#1 in Biodiversity Challenge

Hohenheim ist artenreichster Campus Europas  [02.07.23]

Bild: Uni Hohenheim / Gerlach

Hohenheim hat’s geschafft! 2087 wilde Tier- und Pflanzenarten haben Artenkenner:innen und engagierte Citizen Scientists in den letzten Wochen auf dem Campus bestimmt und digital erfasst – mehr als doppelt so viele wie ursprünglich angepeilt. Darunter seltene Spinnenarten, Wildorchideen oder scheue Dachse. Nicht mitgezählt wurden über 8.000 verschiedene Pflanzenarten, die in den Hohenheimer Gärten durch Menschenhand kultiviert werden. Damit darf sich die Uni Hohenheim offiziell artenreichster Campus Europas nennen. An der ICA Biodiversity Challenge beteiligten sich ingesamt 17 Unis aus 13 Ländern Europas. Spannend blieb der Wettbewerb bis zum Schluss.


Es kreucht und fleucht auf dem Campus der Uni Hohenheim: Allein 63 unterschiedliche Vögel vom Kuckuck bis zum Eisvogel, 15 Libellenarten oder 416 unterschiedlichen Käfer konnten fleißige Artenzähler:innen in den letzten Wochen bestimmen. Lichtfallen lockten 345 unterschiedliche Nachtfalter ins Netz und besonders scheue Campus-Bewohner wie Dachse und Füchse konnten dank Fotofallen dokumentiert werden.

„Dabei brachte unsere Arten-Inventur auch seltene Arten wie z.B. die Dreiecksspinne, den Neuntöter, Nashornkäfer, kriechenden Sellerie oder die Bienenragwurz, eine heimische Wildorchidee, zum Vorschein“, freut sich Biologe Prof. Dr. Johannes Steidle vom Fachgebiet Chemische Ökologie.

Wo genau die Beobachtungen auf dem Campus gemacht wurden, können Interessierte auf der Plattform observation.org genau nachvollziehen. Viele Entdeckungen sind hier auch mit Fotos verknüpft.


Auszeichnung für Artenvielfalt – und Expertise


„Unser erfolgreiches Abschneiden in der europaweiten Challenge dokumentiert zweierlei“, betont Rektor Prof. Dr. Stephan Dabbert stolz. „Unser Campus ist außergewöhnlich artenreich, was nicht zuletzt auf engagierte Schutzmaßnahmen zurückzuführen ist, die wir zum Teil bereits seit über zwei Jahrzehnten durchführen. Zum anderen verfügen wir über eine außergewöhnliche biologische Fachkompetenz, die notwendig ist, um unterschiedliche Artengruppen gezielt aufzuspüren und professionell zu bestimmen.“

Zum Einsatz kamen dabei mitunter innovative Methoden der Taxonomie-Forschung. „Viele der 119 erfassten Fliegen- und Mückenarten beispielsweise sind selbst unterm Mikroskop kaum voneinander zu unterscheiden“, erläutert Prof. Dr. Lars Krogmann, Direktor des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart, der gleichzeitig das Fachgebiet Biologische Systematik an der Universität Hohenheim leitet. „Bestimmen konnten wir sie dennoch: Anhand ihres sogenannten DNA-Barcodes. Hierbei handelt es sich um Sequenzen im Genom, die wie ein genetischer Fingerabdruck fungieren und uns bei der Identifizierung helfen.“

 


Citizen Scientists helfen mit

Doch nicht nur Biologie-Studierende und Expert:innen der Uni Hohenheim und des Naturkundemuseums waren in den letzten Wochen für die Biodiversity Challenge unermüdlich im Einsatz. Mit Hilfe der kostenlosen App ObsIdentify konnten sich alle Interessierten als Citizen Scientists betätigen und die Uni beim Artenbestimmen unterstützen.

Eine Einführung dazu gab es beim Hohenheimer Tag der Artenvielfalt am 17. Juni, wo Fledermausführungen, Mikroskopier-Stände und zahlreiche weitere Programmpunkte die Entdeckung der heimischen Flora und Fauna zum Erlebnis machten. Organisiert wurde das Event vom Kompetenzzentrum Biodiversität und integrative Taxonomie (KomBioTa).


Seltene Tier- und Pflanzenarten kehren zurück

„Die hohe Dichte an unterschiedlichen Arten auf unserem Campus ist kein Zufall“, betont Dr. Hartmut Dalitz, wissenschaftlicher Leiter der Hohenheimer Gärten. „Seit über 20 Jahren werden Wiesen im Bereich der Vegetationsgeschichte und des Landschaftsgartens nur noch 2-mal jährlich gemäht. Anders als beim herkömmlichen Mähen bleibt das Schnittgut nicht auf den Grünflächen liegen, sondern wird zu Heu verarbeitet und von einem ortsansässigen Bauern abgeholt.“

Ohne die überreiche Düngung durch das zurückgelassene Schnittgut sind die ehemaligen Fettwiesen dabei, sich im Lauf der Jahre wieder allmählich in natürliche Magerwiesen zu verwandeln, die für viele heimische Pflanzen und Tiere ein überlebenswichtiges Habitat bieten. Durch das seltene Mähen kommen außerdem mehr Wildpflanzen zur Samenreife und weniger Insekten fallen dem Mähvorgang zum Opfer.

Darüber hinaus ergreifen die Hohenheimer Gärten zahlreiche weitere Maßnahmen, damit sich neue Biodiversität-Hotspots entwickeln. 2021 wurde beispielsweise ein Eidechsenhabitat mit Brut- und Jagdrevier angelegt. 2022 kam ein Gipshügel hinzu, der ähnliche Bedingungen wie eine natürliche Steppenlandschaft bietet und über die Jahre weitere seltene Arten auf den Campus locken soll.


Spannung bis zum Schluss

Die Biodiversity Challenge fand vom 22. Mai bis 1. Juli 2023 zum ersten Mal statt. Erklärtes Ziel des sogenannten „Bioblitz“ war es, mindestens 1000 verschiedenen Arten pro Standort zu bestimmen und den artenreichsten Campus Europas zu ermitteln. Insgesamt beteiligten sich 17 Unis aus 13 Ländern Europas. Die teilnehmenden Unis wollen mit der Aktion Bewusstsein für das dramatische Artensterben weltweit und die Bedeutung der Biodiversität setzen.

Mit 2087 Arten hat die Uni Hohenheim am Ende sogar mehr als doppelt so viele Arten bestimmt wie ursprünglich angepeilt. Doch der Wettbewerb blieb bis zum letzten Tag spannend. Dicht auf den Fersen lag Hohenheim dabei die Schwedische Universität für Agrarwissenschaften (SLU) mit 1873 erfassten Arten. Zum deren Ergebnis trugen allerdings sechs verschiedene, über ganz Schweden verteilte Standorte in unterschiedlichen Vegetationszonen bei. Die belgische KU Leuven landet mit 1453 erfassten Arten auf Platz 3.

Die Association for European Life Science Universities ist ein Netzwerk von mehr als 50 Universitäten aus der EU und ihren Nachbarländern, die sich mit einer kreislauforientierten Bioökonomie, der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen, biologischer Vielfalt, Umweltschutz sowie der Entwicklung des ländlichen Raums befassen.

Text: Leonhardmair

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