Forschendes Lernen: Internationale Konferenz in Hohenheim

7 Postulate für radikalere Lehre  [07.06.19]

Wissenschaftlich arbeiten statt verschultes Wissen zu reproduzieren: Das ist der Grundgedanke des Forschenden Lernens. In Deutschland experimentieren nur vereinzelte Universitäten mit diesem radikalen didaktischen Ansatz, der große Herausforderungen an Lehrende und Lernende stellt. Die internationale Tagung „Focus Undergraduate Research Experiences“, die heute an der Uni Hohenheim zu Ende ging, bewertete den Erfolg des Ansatzes. Die Tagung endete mit einer Pressekonferenz und der Verabschiedung eines Memorandums mit 7 Postulaten zur Erneuerung der akademischen Lehre.


Beim forschenden Lernen tauchen Studierende schon im Grundstudium in die Wissenschafts- und Forschungswelt ein. Dazu entwickeln sie eine eigene Strategie und tragen auch das Risiko, sich dabei zu verirren. Sie überprüfen Ergebnisse und stellen diese nachprüfbar und verständlich dar. Abschließend reflektieren sie den Forschungsprozess und sich selbst als Forschende.

Von einem solchen Paradigmen-Wechsel in der Lehre würden Studierende, Universitäten, Arbeitgeber und Gesellschaft gleichermaßen profitieren, erklären die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der internationalen Tagung in ihrem „Hohenheimer Memorandum für Forschendes Lernen“.

Belegt werde dies unter anderem auch durch eine neue Wirkungsstudie mit über 300 Teilnehmern. Allerdings sei das Konzept für alle Beteiligten sehr fordernd. Zur Umsetzung seien die Hochschulen auf bessere Ausstattung und mehr wissenschaftliches Personal angewiesen.

7 Postulate für Forschendes Lernen

Forschendes Lernen nutze Lehrenden, Lernenden, Wirtschaft & Gesellschaft

„Das Forschende Lernen leistet einen bedeutsamen Beitrag zur Realisierung zentraler Bildungs- und Qualifizierungsziele von Hochschulen“ zitiert Dr. Cornelia Frank als eine der Autorinnen aus dem Hohenheimer Memorandums. Denn: „Das Forschende schafft Raum für Eigeninitiative und Erprobung. Es konfrontiert die Studierenden aber mit Unwägbarkeiten und Ergebnisoffenheit. Damit werden Kompetenzen ausgebildet, die in akademischen Berufsfeldern notwendige Voraussetzungen für erfolgreiche Tätigkeiten sind.“

Doch auch die lehrenden Wissenschaftler profitierten, so Prof. Dr. Philipp Pohlenz von der Universität Magdeburg als weiterer Autor. „Forschendes Lernen steigert die Akzeptanz der Lehre als integraler Teil von Wissenschaft. Eine so praktizierte Einheit von Forschung und Lehre steigert die Professionalität im konkreten Lehrhandeln.“

Gleichzeitig profitiere die Gesellschaft, ergänzt Prof. Dr. Peter Tremp als weiterer Verfasser. „Ein wichtiger Teil des Forschenden Lernens sind auch ethische und forschungsethische Fragen, die sich durch das neue Wissen ergeben. Forschende Lernen trägt so zu einem respektvollen, sorgfältigen Umgang mit Wissen und akademischer Bildung bei. Die Studierenden können zudem eine Rolle als „Botschafter der Wissenschaft“ in der an Bedeutung stetig gewinnenden Wissenschaftskommunikation einnehmen.“

Forschendes Lernen stellt hohe Ansprüche an alle Akteure

Das Konzept sei allerdings auch fordernd: Forschendes Lernen brauche Freiräume. Prüfungen und Rollenverständnis von Lehrenden und Lernenden müssten angepasst werden. Außerdem stelle es hohe Ansprüche an Lehrpläne, Didaktik und die ganze Hochschulorganisation.

„Vor allem steht und fällt das Forschende Lernen mit der Betreuung“, betont Prof. Dr. Korinna Huber, Prorektorin für Lehre der Universität Hohenheim auf der Pressekonferenz zur Verabschiedung des Memorandums.

Notwendig seien kleine Gruppen und eine wesentlich bessere Betreuungsrelation – so, wie sie zum Beispiel in der Schweiz oder an angelsächsischen Universitäten bereits Standard sei. „Wenn wir uns anschauen, wie viele Mittel uns pro Studierendem zur Verfügung steht, sind wir trotz leichter Steigerung in den vergangenen Jahren noch immer unter dem Niveau des vergangenen Jahrtausends.“

Hier bräuchten die Hochschulen dringend eine Trendumkehr: „Dazu gehört ein Ressourcenaufwuchs, der die Lücke schließt und ein dauerhafter Inflationsausgleich, damit die Hochschulen auch in Zukunft den Ansprüchen genügen können, die die Gesellschaft zu Recht an sie stellt“, so Prof. Dr. Huber

Wirkungsstudie zu Humboldt reloaded

Dass das Konzept in der Praxis wirkt, belegen unter anderem auch acht Jahre Praxiserfahrung an der Universität Hohenheim: „Unter dem Namen „Humboldt reloaded“ bieten wir das Forschende Lernen seit 2010 auf freiwilliger Basis an. 2014 wurde das Konzept mit dem Exzellenzpreis für Lehre Ars legendi ausgezeichnet“, berichtet Prof. Dr. Martin Blum, Initiator und Projektleiter von Humboldt reloaded.

Begleitet wird Humboldt reloaded durch eine Wirkungsstudie des Fachgebiets Marketing und Business Development von Prof. Dr. Markus Voeth.

„Die Studie zeigt: Forschendes Lernen fördert Recherchekompetenz, Fachkompetenz sowie Soziale und Personale Kompetenz. Außerdem vermittelt sie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sehr früh ein sehr realistische Bild von Forschung, was entscheidend für spätere Karriereentscheidungen sein kann“, berichtet M.A. Johanna Sand, Projektleiterin der Wirkungsstudie.

Mit diesen Aussagen stützt sich die Wirkungsstudie auf die Auswertung von Noten und Befragungen von rund 300 Humboldt reloaded- Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Als Kontrollgruppe dient der Vergleich mit den Studierenden aus gleichen Studiengängen, die nicht am Forschenden Lernen teilnahmen.

Dabei handelt es sich um Zwischenergebnisse. Die Studie soll auch in den kommenden Jahren fortgeführt werden.

HINTERGRUND: Forschendes Lernen

Die Schrift „Forschendes Lernen – Wissenschaftliches Prüfen“ (Bundesassistenten-Konferenz BAK, 1970) lancierte das Forschende Lernen im deutschen Sprachraum und prägt die Diskussion bis heute. Allerdings hat sich die Hochschullandschaft seither gravierend verändert: Die Studierendenzahlen sind stark gestiegen, hinzu kommen Trends wie verstärkter Konkurrenzkampf um Drittmittel für Forschung und Lehre wie auch um die „besten Köpfe“.

Dies führt dazu, dass das Konzept des Forschenden Lernens kontinuierlich weiterentwickelt werden muss. Die Tagung „focusURE“ an der Universität Hohenheim vom 5. – 7. Juni 2019 diskutierte die neuen Ansprüche an das forschende Lernen und zog aus den vergangenen 50 Jahren Bilanz.

Das Hohenheimer Memorandum zum Forschenden Lernen versteht sich als Denkschrift und Anregung für seine weitere Entwicklung. Aufgegriffen werden hierbei sowohl die Erkenntnisse der Tagung mit ihrem interdisziplinär und international zusammengesetzten Teilnehmerkreis als auch die Debatten vergangener Jahre. Aus diesen gingen Forderungen hervor, die in ihrem Anspruch in unterschiedlicher Weise zum Teil noch unerfüllt geblieben sind. Die Postulate und deren beschriebene Implikationen richten sich an alle Akteure der Hochschulbildung.


Mehr zum Thema im Online-Kurier

Artikel zum Thema: Lehre