Corona-Befragung der Uni Hohenheim
Differenziertes Zeugnis für Digital-Semester [16.03.21]
Bild: Uni Hohenheim / Clipdealer
Mehr psychische Belastung und weniger Austausch, aber kaum besondere Schwierigkeiten beim Verständnis des Lernstoffs – und viele Studierende sehen in einzelnen Aspekten der digitalen Lehre sogar Vorteile: In einer breitangelegten Befragung der Universität Hohenheim stellen Studierende dem digitalen Lehrbetrieb ein differenziertes Zeugnis aus. Neben 2284 Studierende aus allen Studiengängen gaben dabei auch 304 Lehrende Auskunft über ihre Erfahrungen. Neben einer Bewertung der Online-Lehrveranstaltungen wurden u.a. technische, organisatorische, psychische und soziale Faktoren abgefragt. Fazit der Prorektorin für Lehre, Prof. Dr. Korinna Huber: „Die Befragung zeigt uns aktuelle Problempunkte, aber auch das mögliche Potenzial der digitalen Formate.“
Das dritte und möglicherweise letzte Corona-Semester steht bevor. Für die Uni Hohenheim ein Anlass, noch einmal zu überprüfen, was sich an den digitalen Lehrveranstaltungen verbessern lässt. Gleichzeitig drängt sich die Frage auf, ob ausgewählte Online-Formate auch in Zukunft eine größere Rolle spielen sollten.
Um die bisherigen Erfahrungen der Studierenden und Lehrenden besser einschätzen zu können, führte das Referat „Qualitätsmanagement | Strategie Lehre“ im Rektoratsbüro dazu im Dezember 2020 eine Online-Befragung durch, deren Ergebnisse nun vollständig ausgewertet sind.
Studierende stellen hohe Anforderungen an sich selbst
In einzelnen Aspekten fällt das Urteil der Studierenden zu den Digital-Semestern sehr unterschiedlich aus. Alles in allem jedoch sind rund zwei Drittel der Studierenden mit der Reaktion der Uni Hohenheim auf die Corona-Pandemie zufrieden bzw. sehr zufrieden. 13% ziehen unterm Strich hingegen ein negatives Fazit.
„Deutlich wird unter anderem auch, dass die Studierenden während der Corona-Pandemie weiterhin hohe Ansprüche an sich selbst stellen“, berichtet Prof. Dr. Korinna Huber, die die Befragung als Prorektorin für Lehre initiiert hat. „So gaben 38% der Bachelor-Studierenden und 27% der Master-Studierenden an, dass sie sich zu Semesterbeginn mehr vorgenommen haben als sonst. Lediglich 9% der Bachelor-Studierenden und 13% der Master-Studierenden wollten das Studium während der Corona-Zeit lockerer angehen. Was mich besorgt, ist, dass zwei Drittel über gestiegenen psychische Belastungen klagen.“
Studierende kommen unterschiedlich gut mit digitaler Lehre zurecht
Wie gut Studierende mit digitalen Formaten zurechtkommen, kann von Person zu Person sehr unterschiedlich sein.
„Wir haben die Studierenden u.a. gebeten, einen Vergleich zwischen Online- und Präsenzveranstaltung zu ziehen“, berichtet Dr. Heike Behle vom Rektoratsbüro, die die Befragung leitete. „Bei vielen Punkten zeigt sich in den Antworten eine große Streuung. Beispielsweise geben 44% der befragten Studierenden an, dass ihnen die Organisation des Studienalltags vor Corona leichter fiel, 33% gelang es während des Digital-Semesters besser, sich zu strukturieren, und 23% sahen keine großen Unterschiede.“
Fällt es schwerer, sich in Online-Veranstaltungen zu Wort zu melden? Das scheint zumindest zum Teil auch eine Typ-Frage zu sein: 36% der Studierenden verspürten größere Hemmungen während der Digital-Semester, 27% fiel die Beteiligung im Hörsaal bzw. Seminar-Raum schwerer. Für 37% ist das Format in dieser Hinsicht unerheblich.
Bemerkenswerterweise schneiden digitale Veranstaltungen bei den Studierenden im Durchschnitt sogar etwas besser ab, wenn es um das Nachvollziehen von Inhalten geht: So gaben 34% an, dass sie in Online-Veranstaltungen besser folgen konnten, wohingegen 27% das Verständnis in Präsenz-Veranstaltungen leichter fiel. 40% sind in dieser Frage unentschieden.
Organisation zufriedenstellend, aber zu wenig Praxis
Was den Umfang von digitalen Lehrmaterialen und Informationen über Online-Tools angeht, so sieht sich der Mehrheit der Studierenden ausreichend versorgt. Auch Lerninhalte und Lernziele der Module werden von den Lehrenden nach Meinung der Studierenden überwiegen klar und verständlich kommuniziert. 11-16% der Befragten sind in Bezug auf die genannten Punkte jedoch nicht zufrieden. Knapp ein Viertel bemängelt zudem, dass Lehrunterlagen nicht rechtzeitig hochgeladen wurden.
Die Vielfalt der Lehr- und Lernformate war aus Sicht von 58% der Studierenden auch in den Corona-Semestern ausreichend gegeben, jeder bzw. jede Fünfte empfindet dies nicht so.
Eindeutig zu kurz kamen aus Sicht der Studierenden hingegen Möglichkeiten, praktische Erfahrung zur Vertiefung der theoretischen Kenntnisse zu erwerben: 82% der Studierenden vermissten dies während der Online-Semester. Ein gutes Drittel sagt, dass es auch weniger Möglichkeiten gegeben habe, sich während des Studiums selbst an Forschungsprojekten zu beteiligen.
Herausforderung Prüfungsbetrieb
Die Durchführung der Prüfungen stellte für die Universität aufgrund der strengen Hygiene-Auflagen zuletzt eine ganz besonders große Herausforderung dar.
Ca. 40% der Lehrenden berichten, dass sie das Format von Prüfungen corona-bedingt verändert haben, z.B. Hausarbeit statt Klausur, Poster statt Referat. Ungefähr ein Drittel der Bachelor-Studierenden und ein Fünftel der Master-Studierenden gaben an, dass sie von einer oder mehreren Prüfungen zurückgetreten sind. Als Hauptgründe nennen sie eine hohe Prüfungsdichte, eine problematische Prüfungsvorbereitung und Probleme mit der Prüfungsorganisation.
Ob das jeweilige Modul online oder in Präsenz stattgefunden hat, spielt für knapp die Hälfte der Studierenden für eine reibungslose Prüfungsvorbereitung keine Rolle. Einem Drittel fiel die Vorbereitung bei Präsenzformaten leichter, einem Fünftel hingegen bei den Online-Modulen.
Weniger Austausch, mehr Motivationsprobleme
Deutlich bemerkbar machen sich Nachtteile der virtuellen Formate auf sozialer Ebene: 57% empfinden den Kontakt zu den Lehrenden bei On-Campus-Formaten als direkter. Nur 13% bewerten das Verhältnis in Online-Seminaren als besser.
71% der Studierenden gaben außerdem an, dass sie sich während der Präsenzlehre häufiger mit Kommilitoninnen und Kommilitonen über fachliche Inhalte austauschen. Mehr als die Hälfte berichtet, dass in ihrem Studiengang keine Online-Lerngruppen stattfinden. Die Mehrheit der Studierenden beurteilt Lerngruppen in Präsenz zudem als effektiver.
Negativ fällt das Urteil aus, wenn es um Konzentration und Motivation geht: Mehr als die Hälfte der Studierenden kämpft stärker während der Online-Lehre mit Problemen. Lediglich 19% bzw. 24% berichten, dass Schwierigkeiten häufiger bei Präsenz-Veranstaltungen auftraten.
Hohe psychische Belastung
Ein Ergebnis besorgt Prorektorin Prof. Dr. Korinna Huber besonders: „65% der Studierenden gaben an, während der Online-Semester verstärkt unter psychischer Belastung zu leiden. Hierbei zeigten sich kaum Unterschiede zwischen Bachelor- und Masterstudierenden, auch das Fachsemester spielt keine Rolle. Das müssen wir sehr ernst nehmen.“
Als Gründe für psychische Belastung besonders häufig genannt wurden: Einsamkeit, Isolation und fehlende soziale Netzwerke, aber auch Unsicherheit über den Ablauf des Studiums und Probleme sich selbst zu organisieren und zu motivieren. 62% der Studierende fühlen sich über Beratungsmöglichkeiten bei psychischen Problemen nicht ausreichend informiert.
Auch an den Lehrenden gehen die corona-bedingten Digital-Semester nicht spurlos vorüber.
Fast alle geben an, dass der Mehraufwand durch die Umstellung auf Online-Lehre zu Belastungen geführt habe. Gut jede bzw. jeder Zweite beklagte zudem die mangelnde Trennung von Arbeit und Privatbereich im Home-Office. Ein Drittel leidet unter psychischen Belastungslagen, wie z.B. soziale Isolation oder gestiegener Leistungsdruck. 29% fühlten sich für die Anforderungen des digitalen Lehrbetriebs nicht gut genug gerüstet, ein Fünftel erlebte durch die Betreuung von Kindern oder Hilfebedürftigen eine besondere Belastung.
Technische Probleme spielen eher untergeordnete Rolle
Technische Probleme wie fehlendes Laptop, schlechte Internetverbindung etc. spielten für die Mehrheit der Uni-Angehörigen hingegen eher eine untergeordnete Rolle. Zwei Drittel geben an, keinerlei Schwierigkeiten gehabt zu haben. Viele technische Probleme ließen sich zudem in der Anfangszeit mit Hilfestellungen lösen.
„Es freut mich, dass die meisten Studierenden und Lehrenden trotz der Ausnahmesituation in Sachen Technik vergleichsweise gut zurechtkamen. Trotzdem gaben aber 13-14% der Studierenden und 5% der Lehrenden an, ständig unter technischen Problemen zu leiden. Das sind natürlich immer noch viel zu viele“, betont die Prorektorin für Lehre, Prof. Dr. Korinna Huber.
Verbesserungsvorschläge der Studierenden
825 Studierende nahmen die Möglichkeit wahr, in einer offenen Fragestellung anzugeben, welche konkreten Maßnahmen ihnen geholfen hätten, sich besser auf die präsenzlose Lehre einzustellen.
Weit oben rangierten dabei organisatorische Punkte, wie z.B. eine klare Planung und Kommunikation der Veranstaltungen während der Woche, der Einsatz des gleichen Online-Tools in allen Veranstaltungen, klar kommunizierte und gleichbleibende Zeitpunkte, zu denen Unterlagen hochgeladen werden, synchrone Veranstaltungen, die als Video aufgenommen werden. Viele Studierenden wünschten sich zudem klarere Informationen über Deadlines und Prüfungen.
Mehrfach genannte wurde auch der Wunsch nach mehr Vernetzungsmöglichkeiten, Sprechstunden, Lerngruppen sowie Live-Chats.
Ziel für die Zukunft: Mehr Qualität in der digitalen Lehre
Können digitale Lehrformate theoretische Präsenzlehre also adäquat ersetzen? Bei dieser Frage gingen die Meinungen ganz besonders stark auseinander. Auf einer 5-stufigen Skala von „trifft völlig zu“ bis „trifft überhaupt nicht zu“ verteilten sich die Antworten der Studierenden nahezu gleichmäßig.
„Ich fühle mich darin bestätigt, dass wir auch in Zukunft keine Fernuniversität werden wollen. Allerdings zeigt die Befragung auch, dass digitale Formate Potenziale bieten, die Lehre moderner und flexibler zu gestalten“, so das Fazit von Prorektorin Prof. Dr. Huber. „Man darf nicht vergessen, dass wir im Moment vielfach mit Notlösungen operieren, die unter Zeitdruck ins Leben gerufen wurden. Wenn wir den Fokus in Zukunft auf ausgewählte qualitativ sehr hochwertige Formate legen, lassen sich sicherlich etliche der aktuellen Probleme verringern oder beheben. Ganz besonders interessant könnten die digitalen Lehrveranstaltungen sein, wenn es darum geht, uns noch stärker mit unseren internationalen Partner-Universitäten zu vernetzen. Die Diskussion um die Zukunft der akademischen Lehre an der Universität Hohenheim muss in den nächsten Monaten intensiv begonnen werden und wird uns sicher ein paar Jahre begleiten.“
Text: Leonhardmair