Ein Tee mit… Dr. Anja Waller, Historikerin

Projekt zur Aufarbeitung der NS-Zeit in Hohenheim beginnt  [18.03.16]

Wie aktiv unterstützten Hochschulmitglieder das NS-Regime? Welche Schicksale widerfuhren Zwangsarbeitern, Verfolgten und Kritikern in Hohenheim? Wie schlug sich die Ideologie in Forschung und Lehre nieder? Und: Inwiefern zogen sich NS-Verstrickungen auch in den Jahrzehnten nach Kriegsende fort? In den kommenden zwei Jahren recherchiert Historikerin Dr. Anja Waller im Auftrag des Rektors, um das dunkelste Kapitel der Universitätsgeschichte aufzuarbeiten. Der Online-Kurier hat sie auf eine Tasse Tee getroffen.

 

Dr. Anja Waller hat an der LMU München und der Uni Stuttgart Geschichte studiert. In ihrer Dissertation an der Uni Stuttgart befasste sich die Historikerin mit dem Jüdischen Lehrhaus in Stuttgart, das in der Weimarer Republik und zu Beginn der NS-Zeit ein zentraler Ort jüdischer Bildung und des Widerstands gegen das NS-Regime war.

Im Auftrag des Rektors widmet sich Dr. Waller in den kommenden zwei Jahren einem Projekt zur Aufarbeitung der NS-Zeit in Hohenheim, sowie deren Nachwirkungen in den folgenden Jahrzehnten. Die Ergebnisse sollen im Jubiläumsjahr 2018 publiziert werden und in einer historischen Rückschau zur 200-Jahrfeier präsentiert werden.

Unirektor Stephan Dabbert sieht in dem Projekt eine Gelegenheit für die Universität, Verantwortung zu übernehmen und sich historisch-politisch selbst zu vergewissern.

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Frau Waller, 70 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs stellt sich die Uni Hohenheim erstmals systematisch der eigenen NS-Vergangenheit. Ist das spät oder früh?

Es gibt einige Vorreiter, wie z.B. die Universitäten Göttingen, Tübingen, Berlin oder Freiburg, die bereits vor einigen Jahren ähnliche Projekte in Angriff genommen und auch bereits abgeschlossen haben.

Aktuell beschäftigt sich eine ganze Reihe von Universitäten mit diesem Thema, wie z.B. die Uni Stuttgart. Doch es gibt auch zahlreiche Hochschulen, die mit der systematischen Aufarbeitung dieses Kapitels ihrer Geschichte bislang noch gar nicht begonnen haben.

Rektoratsübergabe

Ein Bild mit Symbolkraft: Der neu gewählte Hohenheimer Rektor Percy Brigel (im Bild re.) schreitet zusammen mit Gauleiter und Reichsstatthalter Wilhelm Murr (im Bild li.) zur Rektoratsübergabe 1933.

Ich denke, dass an Standorten mit Geschichtswissenschaften der Impuls für solche Projekte naturgemäß etwas früher aufkommt.

Ganz allgemein kann man sagen, dass viele Behörden wie z.B. das Auswärtige Amt oder auch große Unternehmen die NS-Zeit erst in den letzten Jahren aus eigenem Antrieb heraus aufarbeiten. Jubiläen sind dabei häufig ein äußerer Anlass, weil sich der Blick an solchen Terminen eben auf die eigene Geschichte richtet.

Sie wollen nicht nur die Jahre zwischen 1933 und 1945 beleuchten, sondern auch aufarbeiten, in welcher Art und Weise sich die NS-Verstrickungen nach in Hohenheim weiter fortzogen.

Erklärt sich die bisherige Zurückhaltung vieler Institutionen möglicherweise auch aus dem Unbehagen heraus, sich mit heiklen Personalien auseinandersetzen zu müssen?

Das liegt zumindest nahe. NS-Funktionäre haben in vielen gesellschaftlichen Bereichen nach Kriegsende schnell wieder Karriere gemacht: Ein prominentes Beispiel ist der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger, der in seiner politischen Karriere letztlich über den Umgang mit der eigenen NS-Vergangenheit stolperte.

Die 68er-Generation legte hier erstmals den Finger in die Wunde. In der Folge nahm die historische Aufarbeitung der NS-Zeit und ihrer Nachwirkungen erst Fahrt auf.

Tatsächlich merkt man bei den frühen historischen Arbeiten jedoch sehr deutlich, wie schwierig es ist, historische Forschung über eine Zeit zu betreiben, in der man selbst gelebt hat – oder in die die Elterngeneration verstrickt war.

Wenn man es also rein aus diesem Aspekt heraus betrachtet, tut der zeitliche Abstand der wissenschaftlichen Qualität und Neutralität durchaus gut. Ein Nachtteil ist allerdings, dass Zeitzeugen quasi nicht mehr befragt werden können.

Welche Aspekte untersuchen Sie in dem Projekt an der Uni Hohenheim?

Ganz allgemein gesagt, möchte ich herausarbeiten, welche Struktur- und Machtveränderungen zwischen den Jahren 33-45 unter dem Einfluss der NS-Ideologie an der Hochschule stattgefunden haben – und wie in Einzelfällen die Täter-Opfer-Frage zu bewerten ist.

Viele Fragen drehen sich dabei um die Lebensläufe von Professoren: Gab es z.B. Wissenschaftler, die die Hochschule verlassen mussten oder die sich durch besonderen Eifer hervorgetan haben?

Mich interessiert auch, wie sich die Ideologie auf Lehr- und Forschungsinhalte ausgewirkt hat. Als landwirtschaftliche Hochschule liegt beispielsweise nahe, dass Themen wie die Blut-und-Boden-Ideologie oder der Reichsnährstand in Hohenheim eine besondere Rolle gespielt haben dürften.

Aber auch die damaligen Studierenden sind für mich ein Thema: Wo gab es Unterstützung, wo Widerstand gegen das NS-Regime? Welche Rolle spielte der NS-Studentenbund in Hohenheim?

Bekannt ist auch, dass Hohenheim zur Zeit des Nationalsozialismus Zwangsarbeiter beschäftigte. Bislang ist deren genaue Anzahl jedoch nicht bekannt – ebenso wenig ihre individuellen Schicksale. Für mich ist dies ein sehr wichtiger Aspekt der Arbeit. Allerdings dürfte sich die Quellenlage hier besonders schwierig darstellen.

Und bezogen auf die Jahrzehnte nach Kriegsende?

Hier ist für mich ist insbesondere interessant, welche NS-Funktionäre schnell an die Hochschule zurückkehren konnten – und wie diese dort weiter wirkten.

Ein Beispiel unter vielen ist in diesem Zusammenhang der bekannte Agrarhistoriker und ehemalige Hohenheimer Rektor Günther Franz, der das NS-Regime aktiv unterstützt hatte und 1957 nach Hohenheim berufen wurde.

Trotz erster historischer Publikationen über seine Person gibt es noch viele offene Fragen über seine Rolle und sein Wirken an der Hochschule. Bemerkenswert ist auch, dass seine Vergangenheit zum damaligen Zeitpunkt in Hohenheim offenbar diskutiert wurde.

Allerdings möchte ich die Recherchen zu den Nachwirkungen der NS-Zeit in Hohenheim möglichst breit anlegen und nicht etwa auf eine Einzelperson fokussieren.

Wie gut ist denn die Quellenlage für das gesamte Projekt?

Ich stehe noch ganz am Anfang und bin dabei, mir einen Überblick zu verschaffen. Deshalb kann ich die Quellenlage noch nicht bewerten.

Es scheint so, dass belastende Akten aus dem Universitätsarchiv nach Kriegsende vernichtet wurden. Wahrscheinlich mutwillig, weil Angehörige der Hochschule nicht wollten, dass die Dokumente weiter existierten. Diese Problematik stellt sich leider an vielen Institutionen.

Allerdings dürften auch andernorts relevante Dokumente auffindbar sein, z.B. im Staats- oder im Bundesarchiv. Außerdem hoffe ich auf Einblicke in private Unterlagen.

Eine Befragung von Zeitzeugen scheidet leider nahezu aus. Sehr wertvoll wäre für mich aber auch, mit Personen in Kontakt zu kommen, deren Eltern oder Angehörige zur NS-Zeit in Hohenheim beschäftigt waren und darüber Aufzeichnungen geführt haben.

Vielleicht liest ja sogar jemand diesen Artikel, der Zugang zu alten Tagebücher aus dieser Zeit hat? Das wäre für mich natürlich ein absoluter Glücksfall!

Wir werden berichten, vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Leonhardmair

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