Schwergewichte der Forschung

Genetischer Flaschenhals erschwert Klima-Anpassung  [11.05.17]

Schaumkresse gedeiht in der Nähe von Wasserfällen im Gebirge, zum Beispiel in den Alpen oder den Cevennen. | Bildquelle: Universität Hohenheim / Karl Schmid

Stark spezialisiert und genetisch nicht sehr flexibel: Es sind Pflanzenarten wie diese, die der Klimawandel mit seiner aktuellen Geschwindigkeit wohl vor unüberwindbare Herausforderungen stellt. In diese Richtung deutet ein laufendes Projekt der Uni Hohenheim. Am Beispiel von zwei Schaumkresse-Arten erarbeitet ein Team in der Populationsgenetik, wie solche Pflanzenarten im Laufe der Evolution einen genetischen Flaschenhals passierten, der ihnen jetzt zum Verhängnis werden könnte.


An idyllisch plätschernden Wildbächen in den italienischen Alpen oder den französischen Cevennen gedeihen die Schaumkresse-Arten Arabidopsis pedemontana und Arabidopsis cebennensis. Doch nicht mehr lange, befürchtet Prof. Dr. Karl Schmid, Leiter des Fachgebiets Nutzpflanzenbiodiversität und Züchtungsinformatik in Hohenheim.

Dabei sieht der Wissenschaftler die beiden Schaumkresse-Arten als beispielhaftes Modell für einen ganz bestimmten Typ Pflanze. „Nach dem aktuellen Stand scheint der Klimawandel so schnell fortzuschreiten, dass diese Pflanzen nur eine geringe Chance haben, sich genetisch anzupassen: Sie sterben einfach aus.“

Der Grund: Die beiden untersuchten Arten sind stark auf bestimmte Umweltbedingungen festgelegt. Gleichzeitig verhindert die mangelnde Vielfalt in ihrem Erbgut jedoch, dass die Pflanzen sich genetisch weiter entwickeln.


Gefahrenfaktor 1: Zu starke ökologische Spezialisierung

„Die beiden Arten sind endemisch, sie haben also ein sehr kleines Verbreitungsgebiet. Zudem gedeihen sie nur unter bestimmten Bedingungen: Sie vertragen warme Temperaturen nicht, und sie brauchen viel Wasser, da sie es nur schlecht speichern können.“ Außerdem sind beide Arten kaum resistent gegen feindliche Insekten und Krankheiten wie Mehltau.

Zum Projekt

Das Projekt „Die Interaktion von genetischer Drift und adaptiver Evolution in zwei endemischen Pflanzenarten, Arabidopsis pedemontana und A. cebennensis“ läuft von 1. August 2015 bis 31. Juli 2018. Die Deutsche Forschungsgesellschaft fördert es mit 280.130 Euro.


Bisher war das in den kühlen, wasserreichen Bergregionen, in denen die beiden Arten vorkommen, kein Problem. Doch durch den Klimawandel steigen auch hier die Temperaturen; schädliche Insekten und Krankheitserreger dringen in immer höhere Lagen vor. „Die Pflanzen müssen in noch höhere Gegenden ausweichen – das geht natürlich nicht unbegrenzt.“


Gefahrenfaktor 2: Mangelnde genetische Vielfalt

Eine Erklärung für diese Schwächen könnte ein sogenannter genetischer Flaschenhals sein, den die Arten in ihrer jüngsten Vergangenheit durchlaufen haben. Dabei geht aufgrund zufälliger Auswahlprozesse ein Großteil der genetischen Vielfalt verloren. Das Ergebnis, vermutet Schmid, ist eine Population, die weniger anpassungsfähig ist. Auch eine geringe Populationsgröße bringt die Arten in Bedrängnis.

Genau das hat er bei den untersuchten Arten festgestellt: Die eine Art ist zwar in einem größeren Lebensraum verbreitet, weist jedoch eine sehr geringe genetische Vielfalt auf. Die andere kann eine höhere Vielfalt bieten, kommt jedoch nur in sehr geringer Zahl vor. Beide sind damit für Umweltveränderungen schlecht aufgestellt, befürchtet Schmid.


Genetische Weiterentwicklung kommt zur Rettung kaum in Frage

Die Kreuzung mit anderen Arten kommt als Ausweg aus der genetischen Sackgasse ebenfalls nicht in Frage. Zwar haben Schmid und sein Team versucht, die beiden Arten mit verwandten Arabidopsis-Arten zu kreuzen. Doch der Versuch zeigte keinen Erfolg. Lediglich miteinander zeugten die beiden fruchtbare Nachkommen.

Schwergewichte der Forschung

Als Schwergewichte der Forschung gelten an der Uni Hohenheim Forschungsprojekte ab 250.000 Euro Fördersumme für apparative Forschung bzw. 125.000 Euro für nicht-apparative Forschung.


Schmids ernüchterndes Fazit: „Wenn der Klimawandel eine schnelle genetische Anpassung erfordern würde, können wir nach dem aktuellen Stand davon ausgehen, dass diese beiden Arten es nicht schaffen würden.“


Forschung im Artenstammbaum

Um zu erkennen, wie sich die beiden Arten von ihren Verwandten unterscheiden, nimmt  Schmid mit seinem Team die Familiengeschichte der Arabidopsis-Arten unter die Lupe: Vergleiche mit dem Erbgut verwandter Arten zeigen, ob die Gene für bestimmte Merkmale früher einmal in den Arten angelegt waren und im Laufe der Zeit verloren gingen, was die starke ökologische Spezialisierung erklären könnte.

Dazu untersucht er das Erbgut von Pflanzen, die an allen bekannten Standorten der beiden Arten gesammelt wurden. Außerdem erfasst er physiologische Eigenschaften wie die Effizienz der Wassernutzung oder das Vorkommen von Abwehrstoffen gegen Insekten. In den kommenden Monaten will er außerdem die sogenannte Genexpression der Arten untersuchen, also die Frage, ob ein Gen zur Ausbildung eines bestimmten Merkmals aktiviert wurde oder nicht.

Text: Barsch

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