Dürren & Digitalisierung: Uni reicht Antrag-Skizze für Exzellenz-Cluster ein

Ziel: 1. Hochschul-Liga  [02.04.17]

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Ab jetzt beginnt das Daumendrücken: an diesem Montag reicht ein 25-köpfiges Forschungsteam die Antrags-Skizze für ein millionenschweres Exzellenz-Cluster ein. Im Erfolgsfall könnte es der Uni Hohenheim u.a. 40 Doktorandenstellen, 2 Professuren, und 2 Junior-Professuren einbringen – und dem Forschungsteam einen Platz an der Weltspitze. Der fakultätsübergreifende Ansatz ist neu und hochaktuell: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen Big Data-Methoden zum effektiveren Schutz vor Dürren nutzbar machen – und somit einen Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel leisten.


Deutschland soll den Anschluss an die weltweite Spitzenforschung nicht verlieren. Deshalb setzen Politik und Forschungsförderung gezielt auf Elite-Förderung und eine zunehmende Ausdifferenzierung der Uni-Landschaft.

Auch für Hohenheim gilt: Die Weichen in Richtung Leuchtturm-Uni oder zweite Hochschul-Liga werden innerhalb der kommenden Jahre gestellt. Entscheidend sind neue weltweit sichtbare Forschungsprojekte. Denn neue Forschungsgelder werden künftig immer mehr davon abhängen, ob die Unis bereits auf vergangenen Erfolgen und Vorarbeiten aufbauen können.

Keine andere Ausschreibung könnte Hohenheim dabei mit einem Schlag so weit nach vorne bringen wie ein erfolgreicher Cluster-Antrag im Rahmen der aktuell anlaufenden Exzellenzstrategie: Sieben Jahre lang fördern Bund und Länder über das Programm 40-50 herausragende Forschungsgruppen mit jeweils 3-10 Mio. € pro Jahr.

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Exzellenz-Strategie:

Begleitendes Förderprogramm des Bundes:

Im Erfolgsfall würde Hohenheim das Geld in erster Linie in kluge Köpfe investieren: In Aussicht stehen u.a. 2 W3-Professuren, 2 Junior-Professuren und ca. 40 Promotions-Stellen.

Herausforderung angenommen

Den Hut in den Ring wirft für Hohenheim ein 25-köpfiges, fakultätsübergreifendes Forschungsteam. Darunter: Biologen, Pflanzenbauer, Ökologen, Bodenkundler, Physiker, Ökonomen und Spezialisten für Unternehmensfinanzierung. Mit im Boot sind auch sieben externe Spitzen-Wissenschaftler der Universitäten Stuttgart und Tübingen sowie des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie.

Den Kern bildet die von der DFG geförderte Forschergruppe Regionaler Klimawandel – ein seit über 10 Jahren eingespieltes Team an der Uni Hohenheim.

So lohnend die Erfolgsaussichten, so hart allerdings auch der Konkurrenzkampf: Unirektor Prof. Dr. Stephan Dabbert rechnet mit rund 200 Cluster-Anträgen auf Top-Niveau. Einen klaren Start-Vorteil dürften dabei solche Forschungsverbünde haben, die bereits innerhalb der ersten Runde der Exzellenz-Initiative gefördert wurden.

Entmutigen lassen will sich die Uni Hohenheim davon allerdings nicht, betont Dabbert. Immerhin stehe die Uni in allen relevanten Rankings der letzten Jahre mit dem Bereich Agrarforschung deutschlandweit an der Spitze. Darüber hinaus erlaube die einzigartige Fächerkombination in Hohenheim interdisziplinäre Forschungsansätze, die so an keinem anderen Standort in Deutschland möglich sind.

Eine Reihe von gezielten Investitionen und Weichenstellungen der letzten Jahre sollen zudem die Erfolgschancen verbessern: dazu gehören u.a. die neue Core Facility, das geplante Big Data Lab, ein neues Land-Atmosphären-Feedback-Observatorium mit weltweit einzigartiger Messtechnik oder das neue Phytotechnikum, das ab Mai am westlichen Ende des Campus errichtet wird und Deutschlands modernstes Forschungsgewächshaus werden soll.

Digitalisierung zum Schutz vor Dürren nutzen

Zeitplan Exzellenz-Cluster

  • 3.4.2017: Frist für erste Projekt-Skizzen
  • 27.9.2017: Vorauswahl und Aufforderung für Vollanträge
  • Frühjar 2018: Frist für Vollanträge
  • Herbst 2018: Bewilligung der Exellenz-Cluster

Die Vision hinter Hohenheimer Antrag-Skizze, die an diesem Montag fristgerecht eingereicht wird: Die Digitalisierung und das Internet der Dinge mit Hilfe von neuartigen Big Data-Analysen nutzbar machen, um Dürren präziser und langfristiger vorherzusagen – und geeignete Anpassungsstrategien für Landwirte und andere Akteure entwickeln.

Wenn Landwirte z.B. schon im März wissen, ob im Juni oder Juli eine Dürre droht und welche Gewinneinbußen sie zu erwarten haben, könnten sie zu Saisonbeginn Feldfrüchte säen, die schnell abgeerntet sind, ihre Düngungsmengen anpassen oder auf trockenresistente Neuzüchtungen umsteigen.

Lohnunternehmer könnten den Maschinenbedarf für ihre Erntekampagnen vorausplanen, Versicherungen maßgeschneiderte Programme für den Ertragsausfall auflegen. Und Lebensmittelproduzenten könnten ihre Produktionsabläufe auf Angebot, Menge und Zeitpunkt ausrichten.

Hohe Brisanz angesichts des Klimawandels

Angesichts des Klimawandels ist der Wert solcher Prognosen und Anpassungsstrategien kaum zu unterschätzen.

Unter immer häufiger auftretenden Dürreperioden leiden Entwicklungsländer in den Tropen- und Subtropen besonders. Doch auch in Europa ist die Lage deutlich brisanter als es auf den ersten Blick erscheinen mag, erklären die Sprecher des Experten-Teams in einem Pressegespräch.

Beispielsweise ist der Rekord-Sommer 2003, der vielen Sonnenfreunden in positiver Erinnerung geblieben sein mag, nach Berechnungen der Versicherungsgesellschaft Münchener Rück die verheerendste Naturkatastrophe, die Europa seit vielen Jahrzehnten heimgesucht hat. Allein Deutschland verzeichnete damals 7000 Hitze-Tote und einen wirtschaftlichen Schaden für die Landwirtschaft von rund 1,5 Milliarden Euro.  

Visionen mit hohem Forschungsbedarf – doch wichtige Grundlagen sind bereits da

Es sind Gedanken wie dieser, die Prof. Dr. Thilo Streck als Sprecher des Expertenteams umtreiben: Weil der Kraftaufwand beim Pflügen unter anderem auch von der Feuchtigkeit des Bodens abhängt, könnten Computer aus den Bewegungsdaten aller Traktoren und aus deren Dieselverbrauch eine ungeahnt präzise Karte der Bodenfeuchte in Deutschland errechnen.

Ganz so einfach ist die Rechnung allerdings nicht. Denn neben der Bodenfeuchte bestimmt vor allem auch der Tongehalt den Pflugwiderstand. Doch auch diese Effekte lassen sich wahrscheinlich aus den Daten herausfiltern.

Auf jeden Fall braucht es jedoch noch sehr viel Grundlagenforschung. Und vielleicht wird sich dieses ganz konkrete Gedankenspiel so auch nie erfüllen.

Aber: Schon heute besitzen die neueren Traktoren Bordcomputer, die diese und viele weitere Daten aufzeichnen und in sogenannte Daten-Clouds übertragen. Weitere Daten stammen z.B. von Agrardrohnen, wie sie die Uni Hohenheim bereits einsetzt. Oder von speziellen Sensoren, die den Düngungszustand und Schädlingsbefall von Pflanzen erkennen können.

Besondere Erfahrung besitzt Hohenheim auch bei der Entwicklung neuartiger Software für Klimaprognosen, die unerreicht kleinräumige und präzise Vorhersagen treffen. Dabei kommt ihr zu Gute, dass Physiker, Pflanzenwissenschaftler und Agrarökonomen hier Hand in Hand arbeiten.

„Wie sich das Klima vor Ort entwickelt ist das Ergebnis von hochkomplizierten Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, die Wasser verdunsten, der Atmosphäre, wo sich die Wolken bilden, und dem Menschen, der zum Beispiel als Landwirt entscheidet, welche Pflanzen er wann, wo und wie anbaut“, erklärt Prof. Dr. Streck. „An der Universität Hohenheim haben wir es geschafft, für alle Teilprozesse Computermodelle zu programmieren, die wir gerade zu einer Gesamtsoftware für den Supercomputer am Hochleistungsrechenzentrum Stuttgart zusammensetzen.“

Wesentliche Voraussetzungen: Besseres Verständnis von Pflanze und Ökosystem


Auf solche und auf viele andere Vorarbeiten wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zurückgreifen, wenn sie nun erforschen, wie sich Landwirtschaft, Wirtschaft und Gesellschaft speziell gegen die zunehmenden Dürreperioden wappnen können.

Ein Baustein dabei sind neue Züchtungskonzepte für Pflanzensorten, die auch ungünstigere Verhältnisse ohne größere Ernteverluste überstehen. Doch um diese besser züchten zu können, müssen die Forscher erst einmal die Genetik und die Prozesse verstehen, die bei der Dürre innerhalb von Pflanzenzellen ablaufen.

„Bisherige Ergebnisse stammen aus Gewächshäusern und entsprechen oft nicht der Realität“, begründet Prof. Dr. Streck den besonderen Forschungsbedarf. Dabei gilt es, abertausende von Substanzen in ungezählten Pflanzen zu analysieren – eine Aufgabe, die nur mit modernster Analytik und Bioinformatik zu bewältigen ist.

Ein weiteres Team will die Ökologie des gesamten Ökosystems auf dem Acker untersuchen: „Dabei geht es um Fragen, wie sich bei verschiedenen Arten von Dürre die Gleichgewichte zwischen Nutzpflanzen, Unkräutern, Bodenleben, Nutz- und Schadinsekten verschieben. Oder um die Frage, ob wir auf einem Acker verschiedene Nutzpflanzen mischen, die sich das Wasser aus verschieden tiefen Bodenschichten holen und so Dürren in Gemeinschaft besser überstehen.“

Unabdingbar: bessere Saison-Vorhersagen und Big-Data-Analysen

Große Bedeutung haben auch bessere saisonale Wetter- und damit Ernteprognosen. Prof. Dr. Volker Wulfmeyer vom Institut für Physik: „Unser Ziel ist es, Jahreszeitenvorhersagen für die kommende Vegetationsperiode zu verbessern und damit auch den letztlich erzielbaren Ernteertrag zu prognostizieren. Bislang lässt sich das Wetter nur für ein paar Tage präzise vorhersagen, wir müssen also Wege finden, sehr viele und sehr detaillierte Messdaten zu erheben und auszuwerten.“

Eine Spezialität der Uni Hohenheim ist es, auch das menschliche Anpassungsverhalten in die Computersimulationen mit einzubeziehen. Mit der sogenannten „Agenten-Technologie“ schufen die Forscherinnen und Forscher eine virtuelle Parallelwelt, in der virtuelle Landwirte aufgrund von Marktpreisen, Wettervorhersagen, Agrarpolitik und Umweltauflagen entscheiden, wie sie ihre Höfe bewirtschaften, was sie in der kommenden Saison anbauen, wie viel sie düngen und wie sie ihre Pflanzen schützen.

„Diese virtuelle Welt wollen wir jetzt um Big Data erweitern, d.h. wir wollen die vielen Daten nutzen, die von Produktion über Weiterverarbeitung und Verkauf von Agrarprodukten anfallen“, sagt Agrarökonom Prof. Dr. Thomas Berger. „Besonders vielversprechend ist, dass wir mit unseren Computermodellen auch Kooperation von Landwirten simulieren können. Wir können z.B. herauszufinden, ob der Austausch von Wirtschaftsdüngern, gemeinsam genutzte Erntemaschinen oder zwischen Nachbarn abgestimmte Pflanzenschutzkampagnen lohnenswert sind.“

Die Datenanalyse und Simulation könnte später auch reale Landwirte, die Wirtschaft und die Politik bei ihren Entscheidungen unterstützen. So ließen sich einzelne Abschnitte aus Produktion, Logistik und Verarbeitung besser aufeinander abstimmen, Mineraldünger und natürliche Ressourcen sparen und das gesamte bioökonomische System weniger anfällig für Extremsituationen wie zum Beispiel Dürren machen.

Hintergrund: Zeitplan

An diesem Montag (3.4.) endete die Frist für die Einreichung von Antrags-Skizzen für die Exzellenz-Cluster. Bis zum 27. September 2017 treffen die Gutachter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung eine erste Vorauswahl. Diese entscheidet darüber, ob die Uni Hohenheim einen vollwertigen Antrag einreichen darf.

Zeit für die Ausarbeitung der Anträge bliebe im Erfolgsfall bis zum Frühjahr 2018. Die endgültige Entscheidung über die Bewilligung der Exzellenz-Cluster fällt dann im Herbst 2018.

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