Offener Brief der VS: Kanzlerin im Interview

Nachgefragt: Lernräume  [02.07.19]

In einem Offenen Brief wandte sich die Studierendenvertretung am Montag an das Rektorat. Die Forderung: Übergangslösungen für rund 135 Lernplätze im Lernzentrum (alte Phytomedizin), die wegen akutem Raumengpass voraussichtlich bis 2021 wegfallen. Im Interview mit dem Online-Kurier nimmt Kanzlerin Katrin Scheffer Stellung zum Thema.


Hintergrund:

Grund für die Schließung der Lernräume Anfang des Semesters ist eine dringend notwendige Sanierungsmaßnahme im Schloss Westhof-Süd (Reitscheuerflügel). Untergebracht waren dort Lehrstühle des Instituts für Bodenkunde sowie ein Großteil der IT-Abteilung des KIM. Aufgrund des aktuellen Baubooms, konnte die Uni kein anderes Ausweichquartier für die Büros finden.

Eine Verlegung des Lernzentrums ins Schloss ist zwar schon länger geplant, allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt. Denn die vorgesehenen Räume im Westhof sind voraussichtlich nicht vor Mitte 2021 frei und können erst dann – zunächst unsaniert – als Lernräume verwendet werden. Allerdings ist auch im Westhof West noch eine Grundsanierung des Gebäudes und eine Umwandlung der dort befindlichen Labore geplant.


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Interview

Frau Scheffer, die Studierendenvertretung hat offenbar den Eindruck, dass die Uni-Leitung nicht ausreichend wahrnimmt, wie groß das Problem für die Studierenden ist. Ganz direkt gefragt: Welche Priorität haben Lernplätze denn für die Uni?

Scheffer: Wir wollen Studierenden natürlich eine möglichst optimale Lernumgebung in Hohenheim bieten. Nicht umsonst hat sich die Uni vorgenommen, das Forschende Lernen als besonderes Markenzeichen in der Lehre zu etablieren.

Und wir haben sehr wohl registriert, dass sich das Lernverhalten der Studierenden in den letzten Jahren verändert hat. Gruppenarbeitsräume sind heute viel stärker nachgefragt als bei früheren Studierendengenerationen. Wir begrüßen diese Entwicklung, die parallel zur Digitalisierung der Lehre verläuft, und vielleicht auch einen gewissen Kontrapunkt dazu setzt.

Die 100 bzw. 135 betroffenen Lernplätze – 35 Lernplätze im östlichen Teil bleiben zunächst erhalten – sollen ja auch nicht dauerhaft wegfallen, sondern in den Schloss Westhof umziehen. Mittelfristig ist unser Ziel, darüber hinaus noch weitere Möglichkeiten zu finden, um zusätzliche hochwertige Lernräume zu schaffen.

…, aber?

Wenn Sie nach Prioritäten fragen, müssen wir als Uni-Leitung kurzfristig auch Abwägungen treffen. Wir haben aktuell so viele Baumaßnahmen auf dem Campus wie in den letzten Jahrzehnten nicht. Dabei kommt es aus den unterschiedlichsten Gründen immer wieder zu Verzögerungen, mit denen wir umgehen müssen, auch wenn wir sie nicht verschuldet haben.

Die resultierende Raumknappheit ist im Moment so groß, dass wir teilweise Probleme haben, überhaupt Büros für unsere neuen Fachgebiete zu finden. Und auch wenn es z.B. um das Thema Arbeitssicherheit geht, können wir Maßnahmen nicht zugunsten von Lernplätzen zurückstellen. Beispielsweise wurde vor einigen Wochen in Büro-Räumen im Osthof des Schlosses der Schadstoff PCB entdeckt und hier brauchen wir für Betroffene kurzfristig Ersatzunterbringungen.

Bei all dem muss man auch sehen: Es gibt nach wie vor über 1200 reguläre Lernplätze auf dem Campus. Außerdem stellen wir seitens der Universität weiterhin Geld zur Verfügung, damit die Speisesäle der Mensa außerhalb der Essenszeiten als Lernplätze genutzt werden können. Ursprünglich war das nur als vorrübergehende Maßnahme geplant. Auch die TMS wird seit 2016 ja von der Verfassten Studierendenschaft verwaltet und kann tagsüber als Treffpunkt genutzt werden.

Ich verstehe, dass diese Plätze für viele Studierenden keinen gleichwertigen Ersatz für die weggefallenen Gruppenarbeitsräume darstellen. Aber kurzfristig konnten wir leider keine bessere Lösung finden.

Hat sich die Uni bzw. zuständige Landesamt für Vermögen und Bau mit der Vielzahl an Baumaßnahmen auf dem Campus übernommen?

Die Vielzahl der parallel laufenden Projekte ist in der Tat eine große Herausforderung. Der landesweite Bauboom erschwert es Fachkräfte zu finden – und auch das Amt für Vermögen und Bau hat auch selbst mit einem Personalengpass zu kämpfen.

Trotzdem muss ich betonen: Wir haben in Hohenheim einen Sanierungsstau von rund 370 Mio. Euro. Man muss nur über den Campus gehen, um zu sehen wie notwendig viele Sanierungsmaßnahmen sind: Es gibt bröselnde Decken, unbenutzbare Toiletten und Labore, die nur noch mit Auflagen genutzt werden können. Einige Gewächshäuser waren so marode, dass wir sie schließen mussten.

Auch die Fachgebiete, die jetzt in den ehemaligen Lernräumen in der Phytomedizin untergebracht sind, mussten zuvor jahrelang teils unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten.

Ich bin also mehr als froh, dass das Land jetzt endlich Geld in die Hand nimmt, damit diese Dinge angepackt werden – auch wenn es dabei zu Verzögerungen und vorübergehenden Engpässen kommt.

Aber warum kommt das alles jetzt – und warum alles auf einmal?

Der Zeitpunkt ist für das Land jetzt günstig, weil die Steuereinnahmen in den letzten Jahren hoch waren und die Zinsen niedrig sind. 2020 tritt in Baden-Württemberg außerdem die Schuldenbremse in Kraft.

Das Land hat dabei zwar den Sanierungsstau in Gebäuden und Infrastruktur als implizite Schulden bewertet, die es durch Investitionen abbauen will und sich so ebenfalls Handlungsspielräume geschaffen. Die Situation in Hohenheim, aber auch anderswo, wird sich jedoch nur grundlegend verbessern, wenn das aktuelle Investitionsvolumen über viele Jahre bestehen bleibt.

Unabhängig davon kommen in Hohenheim noch zwei weitere Großprojekte hinzu, die für die Uni ebenfalls von großer Bedeutung sind.

Nach jahrelanger Vorarbeit erhielt die Uni 2018 eine Förderzusage in Höhe von 54 Mio. € für neue Spitzenforschungsgebäude der Tierwissenschaften (Projekt „HoLMiR“), die hinter dem Biogebäude und auf dem Meiereihof entstehen werden. Unser größter Fördererfolg seit Jahrzehnten. Projekte wie dieses sind für die gesamte Uni wichtig, um auch in Zukunft im immer härter werdenden Wettbewerb um Finanzmittel und die besten Köpfe bestehen zu können.

Gleichzeitig hatten wir die einmalige Chance, durch den Kauf des Geländes der ehemaligen Genossenschaftsakademie in der Steckfeldstraße, eine Campus-Erweiterung um ca. 10.000 m² in die Wege zu leiten. Nach der Sanierung wird das unseren chronischen Raummangel spürbar mildern.

Leider zieht sich die Sanierung in der Steckfeldstraße nun allerdings erheblich länger als ursprünglich geplant – und verschärft das Raum-Problem vorübergehend sogar noch. Dies ist ja auch ein Grund, warum wir Lernräume in der alten Phytomedizin, nun überhaupt als Ausweichquartier benötigen. Hätten alle Rädchen wie geplant ineinandergegriffen, wäre die IT-Abteilung des KIM direkt in die Steckfeldstraße gezogen und wir hätten gar keine Zwischenunterbringung gebraucht.

Völlig kurzfristig kommt die Schließung der Gruppenarbeitsräume nicht. Wir hatten im Online-Kurier vor ca. einem Jahr bereits darüber berichtet. Die Studierendenvertretung hatte schon damals auf die große Bedeutung der Gruppenarbeitsplätze hingewiesen. Konnte man in dieser Zeit tatsächlich keine Zwischenlösungen finden, um das Problem abzumildern?

Wir haben intensiv und in gutem Austausch mit der Studierendenvertretung nach Zwischenlösungen gesucht, aber es hat sich leider als ausgesprochen schwierig herausgestellt. Es gab beispielsweise die Idee, im Foyer des Biogebäudes zusätzliche Lernplätze einzurichten, leider ist das jedoch aus Brandschutzgründen nicht möglich.

Immerhin ist es uns gelungen, für einige Büros doch noch andere Ausweichquartiere zu finden, sodass zumindest drei Räume im Lernzentrum bis auf Weiteres als studentische Arbeitsplätze geöffnet sind. Allerdings sind diese Räume auch als Ersatzräume für die von der Sanierung des Kolleggangflügels betroffenen PC-Raume 1 und 2 vorgesehen. Es gibt aber auch Zeiten, in denen freie Lernzeiten angeboten werden. Und wie erwähnt finanzieren wir auch weiterhin die Lernplätze in der Mensa.

Wir haben von Anfang an das Gespräch mit der Studierendenvertretung gesucht und möchten das gerne auch weiter tun. Sollte es doch noch Möglichkeiten bzw. neue Ideen geben, um zwischenzeitlich Ersatz zu finden, bin ich gerne bereit, diese zu prüfen und ggfs. weiterzuverfolgen.

Die Studierenden wird das vermutlich wenig zufrieden stellen…

Ich verstehe den Unmut der Studierenden ja. Letztendlich befinden wir uns aber in dieser Situation, weil die Universitäten seit vielen Jahren über eine zu geringe Ausstattung verfügen und unterfinanziert sind.

Dies betrifft einerseits ganz direkt den schon geschilderten Sanierungsstau und den Umfang sowie den Zustand der zur Verfügung stehenden Räume. Andererseits aber auch die gesamte Finanzausstattung, zumal wir als Universität immer mehr Aufgaben übernehmen, die gar nicht unsere eigenen sind.

Zum Beispiel mieten wir seit Jahren im Wollgrasweg auf unsere Kosten zusätzliche Flächen an, obwohl das Land unterbringungspflichtig ist, und wir haben in Bauprojekten Mittel zugeschossen – damit sich überhaupt etwas bewegt, als das Geld noch knapper im Bauhaushalt des Landes war, oder damit das Projekt die entsprechende Priorität bekommt.

Angesichts unserer Ausstattung können wir dies aber nicht unbegrenzt, sondern nur in ganz ausgewählten Bereichen machen – weshalb wir uns dies bei den studentischen Arbeitsplätzen nicht ebenfalls leisten konnten und wir campusnah wohl auch nicht so einfach fündig geworden wären.

Die finanzielle Gesamtsituation könnte man vielleicht wie folgt skizzieren: Die Kosten in allen Bereichen sind gestiegen. Einen Ausgleich dafür gab es seit Jahrzehnten quasi nicht. Anders als bei außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die einen jährlichen Inflationsausgleich erhalten. Vergleicht man die Finanzierung heute mit der Situation 1998 ergibt sich in heutigen Preisen pro Studentin bzw. Student eine Finanzierungslücke von ca. 3.500 € pro Jahr, das entspricht etwa einem Drittel.

Ich bin gerne zu gemeinsamen Aktionen mit den Studierenden bereit, um dem Land unsere Situation deutlich zu machen. In den kommenden Monaten ist dafür der richtige Moment. Aktuell verhandeln die Universitäten mit dem Land über die Finanzierung für die kommenden 5 Jahre. Die heiße Phase der Verhandlung über den neuen Hochschulfinanzierungsvertrag ist im Herbst.

Vielen Dank für das Gespräch. Wir werden berichten.

Interview: Leonhardmair

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