Schwergewicht der Forschung

Bitterstoffen in Milchprodukten auf der Spur  [01.03.21]

Foto: clipdealer

Frischekäseprodukte mit einem hohen Kalziumgehalt, wie Quark oder Skyr, können bei ihrer Herstellung eine bittere Geschmacksnote entwickeln, die zur Ablehnung durch den Verbraucher führt. In einem Projekt der Uni Hohenheim gingen drei Forschungsgruppen der Frage nach, wie sich dieser bittere Geschmack verhindern lässt. Lange Zeit wurde die Kalziumkonzentration als Auslöser für die Bildung von so genannten Bitterpeptiden bei der Fermentation angesehen. Doch das allein scheint es nicht zu sein, so das Fazit der Forschenden. Vielmehr ist es wohl das Zusammenspiel von Kalziumgehalt und Starterkulturen. Durch die Auswahl geeigneter Mischungen von Bakterienkulturen für die Fermentation könnte es in Zukunft möglich sein, die Bitterkeit des fertigen Produktes zu reduzieren oder vielleicht sogar ganz zu vermeiden.


In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende Projekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 350.000 Euro für apparative Forschung bzw. 150.000 Euro für nicht-apparative Forschung. Insgesamt akquirierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Uni Hohenheim 2019 für Forschung und Lehre 33,9 Millionen Euro an Drittmitteln.

Die Deutschen lieben Frischkäse in allen Formen. Doch fermentierte Milchprodukte, wie Frischkäse, Quark oder Skyr, aber auch Schnittkäse und Joghurt, können Bitterstoffe enthalten, die dazu führen, dass bittersensitive Konsumenten sie ablehnen.

Verantwortlich für das Bitteraroma sind so genannte Bitterpeptide. Das sind kleine Proteinbruchstücke, die mit Hilfe von speziellen Enzymen, den Peptidasen, aus größeren Proteinen gebildet werden. „Diese Bruchstücke sprechen unsere Bittersensoren auf der Zunge an. Deswegen sind diese Lebensmittel nicht verdorben, sie schmecken nur bittersensitiven Menschen nicht so gut“, erklärt Prof. Dr. Herbert Schmidt vom der Fachgebiet Lebensmittelmikrobiologie und -hygiene.

Noch ist unklar, ob diese Peptidasen von den zugegebenen Milchsäurebakterien stammen oder aus der Milch kommen – sei es weil sie von der Kuh produziert und in die Milch abgegeben werden, oder weil sie durch Verunreinigungen mit anderen Bakterien in die Milch gelangen.

Und warum entstehen Bitterpeptide vor allem in Produkten, die einen hohen Kalziumgehalt aufweisen? Fragen, denen drei Hohenheimer Arbeitsgruppen in einem gemeinsamen Forschungsprojekt nachgegangen sind.

„Ziel unseres Forschungsprojekts war zu verstehen, wie die Bitterstoffe im Herstellungsprozess freigesetzt werden und durch welche Faktoren sich dies reduzieren lässt“, so Prof. Dr. Jörg Hinrichs vom Fachgebiet Milchwissenschaft und -technologie.


Produkte der Arbeit von Milchsäurebakterien

Fermentierte Milchprodukte entstehen durch die Arbeit von Milchsäurebakterien. Sie werden als so genannte Starterkulturen der Milch oder Milch-Konzentraten zugegeben und setzen den Milchzucker in Milchsäure und andere Substanzen um. Meist setzen die Hersteller auch noch eine kleine Menge an Lab zu, damit die Milch besser gerinnt. Dabei flockt das Milchprotein aus und kann anschließend vom flüssigen Anteil der Milch, der Molke, abgetrennt werden.

Das in der Milch enthaltene Protein brauchen die Milchsäurebakterien jedoch auch für ihre eigene Ernährung. Sie spalten größere Proteine in kleinere Stücke, um sie in die Zelle aufnehmen zu können. Dort werden die Peptide noch weiter zerlegt und können von den Zellen dann für ihren eigenen Proteinstoffwechsel genutzt werden. Bleiben jedoch zu viele von diesen Bruchstücken im Milchprodukt zurück, können sie einen bitteren Geschmack verursachen.


Neue Modellsysteme entwickelt und etabliert

Die Entstehung dieser Bitterpeptide während des Fermentationsprozesses ist ein komplexes Zusammenspiel zwischen verschiedenen Milchbestandteilen und den Genen bzw. den Enzymen der Bakterien. Um diese Wechselwirkungen besser analysieren zu können, arbeiteten die Wissenschaftler mit verschiedenen, zum Teil neu entwickelten Modellsystemen.

Ein neu entwickelter Konzentrations- und Filtrationsprozess ermöglicht es beispielsweise, die Zusammensetzung des Milchkonzentrats vor der Fermentation gezielt zu verändern und einzustellen. „Anders als beim klassischen Herstellungsverfahren ziehen wir zunächst die Molke ab und fermentieren dann erst das Milchkonzentrat“, erklärt Hinrichs. „Diese Methode erlaubt uns, den Fett-, Kalzium- und Protein-Anteil variabel zu steuern und so verschiedene Zusammensetzungen zu simulieren.“

An diesem Frischkäsemodell analysierten die Wissenschaftler die Auswirkungen von verschiedenen Fermentationsbedingungen auf die Entstehung von Bitterpeptiden, wie beispielsweise von Temperatur und pH-Wert sowie von unterschiedlichen Bakterienkulturen.


Vielfältige Starterkulturen

Für die Herstellung von Frischkäseprodukten wird eine Reihe von Milchsäurebakterien eingesetzt, am häufigsten Lactococcus lactis. „Die für die Fermentation verwendeten Starterkulturen sind fast so vielfältig wie die Milchprodukte auf dem Markt“, sagt Schmidt.

Zudem gibt es, wie bei fast allen Bakterien, verschiedene Abstammungslinien mit unterschiedlichen Eigenschaften, die so genannten Stämme. „Bei einer Kultur fanden wir ein Gemisch aus 30 bis 40 verschiedenen Stämmen“, so Schmidt. „Das macht die Analyse und die gezielte Steuerung des Fermentationsprozesses nicht einfacher.“


Kalzium beeinflusst nicht die Genaktivität ...

Den Wissenschaftlern ist es dennoch gelungen, einige der Gene zu identifizieren, die bei der Bildung und beim Abbau der Bitterpeptide eine wichtige Rolle spielen. Im Fokus ihres Interesses steht dabei das Gen, das für die Bildung der Peptidase zuständig ist. Die Vermutung lag nahe, dass die Aktivität dieses Peptidase-Gens durch Kalzium reguliert werden könnte.

Neue Methoden erlauben es, die Aktivität einzelner Gene zu erfassen. „Dabei zeigte sich jedoch, dass Kalzium keinerlei Einfluss auf die Aktivität dieses Gens hat“, fasst Schmidt zusammen. „Wir wissen jedoch, dass der pH-Wert während der Fermentation innerhalb von 24 Stunden unter fünf fallen muss, um die Genaktivität zu drosseln.“

„Am einfachsten wäre es natürlich, wenn wir Stämme züchten könnten, die nicht über dieses Gen verfügen“, fährt er fort. „Leider können aber Bakterienstämme, die das Peptidase-Gen nicht haben, allein nicht überleben. Sie brauchen die anderen Stämme, die für sie die lebensnotwendigen Peptide produzieren.“


… wohl aber die Regulation des Enzyms

Vielleicht ließe sich ja auch die Aktivität des gebildeten Enzyms beeinflussen? Der Haken an der Sache: „Insgesamt haben wir neun verschiedene Regulationspunkte für die Enzymaktivität gefunden“, so Prof. Dr. Lutz Fischer vom Fachgebiet Biotechnologie und Enzymwissenschaft. „Und je nach Bakterienstamm kann Kalzium eine andere Wirkung entfalten. Mal fördert es die Enzymaktivität, und bei einem anderen Stamm reduziert es sie.“

„In neueren Arbeiten zeichnet sich jedoch eine klare Tendenz ab“, sagt Fischer. „Die milcheigenen Enzyme von der Kuh, wie Cathepsin und Plasmin, sind es wohl eher nicht.“ Vielmehr scheinen dafür ausschließlich die zugesetzten Bakterienkulturen verantwortlich zu sein, die für die Fermentation der Milch bzw. der Milchkonzentrate notwendig sind.


Herausforderung: Auswahl der Starterkulturen

Die Herausforderung ist es jetzt, die verschiedenen Bakterienkulturen so zusammenzustellen, dass einerseits die Bakterien immer noch ihre gewünschte Aufgabe erfüllen können, aber andererseits möglichst wenige oder gar keine von den Bitterpeptiden im fertigen Produkt enthalten sind.

Deshalb lautet die Empfehlung der Wissenschaftler an die Hersteller von Starterkulturen, neben den klassischen Kultur- und molekularbiologischen Techniken auch enzymatische Tests zu verwenden. Denn nach aktuellem Kenntnisstand wird die Bildung von Bitterpeptiden hauptsächlich auf Enzym-Ebene entschieden.


Zum Projekt

Das Projekt „Reduktion der Bitterkeit von fermentierten Milchprodukten mit erhöhtem Calciumgehalt durch Selektion geeigneter Starterkulturen ‒ Einfluss milchendogener und exogener Peptidasen“ startete am 1. Oktober 2017 und lief drei Jahre. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) stellte im Rahmen des Förderprogramms „IGF – Industrielle Gemeinschaftsforschung“ insgesamt 448.130 Euro zur Verfügung, davon entfielen 153.070 Euro aus das Fachgebiet Biotechnologie und Enzymwissenschaft, 152.090 Euro auf das Fachgebiet Lebensmittelmikrobiologie und -hygiene und 142.970 Euro auf das Fachgebiet Milchwissenschaft und -technologie. Projektträger ist die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF).

Text: Stuhlemmer

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