Neues Kompetenzzentrum Biodiversität und integrative Taxonomie
Neue Artenkenner:innen [13.07.21]
Bild: Uni Hohenheim / Jan Winkler
Das voranschreitende Artensterben ist eine der größten Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Um dem entgegenwirken zu können, müssen die bedrohten Arten bekannt und ihre Funktionen im Ökosystem verstanden sein. Deutschlandweit gibt es jedoch nur noch wenige Personen, die über vertiefte Artenkenntnisse verfügen und in der Lage sind, seltene Tier-, Pflanzen- und Pilzarten sicher zu bestimmen. Das Land Baden-Württemberg hat deshalb die Kompetenzinitiative „Integrative Taxonomie“ gestartet. Herzstück ist das neue „Kompetenzzentrum Biodiversität und integrative Taxonomie“ (KomBioTa), das von der Uni Hohenheim und dem Naturkundemuseum Stuttgart gemeinsam betrieben wird. Das Land fördert das KomBioTa mit jährlich rund 1 Million Euro.
Das Artensterben findet nicht nur in entlegenen Regionen statt, sondern auch in unserem direkten Lebensumfeld. Dadurch sind wertvolle Dienstleistungen des Ökosystems, wie etwa die Bestäubung von Obstblüten durch Insekten bedroht. Die Biodiversität hat auch weitreichende Bedeutung für das Klima: Ökosysteme mit einer großen pflanzlichen Vielfalt können große Mengen Kohlen- und Stickstoff speichern und dadurch den Klimawandel abbremsen.
„Um effektive Schutzmaßnahmen zum Beispiel gegen das Insektensterben ergreifen zu können, müssen wir erst einmal wissen, welche Arten es überhaupt gibt und welche Funktionen sie im Ökosystem haben“, erklärt der Insektenkundler Prof. Dr. Lars Krogmann. Er leitet die entomologische Abteilung des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart sowie das Fachgebiet Systematische Entomologie an der Uni Hohenheim und ist eines der drei Vorstandsmitglieder des Kompetenzzentrums.
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Artenkenntnis ist Basis des Artenschutzes
Das Zentrum besteht in seiner Anfangsphase aus zwei neu geschaffenen Professuren, mehreren Mitarbeitenden und einer hauptamtlichen Geschäftsführung und zeichnet sich unter anderem durch die gemeinsame Nutzung der Infrastruktur der beiden Partnerinstitutionen aus.
Ein Ziel des Zentrums ist es, eine Generation moderner Artenkenner:innen auszubilden, die mit aktuellen Forschungsmethoden ebenso vertraut sind wie mit den heimischen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten. Dazu sollen klassische beschreibende taxonomische Ansätze mit modernen Methoden der morphologischen Forschung, Molekulargenetik und Bioinformatik zusammengeführt werden.
Jede Art zählt ‒ Zustand der Arten erfassen, Artenvielfalt schützen
Außerdem soll KomBioTa das Biodiversitätsmonitoring weiterentwickeln, also die Dokumentation des Zustandes und der Veränderungen der Biodiversität. Damit trägt das Zentrum zu den großen Monitoringprogrammen auf Landes- und Bundesebene und zu internationalen Initiativen bei.
Integrative Taxonomie |
Die Taxonomie ist das Teilgebiet der Biologie, das die verwandtschaftlichen Beziehungen von Lebewesen (und Viren) in einem hierarchischen System erfasst. In der Biologie erfolgt diese Einteilung traditionell in einem bestimmten Rang einer Systematik, wie Art, Gattung oder Familie und dies insbesondere bei Organismen. In der „Integrativen Taxonomie“ werden Methoden der klassischen Taxonomie multidisziplinär mit molekularbiologischen Methoden, bildgebenden Verfahren zur Untersuchung der Morphologie, dem äußeren Erscheinungsbild und ökologischen Untersuchungen kombiniert. |
Bislang erfassen Ökologinnen oder Umweltgutachter bei ihrer Arbeit oftmals nur einen sehr kleinen Teil der immensen biologischen Vielfalt und orientieren sich an so genannten Zeiger- oder Indikator-Arten, die dann repräsentativ für das gesamte Biotop betrachtet werden.
„Aber es genügt nicht, sich nur auf einzelne Gruppen oder Indikator-Arten, wie etwa Wildbienen, zu fokussieren. Es müssen auch die Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten von Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen untersucht werden“, verdeutlicht Prof. Dr. Johannes Steidle vom Fachgebiet für Chemische Ökologie an der Uni Hohenheim und ebenfalls im Vorstand des Kompetenzzentrums. „Das Standard-Monitoring muss daher ergänzt werden durch unterschiedliche ökologische Gruppen, etwa die Rolle von Insekten als Bestäuber, Gegenspieler und Nahrung.“
Promotionskolleg „Biodiversität im Wandel der Zeit“
„Einmal verlorengegangen kann genetische Vielfalt nicht einfach wieder generiert werden kann“, betont Vorstand Prof. Dr. Martin Hasselmann vom Fachgebiet für Populationsgenomik bei Nutztieren. „Wir benötigen dringend exzellenten wissenschaftlichen Nachwuchs in den Bereichen Taxonomie, Ökologie und Evolution, um die genannten Aufgaben langfristig angehen zu können.“
Daher werden Wissenschaft und Forschung ergänzt durch das ebenfalls neu eingerichtete Promotionskolleg „Biodiversitätswandel in Raum und Zeit“. Es bietet bundesweit eine einmalige Möglichkeit für junge Wissenschaftler:innen, auf dem Gebiet der Taxonomie zu forschen.
Einbindung der Umweltakademie: Fort- und Weiterbildung für die Praxis
Nicht zuletzt soll das neue Kompetenzzentrum auch dazu beitragen, das notwendige Wissen für den Erhalt der Artenvielfalt in Gesellschaft und Politik zu bringen. Dazu arbeitet das KomBioTa eng mit der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg zusammen, die zum Umweltministerium gehört.
Die Angebote der Umweltakademie richten sich an Personen in Behörden, Planungs- und Gutachterbüros und in den Naturschutzverbänden, an Ehrenamtliche im Natur- und Umweltschutz und an andere Interessierte. Sie dienen der Qualifizierung von Artenschutzfachleuten für die praktische Arbeit vor Ort.
Text: Stuhlemmer / Leonhardmair