Neue Profs: Kristina Kögler

Sie weiß, was Unterricht langweilig macht  [03.12.19]

Prof. Dr. Kristina Kögler | Foto: Uni Hohenheim / Brigitte Schönberger

Rechnungswesen? Öde! Wie Schülerinnen und Schüler kaufmännischen Unterricht erleben und welche Auswirkungen ihr Erleben auf Lernleistungen hat, das erforscht Prof. Dr. Kristina Kögler. Mit ihren Ergebnissen will die Wirtschaftspädagogin Lernprozesse optimal unterstützen. Für eine bestmögliche Nutzung der knappen Unterrichtszeit – und für mehr Bildungsqualität.


Seit April dieses Jahres leitet Prof. Kögler nach zweijähriger Vertretungszeit das Fachgebiet Wirtschaftspädagogik, insbesondere Lehr- und Lernprozesse an der Universität Hohenheim.
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Frau Kögler, wie war denn Ihr Weg bis nach Hohenheim?

Aufgewachsen bin ich im Norden Deutschlands, habe dann aber in Bamberg Wirtschaftspädagogik studiert. Nach dem Studium hat mir mein Doktorvater eine Promotion angeboten, bei der es um Langeweile in kaufmännischen Unterrichtsprozessen ging. Nach der Promotion hatte ich bis 2017 eine Juniorprofessur für Wirtschaftspädagogik in Frankfurt inne und habe anschließend die Vertretung des Lehrstuhls hier in Hohenheim übernommen.

2017 hieß das Fachgebiet noch anders?

Ja, das jetzige Fachgebiet „Wirtschaftspädagogik, insbesondere Lehr- und Lernprozesse“ hieß noch „Wirtschaftspädagogik, insbesondere Pädagogik und Didaktik“. Es ist während meiner Vertretungszeit umbenannt worden.

Sie sagten, Sie haben über Langeweile im Unterricht promoviert. Worum genau ging es dabei?


Ich wollte verstehen, wie Schülerinnen und Schüler Unterrichtsprozesse erleben, welche Faktoren die Entstehung von Langeweile beeinflussen und welche Konsequenzen das für den Lernerfolg hat. Dazu habe ich den Unterricht in den kaufmännischen Fächern Rechnungswesen und Betriebswirtschaft über einen längeren Zeitraum gefilmt und mit der Experience Sampling-Methodik gearbeitet.

Damit kann man das Erleben von Probanden unmittelbar im konkreten Handlungsprozess erheben, entweder in zeitlich festen Intervallen oder an bestimmte Ereignisse geknüpft. Ich habe das Schülererleben im Unterricht alle sieben Minuten gemessen und konnte dann über die Verbindung mit den Beobachtungsdaten aus den Videos situative Entstehungskonstellationen der Langeweile nachzeichnen.

Freies Assoziieren



Wenden Sie denn Ihre Erkenntnisse auch jetzt in Ihren Vorlesungen an?

Das ist natürlich das Ziel. Auf jeden Fall habe ich durch die Studie einen guten Blick dafür entwickelt, wie es den Lernenden gerade geht und ob mein Unterrichtskonzept so aufgeht wie geplant. Es geht letztlich um Adressatengerechtigkeit, ein Anknüpfen an die Lebenswirklichkeit der Lernenden, und darum, wiederkehrende Leerläufe zu vermeiden. Das stelle ich auch gerade in meinem Schulpraxissemester an einer Berufsschule wieder fest.

Was sind zentrale Elemente in Ihrer Lehre?

Das sind im Wesentlichen drei Punkte: Zunächst einmal muss die Lehre sich bei der Auseinandersetzung mit den analytischen und konzeptionellen Grundlagen des Fachs immer auch mit authentischen Problemen des späteren Berufsfeldes beschäftigen und eine gewisse Anwendungsorientierung in sich tragen.

Zweitens sollte sie den Studierenden verdeutlichen, dass die Verantwortung für den Lernprozess letztlich bei ihnen selbst liegt. Das bedeutet aber keinen Rückzug von mir als verantwortlicher Lehrperson. Vielmehr geht es darum Ernsthaftigkeit und das Erleben von Autonomie zu erzeugen. Das geht mit handlungsorientierten Lehrmethoden, in denen Studierende über den Weg und zu einem gewissen Grad auch über das Ziel mitbestimmen können. Dazu gehören auch reger Austausch und Diskussion.

Und der dritte Punkt ist das Forschende Lernen. Ich finde es sehr wichtig, Studierenden zu zeigen, dass Forschung nicht im luftleeren Raum oder dem vielbeschworenen Elfenbeinturm stattfindet, sondern eine permanente Auseinandersetzung mit der sogenannten Praxis beinhaltet. Dazu gehört die Mitarbeit in Forschungsprojekten des Lehrstuhls und die Erkenntnis, dass Statistik und Empirie nicht nur lästige Gegner sind, sondern auch begeistern können. All dies ist wichtig, damit man in seiner späteren Berufsausübung begründete Position beziehen und das eigene Tun zielgerichtet reflektieren kann.

Welche Lehrmethoden wenden Sie an?

Im Master bearbeiten die Studierenden zum Beispiel in kleinen Gruppen eigene Projekte, die jeweils in ein Rahmenthema eingebunden sind. Etwa die Frage, wie man digitale Medien sinnvoll im kaufmännischen Unterricht nutzen kann. Das wird entlang didaktischer Theorien konzipiert und dann auch in Unterrichtsversuchen ausprobiert. Im Bachelor werden die Unterrichtssimulationen dann auch gefilmt für ein videobasiertes Feedback, und es gibt Workshops mit Praktikern.

Allgemein versuche ich in den Vorlesungen eher in die Anwendung und den Austausch zu kommen und nicht ausschließlich den Unterrichtsstoff zu präsentieren, was unter dem Prinzip des Flipped Classroom bekannt ist.

Wie sieht es denn später aus? Können Ihre Studierenden nur im Lehramt tätig sein oder gibt es auch andere Berufsmöglichkeiten?

Wirtschaftspädagogik ist ein polyvalenter Studiengang. Um das deutlich zu machen, wurde er auch umbenannt von „Wirtschaftswissenschaftliches Lehramt“ zum „Master of Science Wirtschaftspädagogik“. Damit ist er auch anschlussfähiger an die anderen Standorte, denn es drückt sich bereits im Namen aus, dass man mit dem Studium auch etwas anderes anfangen kann als in den Schuldienst zu gehen.

Es gibt ein breites Portfolio an beruflichen Möglichkeiten. Zum Beispiel betriebliche Bildungsarbeit in der Aus- oder Weiterbildung, aber auch Tätigkeiten in der Bildungsverwaltung und Bildungspolitik wie etwa bei Kammern, Verbänden oder Ministerien.

Welchen guten Rat haben sie für Ihre Studierenden?


Nehmen Sie frühzeitig die Dinge selbst in die Hand. Organisieren Sie Ihr Studium entlang Ihren eigenen Interessen und Fähigkeiten, nutzen Sie die Hilfsangebote, die es an der Universität gibt und vernetzen Sie sich mit anderen.

Und setzen sie sich einfach mal in die Bibliothek und lesen Sie nur interessengeleitet – dafür werden Sie später kaum mehr Zeit haben. Oder nehmen Sie die Bücher mit in den wunderschönen Hohenheimer Schlosspark. Genießen Sie die zeitlichen Freiräume, die Sie jetzt noch haben.

Können sich Studierende an Ihren Forschungsprojekten beteiligen?

Neben der Projektarbeit in den Seminaren gibt es die Möglichkeit der Mitarbeit in Forschungsprojekten als studentische Hilfskräfte oder auch während der Abschlussarbeitsphase. Daraus entstehen oft sehr schöne Arbeiten, je nach Thematik gibt es manchmal sogar die Möglichkeit, sich an Publikationen zu beteiligen.

Sie haben Ihre Forschung ja zum Teil schon angerissen, aber könnten Sie uns bitte einen Gesamtüberblick über Ihre Forschungsthemen geben?

Bei meinem ersten Forschungsbereich geht es um Emotionen in Lernprozessen. Früher haben wir dabei die Entstehungsfaktoren betrachtet, jetzt geht es vor allem um emotionale Dynamiken. Wir wollen herausfinden, ob es kontextabhängig typische Emotionsverläufe gibt und wie sie entstehen. Dafür braucht es Längsschnittdaten, bei denen wir das Erleben in Lehr-, Lern- oder Arbeitsprozesse über einen längeren Zeitraum hinweg mittels unterschiedlicher Experience-Sampling-Varianten erheben.

Fachgebiet Wirtschaftspädagogik, insbesondere Lehr- und Lernprozesse

Seit April 2019 leitet Prof. Dr. Kristina Kögler das Fachgebiet am Institut für Bildung, Arbeit und Gesellschaft, für das sie seit 2017 nach dem Tod ihres Vorgängers Prof. Dr. Diethelm Jungkunz die Vertretung innehatte. In der Zeit wurde es umbenannt von „Wirtschaftspädagogik, insbesondere Pädagogik und Didaktik“. mehr


Im zweiten Forschungsbereich untersuchen wir Problemlösestrategien von Auszubildenden in komplexen beruflichen Situationen. Das geschieht über Logfiles, also die Aufzeichnung aller Aktivitäten in einer Problemlöseumgebung.

Das heißt, Sie haben Probanden, die am Rechner sitzen und Probleme lösen sollen?

Ja, wir haben in einem größeren Verbundprojekt etwa 800 Azubis aus drei kaufmännischen Berufen getestet: Sie bekamen zum Beispiel die Aufgabe aus mehreren Alternativen den bestmöglichen Lieferanten auszuwählen oder sollten zahlenbasiert eine Entscheidung treffen, ob das Modellunternehmen produzieren oder besser die Produktion auslagern sollte. Die Mouseklicks und Tastenanschläge der Probanden wurden mitgeloggt. Nun werten wir Muster aus, um zu prüfen, ob erfolgreiche Problemlöser anders an das Problem herangegangen sind als die anderen. Im Moment sind wir gerade dabei, Hypothesen zu entwickeln.

Der dritte Bereich befasst sich mit der didaktischen Qualität von onlinebasierten Lernangeboten wie etwa MOOCs.

Was sind denn MOOCs?

Das ist das Kürzel für „Massive Open Online Courses“. Diese Onlinekurse werden häufig in der Hochschul- und Erwachsenenbildung verwendet. Sie haben in der Regel keine Zugangsbeschränkungen und daher meist sehr hohe Teilnehmerzahlen. Eigentlich sind MOOCs ein spannender Ansatz im Sinne einer Demokratisierung der Bildung bzw. Bildung für alle. Aber viele der Kurse haben ein Qualitätsproblem, auch die Abbruchraten sind oft sehr hoch. Wir untersuchen im Moment für den Bereich Business und Management, warum das so ist. Unser Ziel ist es, evidenzbasierte Qualitätskriterien für MOOCs zu erarbeiten.

Was ist die wichtigste Frage, die Sie bei Ihrer Forschung antreibt?

Im Moment die Frage, wie weitreichend Lernen digital unterstützt werden kann. Es wäre schön, wenn man Lernprozesse digital so individualisiert begleiten könnte, dass dadurch ein echter Mehrwert entsteht. Das würde das Problem der Zeitknappheit in institutionellen Bildungsgängen mildern und letztlich der Chancengerechtigkeit dienen. Und man könnte Bildung zeitlich und räumlich entzerren. Freilich ohne den Wert des persönlichen Austauschs zwischen Lehrenden und Lernenden zu verkennen. Eher als sinnvolle und umfassende Ergänzung, die einen durch alle formalen und informellen Lernprozesse begleitet.

Welches Projekt würden Sie in Angriff nehmen, wenn Sie über unbegrenzte Mittel und Möglichkeiten verfügen könnten?

Ich würde eine Lernumgebung entwickeln, die genau das kann, was ich eben beschrieben habe – individualisiert und umfassend, sowohl für formale Bildungsgänge wie auch informelle Lernwege. Eine Art lebenslanger Lernbegleiter, der mit Hilfe intelligenter Algorithmen dem Lernenden ein individuelles Feedback gibt und ihn bei auftretenden Schwierigkeiten motiviert.

Aber vorerst versuche ich mit den vorhandenen Mitteln Lernprozesse in unterschiedlichen Domänen zu verstehen und in der Folge bestmöglich unterstützen zu können.

Fließen Ihre Ideen auch in die Fakultät ein?

In einem laufenden Projekt entwickeln wir gerade einen Studierfähigkeitstest für den Bachelor Wirtschaftswissenschaften, der dazu dienen soll, individuelle Wissenslücken und Lernrückstände möglichst frühzeitig zu erkennen und individualisiert Förderangebote der Universität zu empfehlen. Hierzu waren wir bereits mit vielen Kolleginnen und Kollegen im Austausch, was uns darin bestärkt hat, dass ein solches Instrument einen großen Mehrwert für die Studierenden bietet und letztlich auch zum Studienerfolg beitragen kann.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage, Frau Kögler: Wie gefällt es Ihnen jetzt als Professorin hier in Hohenheim?

Die Atmosphäre hier in Hohenheim ist sehr gut, ich fühle mich in der Fakultät ausgesprochen wohl und hatte schon viele spannende Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen. Die Studierenden sind offen für neue Ansätze und beteiligen sich in verschiedenen Projekten und Abschlussarbeiten rege an den Forschungsaktivitäten des Lehrstuhls. Nur das W-LAN im Institut könnte etwas besser sein.

Und wie verbringen Sie Ihre Freizeit?


Ich lerne gerade zusammen mit meinem Sohn Schlagzeug und fotografiere gerne.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Kögler!

Interview: Elsner

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