Projekt Ökologischer Campus
Mehr Insektenweiden in Hohenheim [25.06.21]
Insektenfreunden schlug in den letzten Wochen bei solchen Anblicken das Herz höher. Allerdings werden auch künftig nicht alle Campusflächen zu Insektenweiden. Der späte Zeitpunkt für das Mähen hatte in diesem Jahr auch mit dem Wechsel des externen Dienstleisters zu tun. Bild: Uni Hohenheim
Der Campus der Uni Hohenheim gilt als artenreichster des Landes. Das ist vor allem den weitläufigen Anlagen der Hohenheimer Gärten mit geringem Mähzyklus zu verdanken. Einen Kontrast dazu bildeten bisher jedoch die „ordentlichen“ Rasenflächen rund um die Gebäude. Insektenfreundlich ist das nicht gerade – und passt deshalb auch nicht zur Botschaft, die Forschende der Uni Hohenheim angesichts des dramatischen Artensterbens in die Gesellschaft tragen möchten. Nach mehrjährigem Dialog mit dem Landesamt für Vermögen und Bau konnte der Arbeitskreis „Ökologischer Campus“ in diesem Jahr nun wichtige Fortschritte erreichen. Der Online-Kurier zeigt anhand von Karten, was genau sich tut und wo bereits Hotspots in Sachen Artenvielfalt zu finden sind.
Der Hintergrund ist ernst. „Das Artensterben, das wir in den letzten Jahren beobachten ist dramatisch. Betroffen sind Käfer, Wildbienen, Wespen, Schmetterlinge, Spinnen und Wildkräuter gleichermaßen: Sie alle erfüllen einen unschätzbaren Beitrag für das Ökosystem, und sichern somit letztendlich auch unsere Lebensgrundlage“, betont Prof Dr. Martin Hasselmann vom Fachgebiet Populationsgenomik bei Nutztieren.
In den Hohenheimer Gärten wird Artenschutz seit vielen Jahren großgeschrieben. Im Bereich des Landschaftsgartens und der Vegetationsgeschichte werden Wiesen nur zweimal im Jahr gemäht und das Schnittgut an einen Landwirt als Tierfutter abgegeben. Doch gerade bei den Grünflächen im Zentrum des Campus, wo der meiste Besuchsverkehr herrscht, sah das zuletzt noch häufig ganz anders aus.
Uni soll Vorreiter werden
Genau auf diesen Flächen soll sich etwas verändern. Dafür setzt sich seit gut zwei Jahren ein Arbeitskreis aus engagierten Professor:innen, Beschäftigten der Hohenheimer Gärten, der Versuchsstation Agrarwissenschaften, der Universitätsverwaltung sowie Studierenden der Initiative „Bunte Wiese Stuttgart“ ein.
„Man könnte sagen: Ein paar Quadratmeter mehr oder weniger Wiese auf dem Campus – das macht doch keinen großen Unterschied. Uns geht es aber vor allem um den kommunikativen Effekt“, erklärt Prof. Dr. Hasselmann. „Wenn wir als Universität in die Gesellschaft wirken wollen, sollten wir mit gutem Beispiel vorangehen – und zwar nicht nur an Randgebieten des Campus, sondern genau dort, wo es Besuchern und Uni-Angehörigen am meisten ins Auge fällt.“
Status quo: Wie war die Situation bisher?
Weniger mähen, heimische Pflanzen statt bunter Exoten, „unaufgeräumte“ Ecken mit heruntergefallenem Laub und Holz über den Winter bestehen lassen: Das sollte sich doch eigentlich auch auf dem Hohenheimer Campus ohne größere Probleme umsetzen lassen – sollte man meinen.
Tatsächlich ist die Sache jedoch nicht ganz so einfach. Denn für einen Großteil der Flächen um die Gebäude ist die Uni nicht unmittelbar zuständig, sondern das Universitätsbauamt, eine Behörde des Landesamts für Vermögen und Bau, das dem Finanzministerium zugeordnet ist.
Im Bauamt hat man den Wunsch der Universität bereits vor zwei Jahren zur Kenntnis genommen und zugesagt, im Dialog zu bleiben und Schritt für Schritt Veränderungen vorzunehmen. Die praktische Umsetzung von Maßnahmen lief allerdings zunächst nur langsam an, beispielsweise mit Wiesenstreifen entlang der Kirschenallee (östliche Campus-Zufahrt) oder mit Blühstreifen am Schloss.
Hintergrund: Mit der großflächigen Umstellung der Grünpflege sind auch neue Herausforderungen verbunden. Wird eine Grünfläche z.B. länger nicht gemäht, sind dazu besondere Gerätschaften erforderlich. Das Schnittgut kann nicht wie bisher auf den Flächen liegengelassen werden, sondern muss abtransportiert und ggfs. vorher zu Heu verarbeitet werden. Zudem sah sich das Unibauamt immer wieder mit Beschwerden über vermeintlich „ungepflegte“ Grünflächen konfrontiert.
In den vergangenen Jahren konnten Maßnahmen für Biodiversität deshalb vor allem dort umgesetzt werden, wo die Universität unmittelbar zuständig ist. Dass sich dieser Weg auszahlt, lässt sich bereits an vielen Stellen beobachten. Einige der so entstandenen Hotspots mit besonders hoher Artenvielfalt werden von Biolog:innen im Rahmen von Projektarbeiten begleitet und in ihrer Veränderung erfasst.
Eine Karte mit einer Beschreibung der bestehenden Biodiversitäts-Hotspots befindet sich am Ende des Artikels.
Was tut sich aktuell?
Rückenwind für das Anliegen des Arbeitskreises Ökologischer Campus gibt es inzwischen auch aus der Politik: So machte sich Staatssekretärin Gisela Splett (Grüne) vom Finanzministerium im November persönlich ein Bild der Situation und sagte ihre Unterstützung für weitere ökologische Maßnahmen zu. Der studentischen Initiative „Bunte Wiese Stuttgart“ gelang es im Frühjahr darüber hinaus, Hohenheims berühmtesten Alumnus, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, als Schirmherrn zu gewinnen.
Die Beharrlichkeit der Akteure hat in diesem Jahr aber auch ganz konkrete Früchte getragen: Das Universitätsbauamt sagte zu, ab sofort zusätzliche Flächen im Zentrum des Campus als 2-schürige Wiese auszuweisen.
Dazu zählen Flächen nördlich und südlich des Hohenheimer Schlosses, sowie um das Verfügungsgebäude, wo ab sofort nur noch 2-mal jährlich gemäht wird. Dazu wurde ein neuer Dienstleister mit der Grünpflege beauftragt, der alle Spezialanforderung inklusive Heuernte erfüllt. Die Uni sagte zu, einen Teil des Schnittguts in der Forschungsbiogasanlage zu verwerten. Für den Rest konnte das Universitätsbauamt einen örtlichen Landwirt als Abnehmer gewinnen.
Für größere Akzeptanz bei Besucherinnen und Besucher sollen gemähte Streifen entlang der Wege sorgen, die deutlich machen, dass Wiesen hier ganz bewusst später gemäht werden und nicht etwa vergessen wurden. Außerdem sollen neue Schilder künftig über den Hintergrund informieren – und zum Nachahmen animieren.
Als nächster Schritt ist für kommendes Frühjahr ein neuer Lehrpfad entlang der Garbenstraße geplant. Dabei sollen ca. fünf bis acht 3 x 3 m große Modellflächen angelegt werden, wobei die Institute der im Arbeitskreis engagierten Profs für jeweils eine die Pflege-Patenschaft übernehmen. Diese beschilderten Modellflächen sollen zeigen, wie sich Lebensräume unter unterschiedlichen Bedingungen entwickeln, wenn sie sich praktisch selbst überlassen bleiben.
Hintergrund: Was ist mit den übrigen Flächen?
Was die übrigen Rasenflächen an den Gebäuden betrifft, will der Arbeitskreis weiter im Gespräch mit dem Universitätsbauamt bleiben. „Vielleicht können wir ja, wenn sich die bisherigen Maßnahmen eingespielt haben, Schritt für Schritt noch weitere Flächen in den Blick nehmen“, hofft Hasselmann.
Auch die Flächen, die unmittelbar von der Universität verwaltet werden, können nicht alle in Insektenweiden umgewandelt werden. Der exotische Garten beispielsweise steht unter Denkmalschutz, mit samt dem zugehörigen kurzgemähten Rasen. Einen Kompromiss für mehr Biodiversität schaffen hier speziell ausgewiesene Blühstreifen.
Ein großer Teil der campusnahen Grünflächen wird zudem als Futterwiese für den Meiereihof benötigt. Diese Grünlandflächen werden ohne chemischen Pflanzenschutz bewirtschaftet und 3-mal pro Jahr gemäht.
„Für die Futterversorgung der Milchkühe würden uns zwei Schnitte ausreichen. Zwangsläufig müssen wir aber einen dritten Schnitt machen, um den Feldmäusen die Deckung zu nehmen. Diese können dann besser von Greifvögeln bejagt werden und können so weniger Schaden anrichten. Außerdem würde das vermodernde Gras im kommenden Jahr das frische Gras mit Fäulnis- und Schimmelpilzen kontaminieren und so die Gesundheit der Tiere beeinträchtigen“, berichtet Herbert Stelz von der Versuchsstation Agrarwissenschaft.
Auch mit den Flächen, die für agrarwissenschaftliche Versuche benötigt werden, leistet die Uni Hohenheim vielfältige Beiträge für mehr Biodiversität und Ökologie.
Auf den Versuchsflächen östlich des Schlosses wird mit dem Projekt „NOcsPS“ z.B. ein neues Agrarsystem zwischen konventionell und ökologisch erprobt, bei dem auf chemische Pflanzenschutzmittel verzichtet, aber Mineraldünger einsetzt wird.
Ein anderes Beispiel ist ein Experiment, das aktuell auf dem Heidfeldhof westlich des Campus (nicht im Bild) durchführt wird. Die Fachgebiete Landschaftsökologie und Vegetationskunde sowie Ökologie tropischer Agrarsysteme untersuchen dort, wie unterschiedliche Naturschutzmaßnahmen in intensiv genutzten Agrarlandschaften integriert werden können. Denn großflächige Monokulturen gelten als eine der Hauptursachen für das Artensterben.
„Uns interessiert der Effekt von Maßnahmen, die in einem schmalen Streifen entlang des Ackers umgesetzt werden können und das Ziel haben, ein vielfältiges Ressourcenangebot für verschiedene Artengruppen anzubieten. Dazu zählen eine mehrjährige Blühmischung, Fräsen zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten, um offenen Boden zu schaffen, das Einbringen von Sand als Substrat z.B. für bodennistende Wildbienen und die gezielte Anpflanzung seltener Ackerwildkräuter. Um die Auswirkungen auf die Biodiversität zu beobachten, erfassen wir während der Vegetationsperiode regelmäßig, welche Pflanzen und Insekten sich in unseren Experimentalflächen ansiedeln und vergleichen das mit Flächen, die auf herkömmliche Weise gemanagt werden“, erklärt Dr. Christine Sabine Sheppard vom Fachgebiet Landschaftsökologie und Vegetationskunde.
Text: Leonhardmair