Schätze der Sammlungen
Historische Pferdeskelette aus der Weil-Marbacher Pferdezucht [09.05.17]
Unerwarteter Anblick: Die Pferdeskelette unter dem Schlossdach. | Bild: Universität Hohenheim / Dietmar Töpfer.
Es ist staubtrocken direkt unter den Ziegeln unterm Dach von Schloss Hohenheim – gute Lagerbedingungen für alte Tierskelette im Fundus des Zoologisch-Tiermedizinischen Museums. Darunter sind auch Skelette von edlen Araber-Stammhengsten und Zuchtsstuten aus dem Gestüt Weil-Marbach. Doch was hat die Universität mit Pferdezucht zu tun?
Bairactar, Goumousch Bournou, Sultan Mahmud, Soldateska, Habdan Enzahi: Auf diese klangvollen Namen hören die edlen Araberpferde zu Lebzeiten. Auf welchem Weg ihre Skelette nach Hohenheim kommen, ist überliefert: Sie stehen zunächst in der Anatomischen Sammlung der Stuttgarter „Thier-Arzneischule“.
Warum gerade Hohenheim zum neuen Standort der Sammlung wird, dazu hat man bisher zwar keine eindeutigen Dokumente gefunden. Die Verbindung läuft aber sicher über König Wilhelm I. Er ist der Gründer der Landwirtschaftlichen Hochschule im Jahr 1818, aus der die Universität Hohenheim hervorgeht.
Königlich Württembergisches Gestüt Weil
Acht Jahre zuvor ist Wilhelm noch Kronprinz und gründet an seiner Sommerresidenz in Scharnhausen ein Gestüt. Es hat zunächst fünf orientalische Stuten. Der Bestand erhöht sich bis 1816 auf 19 Stuten. Deshalb lässt Wilhelm im Mai 1817 das Gestüt um zwei Standorte erweitern.
Der erste neue Standort in Weil gibt dem Königlich Württembergischen Gestüt Weil 1817 seinen Namen. Auch die Nachkommen der dort gezüchteten Pferde sind als Weil-Marbacher Vollblutaraber bis heute danach benannt.
Weil und Scharnhausen sind durch eine Straße voneinander getrennt. Auf einer Fläche von knapp 290 Hektar werden Stuten und Stutfohlen aufgezogen. Während der Beschälzeit, den Wochen, in denen die Stuten gedeckt werden, stehen in Weil auch die Hengste.
Beim Namen des zweiten neuen Standorts schließt sich die Verbindung zu Hohenheim: Er heißt Kleinhohenheim – bis heute landwirtschaftliche Versuchsstation der Universität.
Weil Kleinhohenheim mehrere Kilometer von den Standorten Weil und Scharnhausen entfernt liegt, ist auf dem über 110 Hektar großen Gelände die Aufzucht der Hengstfohlen untergebracht. Mitte der 1840er Jahre befinden sich in Kleinhohenheim etwa 50 Hengstfohlen.
Umstellung des Gestüts auf Araberzucht
Der Kronprinz (ab 1816 König Wilhelm I.) lässt zunächst ohne konkretes Zuchtziel züchten. Das ändert sich 1817. Aus diesem Jahr ist ein Zitat von Julius Freiherr von Hügel, dem ersten Vize-Oberstallmeister und Stallmeister von Weil überliefert: „Da der König das arabische Pferd in den Feldzügen erprobt und dessen außerordentliche Leistung und Eigenschaften kennen gelernt hatte, gab er sich alle Mühe, sich einen Stamm der edelsten Rassen des Orients zu schaffen.“ (Quelle: Wikipedia)
Wilhelm hat in verschiedenen Feldzügen arabische Hengste geritten. Das überzeugt ihn von den Pferden der Beduinen der arabischen Halbinsel: von ihrer Leistungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft und Ausdauer.
Er entschließt sich, diese Rasse selbst zu züchten. Als Basis lässt er Originalpferde aus Arabien importieren. Wilhelm I. investiert hohe Summen in das Gestüt in Weil.
Pferde-Importe edelster Abstammung
Die ersten Importe sind maßgeblich prägend für die Zucht in Weil. Sie erfolgen durch Baron Ferdinand Fechtig von Fechtenberg. Er ist ein Kaufmann, der sich auf den Import von Pferden aus dem Orient spezialisiert hat. Im Auftrag Wilhelms I. kauft er über einen Kontakt in Damaskus Pferde. Von Fechtig ist selbst Züchter arabischer Pferde. Er besitzt ein Gestüt in Ungarn und gilt als guter Araberkenner.
Von Fechtig bringt im Jahr 1816 als erstes Pferd die originalarabische (OA oder Or. Ar.) Schimmelstute Murana I nach Weil. Sie ist 1808 in der Wüste geboren und aufgezogen. 1817 folgt Bairactar (auch Bairaktar geschrieben). Er ist 1813 in der Wüste geboren und aufgezogen und ein OA-Schimmelhengst vom Stamm Saqlawi-Jidran (Saklawi Djedran).
Bairactar und sein Sohn Amurath (1829) sind die Begründer der bis heute bekannten Amurath-Linie. Diese Hengstlinie und die Stutenfamilie der Murana I (OA) sind die ältesten ununterbrochen nachweisbaren, auch heute noch bestehenden Zuchtlinien der Araberzucht weltweit.
Beide Pferde bilden den Grundstock der Weiler Vollblutaraberzucht. Das Königlich Württember-gische Gestüt Weil existiert von 1810 bis 1932. Es ist das erste Gestüt mit einem Bestand an Reinzucht-Arabern außerhalb des Orients.
Im Jahr 1932 übergibt Fürstin Pauline zu Wied, die Tochter des letzten Königs von Württemberg, die königliche Araberherde an das Haupt- und Landgestüt Marbach. Das Marbacher Gestüt bewahrt die Weiler Vollblutaraberzucht und führt sie bis heute weiter.
Bairactar: Krone des Gestüts und Leibreitpferd Wilhelms I.
Der Schimmelhengst Bairactar lebt von 1813 bis 1838. Verschiedene Quellen beschreiben ihn übereinstimmend als „Krone des Gestüts, ein eminentes Thier, dessen Nachkommenschaft unerreicht dasteht.“
Anderswo heißt es: „Unter den Originalhengsten behauptet Bairactar den ersten Rang. Er hat vorzügliche Knochen und ist stark für seine Grösse. (…) Seine Füllen sind gut.“
Bairactar ist der erste Stempelhengst auf Weil. Stempelhengste sind Deckhengste mit einer überdurchschnittlichen Vererbungskraft (Präpotenz). Er soll über 200 Fohlen gezeugt haben.
Außerdem ist Bairactar über Jahre das Leibreitpferd des Königs Wilhelm I. Im Leibreitstall steht er in der Inventarliste „derjenigen Leibreitpferde“, die „Sr. Königliche Majestät als Privat-Eigenthum“ behalten will. Nach Bairactars Tod schenkt der König das Skelett zu Lehrzwecken der „Thier-Arzneischule“ in Stuttgart.
Als diese 1912 aufgelöst wird, gehen deren Skelettbestände aus der Veterinär-Anatomie an die damalige Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim. Das Skelett Bairactars gehört dazu. Es steht bis in die 1980er Jahre im Tiermedizinischen Museum. Danach kommt Bairactar als Dauerleihgabe in das Gestütsmuseum des Haupt- und Landgestüts Marbach in Offenhausen (Gomadingen bei Marbach).
Weitere Araber-Skelette schlummern im Zoologisch-Tiermedizinischen Museum
Welche weiteren Skelette von Araberhengsten und -stuten im Fundus des Tiermedizinischen Museums schlummern, das wird erst eine umfangreiche Sichtung der Inventarlisten ergeben. Es gibt aber aussichtsreiche Kandidaten:
- Goumousch Bournou (OA), ein grauer Hengst. Er kommt 1819 nach Weil. Goumousch Bournou ist wie Baractar und Murana I 1810 in der Wüste geboren und aufgezogen. Der polnische Graf Wacław Rzewuski bringt ihn mit einer Reihe original-arabischer Hengste nach Europa. Das Weiler Gestüt übernimmt Goumousch Bournou und nutzt ihn als Hauptdeckhengst (Hauptbeschäler). Goumousch Bournou stirbt bereits mit 19 Jahren im Jahr 1829. Sein Skelett dürfte aus demselben Weg wie Bairactar erst in die Stuttgarter „Thier-Arzneischule“ und dann in die Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim gekommen sein.
- Dasselbe gilt für den grauen Araberschimmel Sultan Mahmud. Er ist von 1828 bis 1837 Deckhengst in Weil.
- Soldateska, geboren 1911, ist eine graue Schimmelstute. Sie wird während des Ersten Weltkriegs als Kavalleriepferd eingesetzt. Nach ihrer Rückkehr in das Gestüt Weil wird sie zur Zuchtstute. Nachdem die Weiler Pferde 1932 nach Marbach verlegt worden sind, ist sie eine der ersten Zuchtstuten des Marbacher Gestüts und stirbt 1935.
- Hadban Enzahi, ein silbergrauer Hengst ägyptischer Abstammung, ist 1952 geboren und seit 1955 in Marbach. Das Haupt- und Landgestüt Marbach erlebt mit der von Hadban Enzahi geprägten „silbernen Herde“ in den 1970er und 1980er Jahren seine Blütezeit. Es exportiert seine Zuchtpferde weltweit. Marbach wird zu einer Pilgerstätte für Araberfans aus aller Welt.
Text: Töpfer