Prüfungen: Uni schafft Pflichtanmeldungen ab
Mehr Eigenverantwortung [22.11.19]
Studierende wünschen sich schon lange mehr Flexibilität bei den Prüfungen. Diesem Wunsch kommt die Uni nun nach: Wer eine Prüfung nicht besteht, krankgeschrieben ist oder ohne Grund zurücktritt, wird künftig nicht mehr automatisch für den nächstmöglichen Nachschreibe-Termin angemeldet. „Für die Studierenden bedeutet die Abschaffung der Pflichtanmeldung mehr Freiheit, aber auf der anderen Seite auch mehr Eigenverantwortung“, betont Prof. Dr. Korinna Huber, Prorektorin für Lehre.
Eine rechtliche Vorgabe, die zu Diplomzeiten Grund für Einführung der Pflichtanmeldung gewesen war, existiert längst nicht mehr. In Hohenheim hielt man bislang trotzdem daran fest, auch aus pädagogischen Gründen. Denn wer Prüfungen zu lange vor sich herschiebt, läuft am Ende des Studiums Gefahr, erst recht unter Druck zu geraten.
Für intensive Diskussionen sorgte die Pflichtanmeldung jedoch schon seit geraumer Zeit. Denn: Macht es wirklich Sinn jemanden, der eine Prüfung nicht bestanden hat, zum nächstmöglichen Nachschreibetermin zu „zwingen“, selbst wenn dieser nur wenige Wochen später stattfindet? Sollte es nicht zumindest möglich sein, die Vorlesung oder ein Tutorium erneut zu besuchen?
Zwar war ein Rücktritt ohne Grund auch schon bisher möglich. Allerdings bei jeder Prüfung nur ein einziges Mal. Im Anschluss war eine Krankschreibung oder ein triftiger Grund die einzige Möglichkeit, dem Zeitdruck zu entgehen. Wer zu einer angemeldeten Prüfung nicht erschien, erhielt 0 Punkte und fiel somit durch.
Studieren in unterschiedlicher Geschwindigkeit
„Die Studierendenschaft an den Universitäten ist den letzten Jahren vielfältiger geworden. Es gibt zunehmend Studierende, die bereits im Beruf stehen, eine Familie haben oder aus verschiedensten Gründen mehr Zeit benötigen. Wir unternehmen an der Universität Hohenheim sehr viel, um diesen unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden und das Studium flexibler zu gestalten. Daher überwogen für uns letztendlich die Argumente für die Abschaffung der Pflichtanmeldung“, erklärt die Prorektorin für Lehre, Prof. Dr. Korinna Huber.
Für Studierende bedeutet die neue Regelung mehr Freiheit, aber auch mehr Eigenverantwortung für das Studium.
„Die Versuchung ist natürlich groß, sich durch das Schieben von Prüfungen kurzfristig Luft zu verschaffen. Mittelfristig wird der Stress dadurch aber nicht kleiner, im Gegenteil“, betont Huber. „Durch die neue Regelung müssen Studierende nun ihren Studien- und Prüfungsplan künftig noch selbstständiger im Blick zu behalten. Wer sich überfordert fühlt sollte sich auf keinen Fall scheuen, frühzeitig Beratung oder Unterstützung zu holen. Angebote dafür haben wir in den letzten Jahren stark ausgebaut, insbesondere in der Studieneingangsphase.“
Neue Zwischenprüfung in den Fakultäten W und A
Beliebig schieben können Studierende die Prüfungen allerdings auch in Zukunft nicht. Schon bisher gibt es den Bachelorstudiengängen eine sogenannte „Orientierungsprüfung“. Dabei handelt es sich nicht um eine zusätzliche Klausur, sondern um einen Nachweis, dass eine bestimmte Anzahl an Prüfungsleistungen innerhalb der ersten drei Semester erbracht wurde.
Ergänzend dazu führen die Fakultäten W und A nun im 5. bzw. 6. Semester eine „Zwischenprüfung“ ein, in der Prüfungsleistungen aus dem Grundstudium nachgewiesen werden müssen. Allerdings müssen nur Studierende, die sich zum laufenden Wintersemester neu eingeschrieben haben oder künftig einschreiben werden, die neue Zwischenprüfung ablegen. Studierende in höheren Semestern sind von der Regelung ausgenommen.
Zahl der Rücktritte aus gesundheitlichen Gründen sorgte für Diskussion
Vorangetrieben wurde die Abschaffung der Pflichtanmeldung nicht zuletzt durch das Prüfungsamt. Denn hier sorgt die wachsende Zahl der Rücktritte seit Jahren für einen enormen Verwaltungsaufwand. „Wir müssen jeden Rücktritt manuell bearbeiten. Bei rund 29.000 Prüfungsanmeldung, allein im 1. Prüfungszeitraum des Wintersemesters, kamen wir zuletzt insgesamt auf rund 2.500 Rücktritte – mit und ohne Begründung“, erklärt Christel Maier, Leiterin des Prüfungsamts.
Insbesondere die hohe Zahl an Rücktritten aus gesundheitlichen Gründen bereitete der Verwaltung Kopfzerbrechen. Denn der Verdacht, dass sich darunter immer wieder auch Gefälligkeits-Atteste befinden, liegt nahe.
Intensiv diskutiert wurde diese Problematik nach einem ein massenhafter Prüfungsabbruch in einer Hohenheimer BWL-Klausur im Mai 2018, der bundesweit für mediale Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Die Uni hatte Atteste von 148 Prüflingen angezweifelt, die sich nach begonnener Prüfung eine spontane Erkrankung bescheinigen ließen.
„Die aktuelle Reform steht nicht unmittelbar in Zusammenhang mit dem damaligen Vorfall, und ich glaube auch nicht, dass die Ursache hierfür in der Pflichtanmeldung lag. Dennoch hoffen wir natürlich, dass die neue Regelung Druck von Studierenden nimmt, so dass auch im Vorfeld von Prüfungen niemand einen Arzt aufsuchen muss, der sich nicht tatsächlich krank fühlt“, so Prof. Dr. Huber.
Qualitätsmanagement nimmt Prüfungen in den Blick
Im Rahmen des Qualitätsmanagements will die Uni Hohenheim auch weitere Reformen im Bereich der Prüfungen vorantreiben, um den Druck für Studierende zu verringern.
„Wir wollen uns dazu in jedem Studiengang anschauen, ob sich die Zahl der Prüfungen reduzieren lässt oder ob es alternative Formate gibt, die weniger das auswendig gelernte Wissen, sondern mehr die im Studium erworbenen Kompetenzen prüfen. Denkbar ist z.B., dass in manchen Modulen Endprüfungen durch Leistungen wie Referate ersetzt werden oder dass mehrere Module, die zu einer Lehrveranstaltung gehören, mit einer gemeinsamen Prüfung abschließen“, so Huber.
Das neue Qualitätsmanagementsystem der Uni sieht vor, dass jährlich Gespräche zur Weiterentwicklung der Studiengänge stattfinden, an denen u.a. Studiengangs- und Fakultätsleitung, Dozenten, das Prorektorat für Lehre, Studierende und Mitarbeiter der Studienberatung teilnehmen. Auch welche Effekte die Abschaffung der Pflichtanmeldung hat, soll hier anhand von Kennzahlen beobachtet werden.
Neue Serie „Lehre im Aufbruch“: Wichtige Markenzeichen der Uni Hohenheim sind ihr einzigartiges Fächerspektrum und der schöne Campus mit den kurzen Wegen. Zugleich arbeitet die Uni daran, auch in der Lehre einen „typisch Hohenheimer Stil“ zu entwickeln. Die Rahmenbedingungen dafür ändern sich rasant: Digitale Lehrformen, neue Formen der Finanzierung, die an Projektanträge gekoppelt sind, und nicht zuletzt eine Studierendenschaft, die so vielfältig ist wie noch nie. Der Online-Kurier berichtet in einer neuen Serie über Projekte, innovative Methoden, Entwicklungen und Herausforderungen in der Lehre.
Text: Leonhardmair