Prüfungsabbruch: Vorfall in BWL-Klausur

Prüfungsamt zweifelt Atteste an  [08.06.18]

Für Rücktritte nach Beginn der Prüfung ist ein ausführliches ärztliches Attest erforderlich. Das Prüfungsamt stellt dafür ein Formular auf der Homepage zur Verfügung. Bild: Uni Hohenheim

Eine Prüfung antreten, die Fragen durchlesen und sich dann spontan krankmelden? Aus nachvollziehbaren Gründen ist das nur in wohlbegründeten Ausnahmefällen möglich. 37 Hohenheimer Studierende haben genau das in einer BWL-Prüfung vor zwei Wochen mit einem ärztlichen Attest versucht. Das Prüfungsamt meldet jedoch Zweifel an.


Eine Lebensmittelvergiftung? Eine ansteckende Krankheit? Wenn 37 Studierende gleichzeitig während einer Prüfung krank werden, liegen solche Gedanken nahe. Doch im konkreten Fall, der sich vor zwei Wochen bei der Prüfung GBWL4 ereignete, deutet nichts auf eine solche Ausnahmesituation hin. Stattdessen vermutet das Prüfungsamt einen akuten Fall von Prüfungsangst.

Stutzig machten die Beschäftigten im Prüfungsamt nicht nur die große Anzahl der spontanen Krankheitsfälle, sondern auch die Tatsache, dass alle Atteste von ein und demselben Arzt ausgestellt wurden.

„Dies alles wirkt verdächtig und veranlasste uns dazu, die Atteste genauer anzusehen“, erklärt Dr. Matthias Wilhelm, Leiter der Abteilung Studienangelegenheiten. „Dabei mehrten sich unsere Zweifel, dass überhaupt ausreichende Untersuchungen stattgefunden haben, um die Prüfungsunfähigkeit festzustellen.“

Informationen zum Thema

Aus aktuellem Anlass hat das Prüfungsamt Studierende über "Kurz gemeldet" informiert. Weitere Informationen zum Thema Krankmeldung & Rücktritt, sowie ein Formular für die ärztliche Bescheinigung gibt es auf der Website des Prüfungsamts.

Besondere Anforderungen für Rücktritte während Prüfung

Anders als bei einer gewöhnlichen Krankmeldung am Arbeitsplatz ist bei einem Prüfungsabbruch ein ausführliches ärztliches Attest notwendig. Dieses Attest ist Grundlage für die Entscheidung der Prüfungskommission, ob ein Rücktrittsantrag bewilligt wird oder nicht.

Dabei gilt: Wer sich bereits vor der Prüfung krank fühlt, muss auch vorher zum Arzt gehen. Nur Krankheitssymptome, die spontan während der Prüfung auftreten und das Leistungsvermögen prüfungsrelevant beeinträchtigen, sind als Rücktrittsgrund zulässig. Diese Symptome müssen in dem Attest seitens des Arztes konkret dargelegt sein. Symptome, die durch Nervosität oder Prüfungsangst hervorgerufen wurden, sind ausdrücklich keine zulässigen Gründe. Das Attest muss noch am selben Tag bei der Universität eingereicht werden.

Studierende müssen ausführliche Atteste nachreichen

 „In den vorliegenden Fällen fiel die ärztliche Beurteilung schlicht und ergreifend zu knapp aus“, so Wilhelm. „Wir haben die Studierenden deshalb schriftlich aufgefordert, ein ausführliches Attest des Arztes nachzureichen, um ihre Prüfungsunfähigkeit glaubhaft zu machen. Sollte eine entsprechende Untersuchung stattgefunden haben ist dies für den Arzt kein Problem, da er dazu verpflichtet ist, ein Untersuchungsprotokoll zu führen. Falls nicht, besteht kein Anspruch auf den Rücktritt von der Prüfung.“

Ob die Uni gegebenenfalls auch juristische Maßnahmen gegen den Arzt ergreifen will, kann Dr. Wilhelm zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen: „Wir prüfen weitere Fälle und warten ab, welche Rückmeldungen uns von den betroffenen Studierenden erreichen. Danach entscheiden wir, ob und wenn ja, welche weitere Reaktionen seitens der Universität erforderlich sind.“

Studentische Reaktionen reichen von Humor bis Sorge

In Whatsapp-Gruppen und auf Facebook sorgt das Schreiben des Prüfungsamts derweil für zahlreiche Kommentare. „Wie einigen von euch schon zu Ohren gekommen ist, nimmt das Prüfungsamt keine Atteste mehr von unserem allseits geschätzten ‚Doctor Holiday‘ an“, heißt es etwa - inhaltlich nicht ganz richtig - in einer VWL-Facebookgruppe gefolgt von einem humorigen Nachruf auf den Arzt mit über 250 Likes und 160 Kommentaren.

Doch nicht alle Studierenden können über den Vorfall lachen, wissen die AStA-Vorsitzenden Andrea Bauer und Benedikt Schülen: „Es geht die Sorge um, dass eingereichte Atteste des betroffenen Arztes generell aberkannt werden – selbst dann, wenn die Studierenden tatsächlich krank waren. Das darf aus unserer Sicht nicht sein, zumal die Studierenden über ein solchen Schritt nicht hinreichend informiert wurden.“

Prüfungsamt überprüft weitere Atteste

Tatsächlich will das Prüfungsamt die Atteste des zurückliegenden Prüfungszeitraums (22.05. – 25.05.2018) noch einmal genauer unter die Lupe nehmen. Dr. Wilhelm betont: „Es ist nicht so, dass die Uni Atteste des betroffenen Arztes grundsätzlich zurückweist. Aber wir werden noch einmal überprüfen, ob sie tatsächlich den notwendigen Anforderungen genügen. Falls wir auf weitere Zweifelsfälle stoßen, werden wir auch diese Studierende auffordern, bei dem Arzt ein zweites, ausführlicheres Attest anzufordern. Dies gebietet uns der Gleichbehandlungsgrundsatz.“

Abgesehen von dem konkreten Vorfall sind Rücktritte während einer laufenden Prüfung eher Ausnahmen. Bei den Rücktritten vor Prüfungen verzeichnet das Prüfungsamts in den letzten Jahren allerdings einen deutlichen Anstieg. Im ersten Prüfungszeitraum des letzten Wintersemesters gab es bei knapp 30.000 Prüfungsanmeldungen gut 600 Rücktritte aus gesundheitlichen Gründen vor der Prüfung und 18 Rücktritte während der Prüfung (verteilt über alle Termine).

AStA sieht Reformbedarf bei Prüfungsordnungen

„Vielleicht muss man sich die konkrete Klausur noch einmal ansehen. Uns erreichen mehrere Beschwerden über den hohen Schwierigkeitsgrad“, so die AStA-Vorsitzenden. Vor allem besteht aus Sicht der Studierendenvertretung jedoch genereller Reformbedarf bei den Prüfungsordnungen.

Die derzeitige Regelung sieht vor, dass man sich zwar zu einem beliebigen Zeitpunkt für die Klausuren anmelden kann, den Prüfungstermin anschließend allerdings nur ein einziges Mal ohne Angabe von Gründen verschieben darf. Wer durchfällt oder sich krankmeldet wird automatisch für den nächstmöglichen Nachschreibetermin angemeldet. Wie viele Versuche pro Prüfung möglich sind, ist pro Studiengang und Prüfung individuell geregelt.

„Wir sehen diese Pflichtanmeldung als sehr problematisch an“, so AStA-Vorsitzender Benedikt Schülen. „Die hohe Zahl der Krankmeldungen vor Prüfungen hängt mit Sicherheit auch damit zusammen, dass es keine reguläre Möglichkeit gibt, eine solche Prüfung zu schieben. Die Fachschaft Wirtschaftswissenschaften fordert deshalb seit Längerem, die Pflichtanmeldung abzuschaffen. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass darüber in der Senatskommission Lehre aktuell diskutiert wird.“

Prüfungsdruck versus Aufschieberitis

Das Prüfungsamt, das pro Jahr über 150.000 Prüfungen verwalten muss, hat den Vorschlag, die Pflichtanmeldung abzuschaffen, zur Diskussion in die Senatskommission Lehre gebracht.

„Auch wir gehen davon aus, dass der Umfang der Rücktrittsanträge durch die Abschaffung der Pflichtanmeldung zurückgeht, da diese Maßnahme den unmittelbaren Prüfungsdruck für die Studierenden reduziert. Als weitere Vorteile sehen wir eine Erhöhung der Flexibilität im Studium für die Studierenden und eine Reduzierung des Aufwands im Prüfungsamt für die Durchführung der Pflichtanmeldungen“, so Christel Maier, Leiterin des Prüfungsamts.

Es gibt allerdings auch Argumente für die Beibehaltung der Pflichtanmeldung: So soll die Pflichtanmeldung die Studierenden vor Aufschieberitis bewahren. Denn: Spätestens bis zum Ende des 9. Semesters müssen alle Modul-Prüfungen im Bachelor bestanden sein. Wer am Ende vor einem Berg von Prüfungen steht und merkt, dass er oder sie den Anforderungen eigentlich nicht gewachsen ist, hat jede Menge Zeit verloren. Eigentlich verfolgt die Uni mit verschiedenen Fördermaßnahmen das Ziel, die Zahl solcher Spätabbrecher zu reduzieren.

„Wir verstehen den Gedanken, dass Studierende frühzeitig erkennen sollen, ob sie in ihrem Studiengang richtig sind und auch die geforderten Leistungen bringen können. Ein Alternative wäre aus unserer Sicht, die Orientierungsprüfungen in den ersten Semestern auszuweiten, bei den weiteren Prüfungen dann aber auf die Pflichtanmeldung zu verzichten“, so AStA-Vorsitzender Benedikt Schülen.

Text: Leonhardmair

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