Sachbuch „Fleisch essen?“ mit Inhalten aus Master-Modul

Fleisch im Fokus der Wissenschaft  [07.02.17]

Führung in Fleischverabeitungsbetrieb MEGA in Stuttgart. Bild: MEGA

Was macht gutes Fleisch aus? Und was kann die Landwirtschaft dazu beitragen? Diesem Thema widmet sich die Hohenheimer Agrarwissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Weiler seit vielen Jahren in Forschung und Lehre. Aus dem Inhalt ihres Master-Moduls zum Thema Produktqualität ist im letzten Jahr nun auch ein Sachbuch entstanden, das sich an Verbraucherinnen und Verbraucher richtet. Es versteht sich u.a. als wissenschaftsbasierte Entscheidungshilfe für eine gesellschaftlich immer umstrittenere Frage, die letztlich jeder für sich selbst beantworten muss: Fleisch essen? Und wenn ja, welches?

 

Kurz-Video zum Thema am Ende des Artikels...

 

Auf den heutigen Tag haben sich die Teilnehmer des Master-Moduls gefreut.

Obwohl es streng genommen keine offizielle Sitzung ist, sondern ein freiwilliger Termin in ihrer Freizeit, sind rund 40 Studierende erschienen – und damit ein Großteil des Kurses. Ihre Motivation: Mit eigener Zunge schmecken, womit sie sich in den vergangenen Wochen theoretisch auseinandergesetzt haben.

Wir befinden uns in einem Vortragsraum mit integrierter Küche im Fleischverarbeitungsbetrieb MEGA in Stuttgart Ost.

Fleisch-Verkostung im Dienst der Wissenschaft

Zu Beginn des Kurses, vor 6 Wochen, haben Fleischermeister für die Studierenden eine Färse geschlachtet, also ein weibliches Rind, das noch nicht gekalbt hat.

Sachbuch "Fleisch essen?"

"Fleisch essen? Eine Aufkläurng", Dr. Ulrike Weiler, 2016, Westendverlag

Anschließend wurde die eine Hälfte des Rückens einem besonders langen Reifeprozess bei ca. 1-2 °C unterzogen. Man spricht dabei vom sogenannten „Dry Aging“. Dabei handelt es sich im Grunde um ein traditionelles Reife-Verfahren, das inzwischen allerdings kaum mehr praktiziert wird.

Die andere Hälfte wurde nach dem inzwischen gängigen „Wet Aging“-Verfahren in eine Plastikhülle eingeschweißt. Unter normalen Umständen wären dabei ca. 4 Wochen Reifezeit ausreichend.

Nach einer Führung durch die Produktionshallen, in denen u.a. halbe Schweine- und Rinderhälften zerlegt und zu einer großen Vielfalt von Fleisch- und Wurstprodukten weiter verarbeitet werden, serviert der Küchenchef von MEGA den Studierenden heute das Ergebnis des Reife-Experiments.

Zum Vergleich gibt es außerdem noch eine weitere Kostprobe: Ein Stück frisches Fleisch, das ohne Reifung wenige Stunden nach der Schlachtung direkt in der Pfanne zubereitet wurde.

Vielfältige Einflüsse auf die Fleischqualität

„Man muss den Unterschied selbst schmecken, nur dann weiß man, warum sich der vergleichsweise sehr hohe Aufwand für das Dry Aging lohnt“, meint Dozentin Ulrike Weiler, die auch ansonsten bemüht ist, den Studierenden die Theorie in der Lehrveranstaltung möglichst anschaulich zu machen.

Dazu holt sie jedes Jahr eine Reihe unterschiedlicher Experten mit ins Boot: Vom Hohenheimer Ernährungswissenschaftler über einen Sternekoch aus der Speisemeisterei bis hin zum Metzgermeister, mit dem die Studierenden die Fleischqualität direkt am Schlachtkörper bestimmen.

Denn neben der Reifung haben zahlreiche weitere Faktoren Einfluss auf die Fleischqualität. Auf dem Plan der Lehrveranstaltung stehen u.a. Tierhaltung und Tierwohl, Transport und Schlachtung, Qualitätsmanagement, Produktkunde, aber auch ernährungsphysiologische Aspekte und Verbrauchererwartungen.

Dry Aging

Dry Aging-Verfahren. Bild: MEGA

Orientierung für Verbraucherinnen und Verbraucher

Eine pointierte Zusammenfassung des Masterseminars, inklusive einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Debatten rund ums Thema Fleisch, ist seit letztem Jahr auch im Buchhandel verfügbar.

Als der Frankfurter Westendverlag bei der Hohenheimer Agrarwissenschaftlerin anklopfte, ob sie als Autorin für ein verbraucherorientiertes Sachbuch zum Thema „Fleisch essen?“ zur Verfügung steht, musste Ulrike Weiler dabei nicht allzu lange überlegen.

Denn während die Studierenden im Seminar Schritt für Schritt zu Expertinnen und Experten in Sachen Fleischqualität ausgebildet werden, schwinde in der Gesellschaft insgesamt das Wissen über Produktionsbedingungen – und gleichzeitig auch die Wertschätzung für gutes Stück Fleisch, glaubt Ulrike Weiler.

Dabei steht Fleischessen heute eigentlich im Mittelpunkt einer intensiven gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Zweifel, ob Fleischkonsum aus Gründen des Tier-, Umwelt- und Klimaschutzes überhaupt ethisch vertretbar ist – bis hin zu Bedenken, ob Fleisch der Gesundheit schadet, plagen nicht nur Vegetarier.  Berichte über Missstände in der Tierhaltung, aber auch Skandale und Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie haben zum negativen Image beigetragen.

„Wer bewusst entscheiden will, ob und wenn ja welches Fleisch auf den Teller kommt, muss sich einer kritischen Auseinandersetzung stellen – auch mit den eigenen Ansprüchen in Sachen Preis und Qualität“, so Weiler. „Um bei dieser Abwägung nicht der medialen Schwarz-Weiß-Malerei auf den Leim zu gehen, lohnt es sich allerdings genauer hinzusehen. Denn immer wieder werden in der Debatte Weltanschauungen, Vorurteile und Fakten miteinander vermengt, und so letztlich ein ganzer Berufsstand unzulässig in Verruf gebracht.“

Ergebnis des Geschmacks-Experiments


Und wie ist das Geschmacks-Experiment beim Fleischverarbeitungsbetrieb MEGA ausgegangen?

Rein optisch wirkte das Dry Aged Beef im Rohzustand nicht unbedingt attraktiv. Zumindest wenn man das Fleisch nach herkömmlichen Kriterien beurteilt: es ist nicht rot, sondern eher blass-braun und wirkt hart.

Befreit von der äußeren angetrockneten Schicht zeigt sich das Dry Aged Beef nach der Zubereitung allerdings von einer ganz anderen Seite: Beim Schneiden tritt im Gegensatz zum Wet Aged Beef kaum Saft aus, dennoch ist das Fleisch nicht trocken, sondern ungewöhnlich zart und geschmacksintensiv.

Das frische Fleisch, das ohne eigentliche Reifezeit nur wenige Stunden nach der Schlachtung auf dem Probier-Teller gelandet ist, serviert der Küchenchef von MEGA nur auf ausdrücklichen Wunsch der Kursleiterin. Warum, lässt sich schnell an den Gesichtern der Studierenden ablesen, die mit dem Kauvorgang des zähen Stücks z.T. mehrere Minuten beschäftigt sind.

Text: Leonhardmair

Video: Exkursion Fleischqualität

Sollte das Video hier nicht angezeigt werden folgen Sie bitte dem Link zu Youtube...

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