10 Mio. € Gesamtförderung | ERC Synergy Grant
Pionierforschung made in Hohenheim [11.11.20]

Prof. Dr. Waltraud Schulze. Bild: Uni Hohenheim / Jan Winkler
So renommiert und heiß umkämpft wie eine Förderung durch den Europäischen Forschungsrat (ERC) ist kein anderer EU-Topf für Grundlagenforschung. Zur absoluten Top-Liga zählt dabei die Förderlinie der „ERC Synergy Grants“, von der ab April 2021 auch ein 4-köpfiges Forschungsteam mit Beteiligung der Hohenheimer Systembiologin Prof. Dr. Waltraud Schulze profitiert. Für 6 Jahre Pionierforschung zur Kommunikation zwischen Pflanzenzellen bewilligte der ERC insgesamt über 10 Mio. Euro. Rund 2,64 Mio. Euro davon gehen an das Hohenheimer Teilprojekt. Projektpartner sind Prof. Dr. Wolf B. Frommer und Prof. Dr. Rüdiger Simon von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) und Prof. Dr. Wolfgang Baumeister vom Max-Planck-Institut für Biochemie (MPIB) in Martinsried.
Privat kann sie die Erstbesteigung von drei 6000ern im Hochland von Tibet für sich reklamieren und bei Radtouren auf unterschiedlichen Kontinenten steckt sie Extremtemperaturen zwischen minus 40 und plus 50 Grad weg.
Den gleichen leidenschaftlichen Entdeckerdrang empfindet Prof. Dr. Waltraud Schulze, wenn es darum geht, das Innenleben von Pflanzen zu verstehen. Ihr Ansatz dabei ist die Systembiologie: Eine Disziplin, die mathematisch-analytischen Methoden aus der Bioinformatik mit experimentellen Ansätzen kombiniert.
Bereits seit einigen Jahren gehört ihr Lehrstuhl zu den drittmittelstärksten an der Uni Hohenheim. Schritt für Schritt sammelten Schulze und ihr Team so einzelne Puzzleteile, die künftig ein völlig neues Verständnis davon ermöglichen sollen, wie Pflanzen Nährstoffe zwischen ihren Organen verteilen und wie Signale von Zelle zu Zelle weitergegeben werden.
Die Bewilligung des ECR Synergy Grants lässt nun einen Durchbruch in greifbare Nähe rücken.
10 Mio. Euro für Pionierarbeit
Der ECR Synergy Grant ist mit 10 Mio. Euro das höchstdotierte Programm des Europäischen Forschungsrats. Es soll Forschungsteams von 2-4 Mitgliedern visionäre Forschung in den Grenzbereichen des Wissens ermöglichen – ohne konkreten Anwendungsbezug. Die Exzellenz der Projektidee und der Forschenden sind bei der Auswahl gleichermaßen entscheidend. Von 441 eingereichten Anträgen werden 2020 europaweit nur 34 gefördert.
Die Freude ist Waltraud Schulze am Telefon anzuhören: „Natürlich macht es stolz, wenn man mit einer Antragsidee, an der man knapp zwei Jahre nebenbei gearbeitet hat, in einem so breiten Bewerberfeld überzeugen kann. Vor allem aber bin ich überglücklich, dass ich meinem Team am Lehrstuhl nun 6 Jahre lang Sicherheit bieten kann. Wir können ab April 2021 mit Vollgas loslegen und gemeinsam Pionierarbeit in einem hochspannenden Gebiet der Pflanzenbiologie leisten.“
Zu den ersten Gratulantinnen gehört die Hohenheimer Prorektorin für Forschung Prof. Dr. Julia Fritz-Steuber:
„Mit dem Erfolg beim ERC Synergy Grant gehören Frau Schulze und ihre Projektpartner nun absolut zur europäischen Forschungs-Elite. Wenn sich eine Hohenheimer Forscherin in einem derart kompetitiven Wettbewerb durchsetzt, dann erhöht das natürlich auch unser Renommee als Forschungsstandort insgesamt. Zugleich freut es mich, dass wir seitens der Universität gemeinsam mit der Gips-Schüle-Stiftung durch die Auszeichnung ‚Freiräume für die Forschung‘ im Jahr 2018 bei den Vorarbeiten für den erfolgreichen Antrag unterstützen konnten.“
Der Hohenheimer Forschungspreis ist auf 150.000 € dotiert und wird einmal jährlich vergeben. Er soll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei unterstützen, Anträge für größere Verbundprojekte auf den Weg zu bringen.
Zell-Zell-Verbindungen im Fokus
Ganz konkret geht es in dem nun bewilligten ERC Synergy Grant-Projekt um Zell-Zell-Verbindungen von Pflanzen, die sogenannten Plasmodesmata – faszinierende Strukturen, die vor 140 Jahren erstmals beschrieben und benannt wurden. Allerdings ist ihre Zusammensetzung und Funktionsweise immer noch weitgehend unverstanden, da sie sich herkömmlichen Untersuchungsmethoden weitgehend entziehen. Denn mit einem Durchmesser zwischen 50 und 160 Nanometern sind die Kanäle zu klein für optische Mikroskope, jedoch zu groß für klassische Elektronenmikroskope.
„Plasmodesmata spielen z.B. eine wichtige Rolle, wenn photosynthetische Produkte vom Blatt aus in der Pflanze verteilt werden, und sie sind essenziell bei der Steuerung von Entwicklungsprozessen, wie Blütenbildung oder der Entstehung von Wurzelhaaren“, erklärt Prof. Dr. Schulze. „Somit ist das Verständnis ihrer Funktionsweise ein besonders wichtiger Baustein, wenn wir verstehen wollen wie Ertrag entsteht oder wie die Pflanze Entwicklungssignale und Information aus der Umwelt integriert. Auch Pflanzenviren nutzen Plasmodesmata, um sich von einer Zelle in die nächste zu verbreiten.“
Vier Forschungsteams ziehen an einem Strang
Um die winzigen Kanäle zwischen den Zellen zu erforschen haben sich vier Arbeitsgruppen unter dem Namen SymPore („Plasmodesmata as Symplasmic Pores for Plant Cell-to-Cell Communication“) zusammengeschlossen und wollen unter Kombination unterschiedlichster High-End-Methoden in den kommenden 6 Jahren in enger Zusammenarbeit die Struktur, den Aufbau und die Funktionsweise der Plasmodesmata entschlüsseln.
Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Waltraud Schulze erhält ca. 2,64 Mio. € um die „Bauteile“ der Plasmodesmata zu identifizieren. Dazu gehören neben Proteinen auch Lipide. Die genauen Komponenten, aus denen die Plasmodesmata bestehen, sind immer noch zum größten Teil unbekannt, und ihre Rolle für die Funktion der Kanäle ist ungeklärt. „Um die Struktur und Funktion der Plasmodesmata zu verstehen, ist es also erst einmal wichtig zu wissen, was für Proteine und Lipide überhaupt beteiligt sind und wie sie miteinander interagieren“, so Prof. Dr. Schulze.
An der HHU konzentrieren sich die Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Rüdiger Simon auf die Erstellung einer Blaupause davon, wo die Bestandteile der Plasmodesmata räumlich und zeitlich lokalisiert sind. Prof. Dr. Wolf B. Frommer, der Sprecher der Gruppe, entwickelt mit Hilfe ausgeklügelter Biosensortechnologie neue Methoden, um die Funktion der Plasmodesmata in lebenden Pflanzen sichtbar zu machen.
Prof. Dr. Wolfgang Baumeister und sein Team vom MPIB in Martinsried sind weltweit führend in der Aufklärung komplexer Strukturen mit höchster Auflösung – bis hinunter zu einzelnen Molekülen – durch Kryoelektronentomographie. Neueste Verfahren, die von Prof. Dr. Baumeister entwickelt wurden, sollen hier nun den Durchbruch schaffen und so zu einem strukturellen Gesamtbild der Plasmodesmata verhelfen.