HINTERGRUND
Geplante Forschungsschwerpunkte von HoLMiR [27.04.18]
Bild: Uni Hohenheim | Dauphin | Emmerling
Die geplanten Forschungsneubauten des „Hohenheim Center for Livestock Microbiome Research“ (HoLMiR) fungieren als wissenschaftliche Plattform für neue Forschungsansätze in den Tierwissenschaften, die in dieser Form bundesweit bislang noch nicht möglich sind. Im Zentrum stehen die Wechselwirkungen zwischen Nutztieren und ihrem Mikrobiom, den Abermilliarden Mikroorganismen, die insbesondere den Verdauungstrakt besiedeln.
Die Untersuchungen reichen von Vorgängen innerhalb von Zellen, Genetik und molekularen Prozessen über Untersuchungen von Organ- und Gewebeverbünden bis zur Betrachtung des ganzen Tieres. Entsprechend führt HoLMiR die Forschungsansätze vieler Fachdisziplinen zur Kooperation zusammen. Zum Team gehören deshalb z.B. Fachleute aus Tierernährung, Mikrobiologie, Genetik, Tierzucht, Verhaltens- und Tierphysiologie.
Vielfältig sind auch die Untersuchungsmethoden. Nach Fertigstellung werden die Neubauten des Hohenheim Center for Livestock Microbiome Research zwei Module umfassen:
- Modul I: Die bioanalytische Einheit wird die Voraussetzungen für Arbeiten bieten, die von Genanalysen von Zellproben über die Simulation von Körpervorgängen in künstlichen und echten Organen reichen und die benötigten Großgeräte beherbergen.
- Modul II: Die tierexperimentelle Einheit wird Unterbringung und Infrastruktur für bis zu 250 Rinder, Schafe, Schweine und Geflügel schaffen, die Untersuchungen am kompletten Organismus erlauben.
Eine wichtige Rolle in der Forschung werden außerdem die beteiligten Fachleute für Biostatistik und Bioinformatik spielen. Sie gewährleisten nicht nur, dass die gigantische Menge an Messdaten optimal ausgewertet werden kann. Teil ihrer Aufgabe wird auch sein, die Zahl der Versuchstiere auf das Minimum zu beschränken, das für wissenschaftlich haltbare Aussagen nötig ist. Innerhalb der Universität Hohenheim wird das HoLMiR mit den Speziallaboren der Core Facility und dem geplanten Computational Science Lab kooperieren.
Mit dieser Ausgangslage wird sich das HoLMiR vor allem auf drei Forschungsschwerpunkte konzentrieren, die miteinander verzahnt sind:
- Ernährung: Wechselwirkungen zwischen Ernährung und Mikrobiom
- Gesundheit: Wechselwirkungen zwischen Tiergesundheit und Mikrobiom
- Genom: Wechselwirkungen im Erbgut von Nutztier und Mikrobiom
Ein besonderes Anliegen des HoLMiR ist die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die Methodeninnovation. Fester Bestandteil des Konzepts und eingebunden in die Forschungsschwerpunkte sind deshalb auch drei Nachwuchsforschergruppen.
Grundlagenforschung mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung
Trotz aller Grundlagenforschung wird die Arbeit des HoLMiR von hoher gesellschaftlicher Bedeutung sein. Beispiele dazu nennt HoLMiR-Sprecher Prof. Dr. Markus Rodehutscord: „Die Gesellschaft wünscht sich ein hohes Maß an Wohlergehen für unsere Nutztiere. Gleichzeitig soll die Tierhaltung nicht zu Lasten der Umwelt gehen. Angesichts knapper Anbauflächen sollen Tiere das Futter optimal verwerten, um begrenzte Ressourcen möglichst zu schonen. Diese Ziele stehen miteinander teilweise im Konflikt.“
Daher müsse dazu kontinuierlich geforscht werden – u.a. auch deshalb, weil sich die landwirtschaftliche Nutztierhaltung ständig weiterentwickle, betont Prof. Dr. Rodehutscord. Ein Beispiel sei, dass sich Nutztiere durch die Zucht und neue Nutzungsarten kontinuierlich ändern – was auch deren Mikrobiom und die Wechselwirkungen einschließe. Auch das Tierfutter ändere sich ständig, weil neue Pflanzensorten oder Nebenprodukte aus der Lebensmittelproduktion eingesetzt würden – was direkte Auswirkungen auf Mikroorganismen und Nutztiere selbst habe.
„Die Vorgänge im Verdauungstrakt und die Mikroorganismen beeinflussen, welche Nähr- und Geschmacksstoffe Fleisch, Milch und Eier enthalten. Sie müssen mit gewährleisten, dass unsere Lebensmittel möglichst frei von Krankheitserreger sind. Und sie sind essentiell für Gesundheit und Wohlergehen der Tiere bis hin zum tiergerechten Verhalten“, so HoLMiR-Sprecher Prof. Dr. Rodehutscord.
Forschungsschwerpunkt 1: Wechselwirkungen zwischen Ernährung und Mikrobiom
Forschungsschwerpunkt 1 des tierwissenschaftlichen Zentrums untersucht, wie sich das Mikrobiom im Verdauungstrakt mit der Tierernährung verändert. Besondere Schwerpunkte sind der Stoffwechsel von Proteinen, von Phosphor-Verbindungen, Energieumsatz oder Gasbildung.
Eine konkrete Anwendung erläutert Prof. Dr. Rodehutscord am Beispiel von Methan. Dieses Gas entsteht als Nebenprodukt im Rindermagen und trägt als Treibhausgas zum Klimawandel bei.
„Dank HoLMiR werden wir verschiedene Versuchstiere mit unterschiedlichem Futter füttern und in Respirationskammern messen, wie viel Methan sie abgeben. Gleichzeitig können wir analysieren, wie sich das Mikrobiom bei den Versuchstieren unterscheidet und welche genetischen Eigenschaften die Tiere haben. Die Bioinformatik lässt uns dann Muster erkennen und Rückschlüsse ziehen: Ist ein Futterinhaltsstoff besonders entscheidend? Oder richtet sich der Methan-Ausstoß nach der Rasse? Sind bestimmte Mikroorganismen dabei besonders wichtig und beeinflussbar?“
Je nachdem ließen sich der Methanausstoß dann vornehmlich durch Fütterung, durch Zucht oder andere Maßnahmen, beziehungsweise Maßnahmen-Kombinationen senken.
Forschungsschwerpunkt 2: Wechselwirkungen zwischen Tiergesundheit und Mikrobiom
Der zweite Forschungsschwerpunkt des HoLMiR wird um verschiedene Aspekte der Tiergesundheit kreisen. Im Zentrum der Untersuchungen steht dabei die Darmschleimhaut.
Als Schnittstelle zwischen Tier und Mikrobiom steuert die Darmschleimhaut auch die Interaktion zwischen den Mikroorganismen und dem Wirtstier. Diese beeinflusst eine Vielzahl von Körperfunktionen vom Immunsystem bis zu neuronalen Vorgängen und dem Tierverhalten. Außerdem ist sie entscheidend für die Nährstoffaufnahme und damit auch dafür, welche Stoffe als Umweltbelastung ausgeschieden werden.
Gleichzeitig bilden Darmschleimhaut und Mikrobiom die entscheidende Barriere gegen Krankheitserreger und sie steuern die Aktivität der Immunzellen. „Da auch die beste Stallhygiene eine Infektion nicht sicher verhindern kann, sind Erkenntnisse über diesen Komplex mit entscheidend für Strategien, wie sich Tiergesundheit erhöhen und der Verbrauch von Antibiotika senken lassen“, erläutert Prof. Dr. Rodehutscord ein Beispiel.
Zusätzliche Komplexität erhält das Thema dadurch, dass auch Krankheitserreger ihr schädigendes Potenzial für die Umgebung verändern können. „Das heißt die Verfügbarkeit von Nährstoffen und Stoffwechselprodukten im Darm sowie die erwünschten Mikroben entscheiden mit, ob ein Krankheitserreger überhaupt eine Gefahr darstellt. Erkenntnisse zu diesem Thema könnten deshalb zu neuen Strategien für Prävention und Therapie von Infektionskrankheiten führen.“
Forschungsschwerpunkt 3: Wechselwirkungen im Erbgut von Nutztier und Mikrobiom
Der dritte Forschungsschwerpunkt des HoLMiR zielt auf die Genetik von Nutztieren und ihres Mikrobioms. Basis ist die Erkenntnis, dass die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Darm von Nutztieren auch erblich beeinflusst wird. Ziel sind innovative Züchtungskonzepte für Nutztierrassen, die das Potential des Mikrobioms besser ausnutzen.
Als Beispiel nennt Prof. Dr. Rodehutscord Arbeiten, die das Erbgut alter, genügsamer Rassen mit dem Erbgut moderner Milchrassen vergleichen: „Gerade unter den alten Rassen gibt es solche, die sehr gut an extreme Klimabedingungen mit wenig, aber faserreichen Futtermittel angepasst sind. Dies liegt auch an der spezialisierten Gemeinschaft von Mikroorganismen im Verdauungstrakt, die wiederum durch die Genetik der Nutztiere bestimmt sind.“
Der Forschungsschwerpunkt „Genom“ charakterisiert deshalb das Erbgut von Mikrobiom und Wirtstieren, um dann innovative Tierzüchtungssysteme zu entwickeln, welche sowohl auf der Ebene des Genoms als auch auf der des Mikrobioms der Tiere agieren. Ferner werden die komplexen Wechselbeziehungen zwischen dem Erbgut von Wirtstier und Mikrobiom untersucht. Denn Teile des Erbgutes sind epigenetischer Natur und durchaus veränderlich und können durch die Ernährung beeinflusst werden.
Bundesweit einmalige Ausstattung
Um völlig neue Forschungsansätze zu verfolgen, setzt das HoLMiR auf Ausstattung und Methoden, wie sie bislang deutschlandweit in dieser Abstimmung nicht verfügbar sind. Das Spektrum reicht von Laborarbeit, in der Proben untersucht und Körpervorgänge simuliert werden bis zur Forschung am lebenden Tier.
Auf diese Weise ermöglichen die geplanten Untersuchungen auch Erkenntnisse, die notwendig sind, um Ersatzmethoden zum aufwändigen Tierversuch zu entwickeln und zu testen.
Modul I wird modernste Bioanalytik bieten
Für Genanalysen und Untersuchungen von Proteinen und Stoffwechselprodukten wird das HoLMiR über Extraktionsroboter und Massenspektrometer für Proteomik und Metabolomik verfügen. Die Analysen werden an Proben von lebenden oder geschlachteten Tieren erfolgen oder an Proben, die mit Zellkulturen oder in vitro-Techniken gewonnen wurden.
Zu den Besonderheiten des Laborgebäudes zählen auch die sog. Ussing-Kammern: Darin können Darmabschnitte eines getöteten Versuchstieres auf Körpertemperatur gehalten und mit Sauerstoff begast werden, so dass sie über mehrere Stunden funktionsfähig bleiben. Auf diese Weise sind wichtige Untersuchungen zur Darmschleimhaut möglich, bei denen es vor allem auf die Original-Gewebestrukturen ankommt, die z.B. bei Zellkulturen so nicht mehr vorhanden wären.
Für die eigentliche Zellanalyse wird ein Laser-Scanning-Mikroskop für dreidimensionale Struktur-Analysen zur Verfügung stehen, für weitere Zellanalysen außerdem ein Durchflusszytometer. Mit dieser High-Throughput-Technik können bis zu 10.000 Zellen pro Sekunde typisiert werden.
Auch die geplanten Untersuchungen zum schädigenden Potenzial von Krankheitserregern werden sich im Labor durch Simulationsversuche zumindest vorbereiten lassen. Gleiches gilt für die geplante Forschung zur Tierernährung und zum Mikrobiom: Ein Teil der Untersuchungen werden sich im Labor mit Hilfe von künstlichen Modellen des Verdauungstraktes simulieren lassen.
Beispiele für solche „in vitro“-Modelle sind künstliche Rinder-Pansen oder der künstliche Darm des Schweines. Eine dieser Methoden – der Hohenheimer Futterwerttest – wurde auch an der Universität Hohenheim entwickelt und wird heute weltweit eingesetzt.
Modul II wird einmalige Haltung und Infrastruktur für Tierversuche stellen
Doch auch die sog. „in vitro“-Tests haben nur eine begrenzte Aussagekraft, so dass die Forschung am lebenden Tier unerlässlich ist. Zudem benötigen einige „in vitro“-Tests auch Proben aus dem lebenden Tier oder aus Schlachtkörpern.
Dafür werden besondere Tierhaltungsbedingungen notwendig sein. Hier wird die tierexperimentelle Einheit von HoLMiR bundesweit Maßstäbe setzen. Insgesamt wird das Gebäude tierschutzgemäße Spezialanlagen für die Haltung von bis zu 250 Rindern, Schafen, Schweinen und Geflügel stellen. Dazu kommt eine ganz besondere Infrastruktur.
Um auch die Gase untersuchen zu können, können Tiere tageweise in sogenannten Respirationskammern gehalten werden, in denen sich Zu- und Abluft messen lassen wird. Da nur wenige Forschungseinrichtungen große Respirationskammern z.B. für Rinder besitzen, werden die geplanten vier Respirationskammern des HoLMiR von besonderer Bedeutung sein und ein Optimum an Genauigkeit bei der Messung des Gaswechsels bieten.
Fünf bis zehn Tiere werden auch mit einem dauerhaften Zugang – sogenannte „Fisteln“ – versehen. So können ihnen, ohne Zufügen erkennbarer Schmerzen, über Jahre hinweg Proben aus dem Verdauungstrakt entnommen werden, ohne dass jedes Mal ein operativen Eingriff vorzunehmen oder ein Tier zu schlachten wäre.
Eine weitere Besonderheit ist die künftige Haltung von sogenanntem gnotobiotischen Geflügel. Dabei handelt es sich um Hühner, die in keimfreier Umgebung leben und ohne Mikroben im Verdauungstrakt aufgezogen werden. An ihnen wird sich erforschen lassen, welchen Anteil der Verdauungsprozesse das Tier auch ohne Mikrobiom durchführen kann. Ähnlich wie in der Humanmedizin werden sich auch Stuhltransplantationen durchführen lassen, die den Versuchstieren eine definierte Mikrobenmischung einpflanzen.
Im Rahmen der Gesundheitsforschung wird die tierexperimentelle Einheit die Möglichkeit geben, Versuchstiere mit Krankheitserregern zu impfen. So wird sich künftig erforschen lassen, wie sich Veränderungen bei Krankheitserregern bei Wirtstieren bemerkbar machen.
Biostatistik, Bioinformatik und Hochleistungsrechner für Abermillionen von Daten
Essentiell für alle Arbeitsgruppen wird die Unterstützung durch die Fachgebiete für Biostatistik und Bioinformatik sein. Die Zusammenarbeit wird bereits bei der Konzeption von Versuchen beginnen. Eines der Ziele dabei wird sein, die Zahl der Tierversuche auf das Minimum zu reduzieren, mit dem wissenschaftlich haltbare Aussagen getroffen werden können.
Besondere Bedeutung erhalten Biostatistik und -informatik bei der Auswertung der Abermillionen von Messergebnissen, die durch den Einsatz der Hochdurchsatz-Methoden erzeugt werden. Wichtige Synergien erreicht das HoLMiR deshalb durch die Zusammenarbeit mit der Core Facility und dem Computational Science Lab der Universität Hohenheim.