Prekäre Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft | Hohenheim LIVE (4.10.)
Ich bin Hanna [20.09.21]
Bild: Uni Hohenheim
Als junger Mensch in die Wissenschaft gehen? Das sollte man sich in Deutschland gut überlegen. Dieses Fazit kann man zumindest ziehen, wenn man den Hashtag #IchBinHanna auf Twitter verfolgt. Seit Juni machen Postdocs und Promovierende ihrem Ärger über ihre prekären Arbeitsbedingungen Luft – und fordern Veränderungen. Der Shitstorm entzündete sich an einem Erklär-Video des Bundesforschungsministeriums, das am Beispiel der fiktiven Biologin „Hanna“ die Sonderregeln für Befristungen im wissenschaftlichen Bereich erklärt. Das Video wurde inzwischen vom Netz genommen. Der angestaute Unmut jedoch bleibt. Doch: Wo müsste die Politik ansetzen? Und welche Handlungsspielräume haben eigentlich die Unis? Darüber will auch Uni-Rektor Stephan Dabbert im Rahmen der Reihe Hohenheim LIVE am 4. Oktober (11:30 Uhr) ins Gespräch kommen. Der Online-Kurier hat vorab eine Hohenheimer Doktorandin und einen Postdoc nach ihrer Meinung gefragt.
„In Gesprächen unter jungen Wissenschaftler:innen sind die prekären Arbeitsbedingungen und schlechten Zukunftsperspektiven ein Dauerthema“, meint Doktorandin Regine Frener, die für die Gruppe der akademischen Beschäftigten im Senat der Uni Hohenheim sitzt: „Viele stellen sich die Frage: Wieviel bist du bereit für deinen Traum zu geben?“
In der Regel verlangt das Berufsziel Wissenschaft einiges ab: Die Bereitschaft, sich bei überschaubarem Gehalt über viele Jahre von Befristung zu Befristung zu hangeln, ein sehr hohes Maß an Flexibilität inklusive Umzügen, unbezahlte Überstunden in einem aufreibenden Arbeitsalltag zwischen Lehre, Unterstützung des jeweiligen Profs und eigener Forschung.
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Hohenheim LIVE geht in eine neue Runde: Uni-Rektor Stephan Dabbert lädt alle interessierten Beschäftigten und Studierenden zur Zoom-Termin: - Montag, 4. Oktober, 11:30 - 13:00 Uhr
- Thema: "Ich bin Hanna" & Befristungen im wissenschaftlichen Mittelbau
- Zur Anmeldung über F.I.T.
Der Termin gilt als "Informationsveranstaltung des Rektors" und kann während der Arbeitszeit besucht werden. |
Unis bieten wenig Perspektiven
Eine gesetzliche Sonderregelung (WissZeitVG) erlaubt, dass Promovierende und Postdocs länger ohne Sachgrund befristet beschäftigt werden dürfen als andere Berufsgruppen: 6 Jahre während der Promotion und 6 weitere Jahre als Postdoc. Begründet wird das mit den wissenschaftlichen Qualifikationen, die sie im Rahmen ihrer Arbeit erwerben.
Dinge wie Familienplanung oder der Erwerb einer Wohnung, die viele in ihren Dreißigern in Angriff nehmen, bleiben für Wissenschaftler:innen im gleichen Alter daher häufig ein Wagnis.
Die Aussichten, am Ende schließlich einen unbefristeten Vertrag an der Uni zu erhalten, stehen bei all dem eher schlecht. Der Traum von einer Professur kann rein rechnerisch nur für ca. 1 von 10 Postdocs in Erfüllung gehen. Festanstellungen unterhalb der Professur sind sogar noch seltener. Denn Forschung wird überwiegend aus befristeten Drittmitteln finanziert.
Formulierungen aus Erklär-Video wirken für viele wie Hohn
„Wer sich auf all das einlässt, tut es in der Regel aus Liebe zur Wissenschaft“, meint Frener. „Aber man hat schon den Eindruck, dass unsere Liebe ein Stück weit ausgenutzt wird. In jeder Generation finden sich erneut begeisterungsfähige Menschen. Warum also etwas am System verändern? Es ist genau diese Haltung, die auch aus dem Erklär-Video des Bundesforschungsministeriums spricht. Ich denke: Das stößt vielen übel auf. Die Wirtschaft befindet sich in permanentem Wandel, nur an den altehrwürdigen Universitäten bleiben überkommene Strukturen bestehen. Das kann schon frustrieren.“
Tatsächlich entzündet sich die Kritik am Video nicht nur am Inhalt, sondern vor allem am Ton so mancher Formulierung. Zur Begründung des WissZeitVG heißt es im Video etwa wie folgt:
„Damit auch nachfolgende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Chance haben, […] Qualifikationen zu erwerben, und nicht eine Generation alle Stellen verstopft, dürfen Hochschulen und Forschungseinrichtungen befristete Verträge nach den besonderen Regelungen des WissZeitVG abschließen. So kommt es zu Fluktuation und die fördert die Innovationkraft.“
Das BMBF hat das Video als Reaktion auf den Shitstorm vom Netz genommen. Verfügbar ist es derzeit über YouTube.
Komplexe Ausgangslage
Dass befristete Qualifizierungsstellen notwendig sind, wird von den meisten Akteuren der „Ich bin Hanna“-Debatte nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen. Andererseits erscheint es vielen fragwürdig, dass Wissenschaftler:innen um die 40 immer noch als „wissenschaftlicher Nachwuchs“ angesehen werden. Eines wollen Postdocs, die länger an der Uni arbeiten, aber ganz sicher nicht: Als Personen angesehen werden, die das System „verstopfen“.
Dieser Meinung ist auch der Hohenheimer Postdoc Dr. Marc Cotter: „Postdocs leisten eine ganze Menge für die Uni, z.B. wenn es um das Einwerben von Drittmitteln geht. Wir bringen unsere Erfahrung und unsere internationalen Netzwerke für die Uni ein und tragen einen ganz erheblichen Teil dazu bei, dass der Betrieb läuft. Unsere Arbeit allein als ‚Qualifizierung‘ abzubuchen erscheint mir unredlich. Wir verdienen mehr Anerkennung und mehr Perspektiven. Dass sich die Unis den permanenten Brain-Drain leisten können, erstaunt mich bis heute.“
Die Gleichung „hoher Konkurrenzdruck = hohe Innovationkraft“ geht auch nach Ansicht von Regine Frener nicht auf: „Schon im Psychologie-Studium lernt man: Unsicherheit und Angst sind schlechte Motivationsfaktoren. Niemand fordert, dass alle Promovierenden im Anschluss unbefristete Stellen an der Uni bekommen. Aber der Konkurrenzdruck ist schon absurd hoch. Ein wenig mehr Bleibeperspektive – gerade auch unterhalb der Prof-Ebene: Das würde die Lage schon erheblich verbessern.“
Hohenheim LIVE zum Thema Befristungen
Die „Ich bin Hanna“-Debatte zielt in erster Linie auf politische Veränderung. Denn der Fehler liegt offensichtlich im System. Doch wie genau müssten diese Veränderungen eigentlich aussehen? Und wie lassen sich diese erreichen? Gleichzeitig müssen sich allerdings auch die Unis die Frage gefallen lassen, ob sie tatsächlich schon all ihre Möglichkeiten ausreizen, um das Beste für Promovierende und Postdocs herauszuholen.
Wie sieht das an der Uni Hohenheim aus? Und: Welche Handlungsspielraum haben die Universitäten eigentlich? Darüber will Uni-Rektor Stephan Dabbert im Rahmen der Zoom-Reihe „Hohenheim LIVE“ mit Uni-Angehörigen diskutieren. Der Termin am 4. Oktober (11:30 – 13:00 Uhr) ist deshalb dem Thema Befristungen im Mittelbau und der „Ich bin Hanna“-Debatte gewidmet.
Dr. Cotter sieht Ansatzpunkte für Verbesserungen: „Je länger man sich an der Uni durchbeißt, in der Hoffnung möglicherweise doch noch eine feste Stelle zu erhalten, desto schwerer fällt ein Wechsel in einen völlig anderen Tätigkeitsbereich. Den richtigen Moment für den Absprung zu schaffen ist nicht leicht, weil man ja eigentlich bereits seinen Traumjob gefunden hat. Wie dramatisch das am Ende der maximal möglichen Befristungsdauer ausgehen kann, habe ich im Kollegenkreis bereits mehrfach erlebt. Seitens der Universitätsverwaltung wünsche ich mir in dieser schwierigen Phase mehr Fingerspitzengefühl, größere Transparenz und die Bereitschaft, für jeden Einzelfall wirklich die bestmögliche Lösung zu suchen.“
Regine Frener hat in erster Linie positive Erfahrungen in Hohenheim gemacht: „Ich persönlich denke, dass ganz viel vom jeweiligen Lehrstuhl abhängt. Ich selbst hatte hierbei großes Glück, weil ich umfassende Unterstützung von der Leiterin meines Fachgebiets erhalte und wir über alle Rahmenbedingungen und Perspektiven völlig offen reden. Das ist aber ganz sicher nicht überall in gleichem Maße der Fall. Zentrale Unterstützungsangebote wie z.B. die Hohenheimer Graduiertenakademie sind deshalb sehr wichtig und sollten auch stetig weiterentwickelt werden. Auch ansonsten tut die Uni gut daran, die Perspektive von Promovierenden und Postdocs stärker wahrzunehmen. Als Senatsmitglied will ich dazu einen Beitrag leisten.“
Text: Leonhardmair