Teuerungsrate schwer vorhersehbar

Geldpolitik & Corona  [14.05.20]

Der "Chili-con-Carne-Index" veranschaulicht die These von Jan Swiatkowski und Marius Puke, wonach der statistische Warenkorb dem veränderten Konsumverhalten während Corona-Zeiten nicht mehr gerecht wird. Foto: Uni Hohenheim/Swiatkowski/Puke

Trotz der aktuell sinkenden Inflationsrate steigen die Lebensmittel-Preise. Wie passt das zusammen? Dieser Frage sind die beiden Wirtschaftswissenschaftler Jan Swiatkowski und Marius Puke aus dem Team von Prof. Dr. Hans-Peter Burghof nachgegangen. Sie analysierten dazu die Preisentwicklung von ca. 30.000 Produkten auf den Internet-Seiten von großen Supermarktketten seit Februar 2020. Würde sich die Entwicklung der letzten 2,5 Monate bis Jahresende fortsetzen, ergäbe sich eine Preissteigerung von 3,8 %, während die EZB deutlich niedrigere Werte errechnet. Der speziell für die Untersuchung gebildete „Chili-Con-Carne-Index“ zeigt sogar eine noch deutlichere Preissteigerung. Einen Grund für die Diskrepanz sehen die Wissenschaftler in der Zusammensetzung des statistischen Warenkorbes, der nicht dem aktuellen Kaufverhalten entspricht. „Vor diesem Hintergrund muss die Frage erlaubt sein, ob die Entwicklung des Geldwertes tatsächlich einen so großen Spielraum für eine Erhöhung der Geldmenge zulässt, wie man bei der EZB glaubt,“ meinen die drei Wissenschaftler.

 

Grundlage für die Berechnung der Teuerungsrate ist der sogenannte Warenkorb. Das ist ein Bündel von Gütern und Dienstleistungen, dessen Zusammensetzung aus dem Konsum der Verbraucher in der Vergangenheit abgeleitet ist. Wie die offiziellen Statistikbüros auf Basis dieses Warenkorbs berichteten, sank im Euro-Raum die Steigerung der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat von 1,2 % im Februar auf nur noch 0,7 % im März.

Serie: Corona & Folgen

Die Corona-Pandemie hat bereits jetzt einschneidende Folgen: der Bildungssektor, die Wirtschaft, die Arbeitswelt allgemein, aber auch das menschliche Miteinander werden allerdings auch nach der Krise anders sein als vorher. Um damit umgehen zu können, sind wissenschaftliche Fakten wichtiger denn je. Auch zahlreiche Expertinnen/-en der Uni Hohenheim stehen mit ihre Fachexpertise bereit.

Statistischer Warenkorb bildet verändertes Verhalten nicht ab

Doch durch die Corona-Krise hat sich das Verhalten der Menschen verändert: Bestimmte Produkte des privaten Bedarfs können gar nicht oder nur noch eingeschränkt erworben werden. Ausgaben für Kultur- und Sportveranstaltungen, Restaurants und Hotels entfallen in der Krise. Aufgrund der verstärkten Tätigkeit im Home-Office entstehen weniger Spritkosten. Die Konsumausgaben konzentrieren sich auf Lebensmittel, Drogerieartikel und andere Produkte des täglichen Bedarfs.

Vor diesem Hintergrund vermuteten die drei Wissenschaftler, dass sich die Preissteigerungsrate für Lebensmittel deutlich von der anhand des Warenkorbs ermittelten Inflationsrate unterscheidet. Denn „eine systematische Verzerrung des Index könnte eine fehlerhafte Geldpolitik auslösen“, so ihre Befürchtung.

Um dies zu überprüfen, analysierten sie die Entwicklung bei den täglich abgerufenen Preisen im Online-Angebot von fünf europäischen Supermarktketten. In ihre Analyse flossen rund 500.000 Preise ein. Dabei sind über das gesamte Sortiment in den letzten 2,5 Monaten die Lebensmittel-Preise um rund 0,8 % gestiegen. Dies erscheint auf den ersten Blick nicht viel, setzt sich diese Entwicklung jedoch bis Jahresende fort, kommt man auf einen Wert von ca. 3,8 %.

Weitere Preisentwicklung nur schwer zu prognostizieren

Betrachtet man die Preisentwicklung seit dem 1. Februar genauer, finden sich zwei interessante Aspekte. Zunächst haben die Unternehmen die Preise nur zögerlich angepasst und es vermieden, die Krisensituation für kurzfristige Gewinne zu missbrauchen. Auch als die Regale für einige Produkte (Nudeln, Reis, Toilettenpapier und mitunter auch alkoholische Getränke) aufgrund von Hamsterkäufen leer blieben, sind die Preise für diese Produkte nur kaum merklich gestiegen.

Mit zunehmender Dauer der Krise wurden die Preisausschläge jedoch deutlicher. Dabei entwickeln sich die Preise für unterschiedliche Produktkategorien durchaus unterschiedlich. So sind frische Produkte, Backwaren und weitere Grundnahrungsmittel deutlich teurer geworden: Im 2,5-Monats-Zeitraum liegen europaweit Kekse und Gebäck mit fast 2,3 % durchschnittlicher Teuerung an der Spitze. Die Preisentwicklung für Obst und Gemüse sowie Fertig- und Tiefkühlprodukte zeigt insbesondere gegen Ende der Betrachtungsperiode einen deutlichen Preisanstieg.

„Chili-con-Carne-Index“ veranschaulicht unterschiedliche Preisentwicklung

Um die unterschiedliche Entwicklung zu veranschaulichen, haben die drei Wissenschaftler den „Chili-con-Carne-Index“ eingeführt. Dieses Gericht ist bei Studierenden besonders beliebt und kann leicht nachgekocht werden. In dem Warenkorb wurden ca. 70 Produkte zusammengestellt, die als Zutaten für die Herstellung dieses Gerichts Verwendung finden können.

Der „Chili-con-Carne-Index“ zeigt, dass sich dieses Gericht seit Anfang Februar bereits um 6 % verteuert hat. Ausnahmsweise ist die vegetarische Variante des Gerichts von der Preissteigerung ähnlich stark betroffen, da Hackfleisch im Gegensatz zu den übrigen Zutaten mit knapp 3 % den geringsten Preisanstieg verzeichnet. Tomaten hingegen wurden um fast 23 % teurer.

Text: Stuhlemmer

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