswirkt. Am liebsten würde der Forscher mal eine Landschaft selber gestalten.
Herr Graß, der Name Ihres Fachgebiets hat sich von „Agrarökologie der Tropen und Subtropen“ geändert in „Ökologie Tropischer Agrarsysteme“. Offengestanden klingt das für mich ziemlich gleich. Was ist denn nun anders als bei Ihrem Vorgänger Prof. Joachim Sauerborn?
Bei mir ist der systemare Ansatz der Agrarökologie stärker betont. Landwirtschaftliche Methoden, Pflanzen und Tiere spielen ebenso eine Rolle wie das Umfeld, die sozialen und ökonomischen Strukturen. Es geht mir darum, die Agrarsysteme als Ganzes zu begreifen. Die Agrarökologie an sich hat verbindende Funktion und eine landwirtschaftliche ebenso wie eine ökonomische und soziale Komponente.
Das ist besonders in den Tropen von großer Bedeutung. Dort findet man viel kleinbäuerliche Landwirtschaft. Die Menschen sind oft stark abhängig von den produzierten Gütern, und die sozialen, ökonomischen und ökologischen Gegebenheiten wirken sich unmittelbar auf ihre Anbaupraktiken aus. Das gilt natürlich auch bei uns, aber nicht im gleichen Maß.
Was ist denn die wichtigste Frage, die Sie bei Ihrer Arbeit bewegt?
Ich würde gerne das große Dilemma lösen, wie man 10 Milliarden Menschen - die Erdbevölkerung nach einer Prognose der Vereinten Nationen im Jahr 2050 - mit ihrem ganzen Ressourcenverbrauch und ihrem Wohlstand langfristig versorgen kann, ohne weiterhin so dramatisch Raubbau an der Natur zu betreiben, wie wir es derzeit machen. Denn auch in Bezug auf den Artenschutz haben wir schon mindestens 5 vor 12 bei vielen Arten.
Gibt es ein Projekt, das Sie in Angriff nehmen würden, wenn Sie über unbegrenzte Mittel und Möglichkeiten verfügen könnten?Mit unbegrenzten Möglichkeiten? Da würde ich gern selber eine Landschaft gestalten mit verschiedenen, auch urbanen Komponenten, die unterschiedliche Funktionen haben. Eine solche Landschaft zusammen mit den Nutzern und mit NGOs etc. aufzubauen wäre fantastisch. Mir schwebt ein Prototyp vor, basierend auf den Bedürfnissen der Menschen, den wir entwickeln, umsetzen und erforschen könnten.
Wie sieht es denn in der Realität aus? Was sind im Augenblick Ihre Forschungsthemen?Zunächst einmal vergleiche ich Landschaften. Landschaften sind ja sehr vielseitig. Manche Landschaften sind sehr monoton und bestehen praktisch nur aus Ackerland oder riesigen Monokulturen – wie z.B. in vielen Ölpalmlandschaften in Indonesien. Andere wiederrum sind sehr vielseitig, beinhalten z.B. neben intensiv bewirtschaftetem Ackerland auch Lebensräume mit hohem Naturschutzwert, wie Magerrasen, Hecken, extensives Grünland…
Bei diesen ausgewählten Landschaften suche ich nach Kontrasten und Entwicklungen. Ich untersuche, wie sich die jeweilige Landschaft auf die Biodiversität, auf Schädlingen und Nützlinge auswirkt. Für wildlebende Bestäuber ist es z.B. sehr wichtig, wie eine Landschaft gestaltet ist. Das heißt, es ist nicht nur relevant, wie ein Landwirt sein Feld bewirtschaftet, sondern auch was der Nachbar macht und ob es z.B. in der Nähe Hecken gibt.
In welchen Regionen dieser Erde findet denn Ihre Forschung statt?Zum Beispiel haben wir ein Verbundprojekt in Indonesien, bei dem es um kleinbäuerliche Landwirtschaft auf Sumatra geht. Dort werden Ölpalmen im großen Stil angebaut – bewirtschaftet zwar von den Kleinbauern, aber die Masse bewirkt, dass die Landschaft sich ändert. Für die Bauern ist das mit sozialem Aufstieg verbunden, sie können sich bessere Häuser leisten und ihre Kinder auf höhere Schulen und Universitäten schicken. Aber andererseits leidet die Biodiversität, das Trinkwasser wird ebenfalls verunreinigt. Wir untersuchen, wie man die Plantagen biodiversitäts-freundlicher bewirtschaften kann. Dazu kooperieren wir mit Universitäten vor Ort.
Ein anderes Projekt, zusammen mit der Uni Göttingen und mit Kassel-Witzenhausen, läuft in Indien. Wir erforschen anhand asiatischer Megastädte, welche Auswirkungen die Urbanisierung auf die Landwirtschaft hat – wird sie intensiviert, damit sie sich noch lohnt? Wie wirken sich versiegelte Flächen aus? Wird das Grundwasser abgesenkt? Unser Untersuchungsgebiet ist die Stadt Bangalore im Süden Indiens. Sie könnte irgendwann unbewohnbar werden, da die Wasserversorgung ein immer größeres Problem darstellt, und außerdem wird es durch den Klimawandel dort immer heißer.
Und Sie suchen nach Möglichkeiten da gegenzusteuern?Genau. Wenn wir die Auswirkungen auf die Artenvielfalt und die Bestäubung untersuchen, prüfen wir auch Möglichkeiten wie Blühstreifen oder der Förderung von Nützlinge. Letztlich geht es um die Frage, wie viel Grünanteil eine Stadt braucht und ob es z.B. Schwellenwerte gibt, damit ein Ort überleben kann.
Ein drittes Beispiel für unsere Projekte wäre unsere Forschung im Nordosten Madagaskars. Die Insel ist ein Hotspot der Artenvielfalt, die sehr bedroht ist. Wir erforschen den Vanille-Anbau, der nur in den Händen von Kleinbauern ist. Er ist sehr arbeitsintensiv, die Bestäubung findet ausschließlich von Hand statt. Wir untersuchen, welchen Mehrwert die Plantagen für die Artenvielfalt bieten können und vergleichen dazu den Anbau im Schatten, also in Form von Agroforstsystemen, oder in der Sonne. Das wiederum vergleichen wir mit Regenwald und Reisanbau.
Und was ist besser? Schatten oder Sonne?Wir sind noch dabei, die Daten auszuwerten, aber ich glaube, dass Agroforst besser abschneidet. Die Erträge sind bei beidem gleich. Für die Bauern könnte ein Anbau im Agroforstsystem eine Einkommenssteigerung ermöglichen, wenn man das zum Beispiel bei der Zertifizierung berücksichtigen würde. Teilweise könnten auch die Bäume noch zusätzlich genutzt werden, die Früchte oder das Holz.
Können sich an diesen Forschungsprojekten denn die Studierenden auch schon beteiligen?Ja, im Bachelor, Master und mit der Promotion. Unsere Forschung findet ja vorwiegend in den Tropen statt, d.h. Master-Studierende sind für ihre Masterarbeit in der Regel 3-4 Monate vor Ort. Wir haben übrigens gerade einige Ausschreibungen, wer Interesse hat, kann sich gern melden.
Darüber hinaus forschen wir aber auch hier im Umland. Z.B. untersuchen wir zusammen mit Frank Schurr am Heidfeldhof, wie man grüne Randstreifen diverser gestalten kann, etwa durch Striegeln oder Sandaufschüttungen. Wir betrachten, wie sich das auf die Insektenvielfalt auswirkt. Das wäre eine Arbeit, die eher für den Bachelor in Frage käme.
Sind Sie denn in der Lehre auch viel im Gelände?Ja, aber das ist natürlich von der Jahreszeit abhängig. Im Winter konzentrieren wir uns mehr darauf, die Grundlagen der Agrarökologie zu vermitteln, zusammen mit Herrn Schurr, der die Grundlagen der Ökologie allgemein lehrt.
Es geht darum, die Prozesse aus der Populationsökologie zu nutzen, um die Biodiversität zu fördern. In den Tropen gibt es dabei andere Voraussetzungen, aber die Grundprinzipien sind identisch. In meiner Vorlesung bringe ich daher viele Beispiele aus den Tropen, aber nicht ausschließlich.
Wie sieht es im Sommer aus?Im Sommer gibt es aber viele Feldpraktika. Zum Beispiel im Master in unserem neuen Feldkurs zu Agrarökologie und Biodiversität. Dort werden 2er-Teams gebildet, die jeweils ökologische Fragestellungen bearbeiten – von der Hypothese über die Datenaufnahme und -auswertung bis hin zu einem abschließenden Vortrag und Protokoll.
Beispielsweise vergleichen wir dabei ökologischen mit konventionellem Anbau, oder es geht darum, wie sich Blühstreifen und Hecken auf Schädlinge und Nützlingen auf benachbarten Ackerflächen auswirken. Durch diese praktische Arbeit lernt man auch, mit Unvorhergesehenem umzugehen – das muss man einfach erfahren.
In einem anderen Modul geht es um Agrarökologie und biotischen Ressourcenschutz. Wir suchen dazu verschiedene Lebensräume auf und schauen sie an, bestimmen Tiere und Pflanzen und halten Kurzreferate. Ziel ist die Vielfalt von Agrarlandschaften kennenzulernen, und eine naturschutzfachliche Bewertung und Empfehlungen zum Management abzugeben.
Das ist auch im Master-Bereich?Ja, das sind Master-Module. Im Bachelor gibt es das Agrarbiologische Projekt, bei dem es hauptsächlich um Kulturpflanzen geht. Wir bilden Kleingruppen, die jeweils ein ganzes Semester in einer Abteilung bleiben.
Bieten Sie auch Humboldt reloaded-Projekte an?Humboldt reloaded ist eine tolle Sache, doch wir sind momentan noch ein sehr kleines Team. Ich fürchte, das schaffen wir jetzt im Sommersemester nicht.
Was möchten Sie in Ihrer Lehre vermitteln?Zunächst möchte ich ein grundsätzliches Verständnis für Konzepte und Zusammenhänge vermitteln. Das muss ganz und gar nicht langweilig sein: Es geht darum, wie Ökosysteme funktionieren und wie die Menschen auf sie einwirken.
Wichtig ist, dass die Studierenden in die Lage versetzt werden, sich eine eigene Meinung zu bilden. Ich möchte zur Diskussion anregen. In den Vorlesungen und Seminaren greife ich daher gerne kontroverse Themen auf, etwa aus dem Bereich Gentechnik oder Fragen zur Regulierung.
Fachgebiet Ökologie Tropischer Agrarsysteme |
Prof. Dr. Ingo Graß leitet seit dem 1.10.2019 das Fachgebiet im Hans-Ruthenberg-Institut. Es wurde von „Agrarökologie der Tropen und Subtropen“ umbenannt in „Ökologie Tropischer Agrarsysteme“, nachdem der Vorgänger Prof. Dr. Joachim Sauerborn in den Ruhestand trat. mehr |
Und Drittens liegt mir das Forschende Lernen sehr am Herzen. Man muss hinaus aus dem Klassenraum ins Freiland oder ins Labor und selber forschen, um den Anwendungsbezug zu bekommen. Wir machen Versuche und diskutieren sie am nächsten Tag. Das können auch ganz einfache Versuche sein: Kästen mit Mehlwürmern etwa, aus denen man Proben zieht, können Aufschluss darüber geben, wie sich Organismen in einer Landschaft verteilen.
Was für ein Berufsfeld erwartet denn Ihre Studierenden?Das ist relativ breit. In der Forschung etwa, im wissenschaftlichen Naturschutz, bei NGOs wie dem WWF, Greenpeace oder der GIZ, oder bei Naturschutzbehörden wie dem BfN. Andererseits kann man auch bei Saatgutunternehmen oder Pflanzenschutzmittel-Konzernen Arbeit finden. Das ist durchaus kein Widerspruch, denn es ist natürlich besser, wenn sich die Leute dort auch hinsichtlich Biodiversität und Ökologie auskennen.
Wie war denn Ihr Weg bis Hohenheim?Ich war einer der ersten Bachelor-Jahrgänge, als ich in Marburg Biologie studiert habe. Zuerst habe ich auf Molekularbiologie fokussiert und später erst die Ökologie als Schwerpunkt auserkoren. Mein Master war mit interdisziplinärer Ausrichtung. Ich war in Südafrika, habe dort zur Waldfragmentierung in Agrarlandschaften gearbeitet. Auch die Promotion habe ich dann gleich noch in Südafrika angehängt, wobei es um die Wechselbeziehungen zwischen Insekten, Vögeln und Blütenpflanzen ging.
Danach war für mich dann die Zeit für einen Wechsel. Im Postdoc an der Uni Göttingen habe ich mich mehr Richtung Agrarökologie orientiert, also in eine noch mehr angewandte Richtung. In der Zeit starteten auch schon die Projekte in Indonesien, Indien und Madagaskar.
Und nun der Wechsel nach Hohenheim?Ja, der Wechsel lief sehr glatt und schnell. Und es gab hier in Hohenheim ein sehr freundliches Willkommen. Ich habe hier viele Freiheiten, es ist ein großes Privileg, hier tätig sein zu dürfen. Ich freue mich über die Aussicht, hier viele Jahre aktiv zu sein und habe auch jetzt bereits viel Spaß an den Vorlesungen.
In Ihrer Freizeit sind Sie sicherlich auch kein Stubenhocker, oder?Nein, ich bin auch privat gerne in der Natur, gehe oft Joggen und reise gern. Das ist ein schöner Ausgleich. Aber ich gehe auch sehr gern auf Konzerte – in Richtung Rock und Metal, progressive Metal zum Beispiel.
Das ist eine interessante Kombination. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Graß!Interview: Elsner