Wiederentdeckter Langzeitversuch zeigt großes Potenzial
Resilient & nachhaltig: Agroforst feiert Comeback [22.01.25]

Agroforst kann viele Formen annehmen: Hier ein Schattenbaum für Gänse. Bild: Julia Schneider.
Angesichts zunehmender Dürreperioden und anderer Folgen des Klimawandels feiert eine traditionelle Anbaumethode ein weltweites Comeback: Agroforst kombiniert schattenspendende Bäume und Büsche mit Ackerbau oder Weidewirtschaft auf einer Fläche. Das macht landwirtschaftliche Systeme nicht nur widerstandsfähiger gegen Klimarisiken, sondern fördert auch Biodiversität. Wie moderne Anbausysteme erfolgreich in Baden-Württemberg etabliert werden können, beschäftigt Forschende der Uni Hohenheim immer intensiver. Seit 2023 vernetzt die Koordinationsstelle Agroforstsystem-Forschung (kAFo) interdisziplinäre Initiativen. Dabei entdeckten die Forschenden vor der eigenen Haustür einen wahren Schatz: Einen der ältesten laufenden Agroforst-Versuche in Deutschland!
Die Koordinationsstelle Agroforstsystem-Forschung (kAFo) wird seit Februar 2023 bis Ende 2025 (zweite Förderphase) mit insgesamt 260.000 € von der Eva Mayr-Stihl Stiftung gefördert und ist derzeit am Zentrum für Globale Ernährungssicherung & Ökosystemforschung angesiedelt. Seit der Gründung ist das Netzwerk auf insgesamt 12 Fachgebiete und eine ganze Reihe externe Partner angewachsen.
Es ist ein heißer Juli-Tag. Rund 35 Studierende der Universitäten Hohenheim und Freiburg stapfen gemeinsam mit ihren Dozent:innen über Felder der Versuchsstation Agrarwissenschaft am Standort Ihinger Hof in Renningen.
Die Sonne brennt, die Luft steht – doch plötzlich sorgt ein Streifen aus Hecken, Weiden und Walnussbäumen mitten im Weizenfeld für wohltuenden Schatten.
„Es ist ein Aha-Moment“, erklärt Michael Cormann von der Koordinationsstelle Agroforstsystem-Forschung. „Man kann noch so viel über die positiven Effekte lesen – man begreift es ganz anders, wenn man vor Ort spürt, wie sich die Gehölze auf das Mikroklima auswirken.“
Ein Langzeitversuch am Ihinger Hof erwacht dank der Koordinationsstelle aus dem Dornröschenschlaf. Bild: Veronika Geisler
Langzeitversuch erwacht aus Dornröschenschlaf
Tatsächlich führt die Exkursion die Studierenden zu einem ganz besonderen Ort: Es handelt sich um eine der ältesten Agroforst-Versuchsflächen in Deutschland. Doch bis vor Kurzem schlummerte dieser wertvolle Datenschatz nahezu unbemerkt.
„Der Versuch geht auf Pionierarbeit des ehemaligen Fachgebiets 'Allgemeiner Pflanzenbau' unter Prof. Dr. Wilhelm Clauphein † im Jahr 2007 zurück“, berichtet Jakob Hörl von der Koordinationsstelle. "Damals war Agroforst noch ein absolutes Nischenthema, und der Versuch verfiel später in eine Art Dornröschenschlaf."
Das Team am Ihinger Hof pflegte die Fläche jedoch eigenständig weiter und führte die Datenerhebung über 17 Jahre hinweg fort. Wiederentdeckt wurde die Versuchsfläche schließlich durch die Aktivitäten der Koordinationsstelle, die seit ihrer Gründung vor rund zwei Jahren Forschende unterschiedlicher Fachgebiete miteinander vernetzt.
„Heute ist das Interesse an Agroforst enorm", ergänzt Olef Koch, der die Daten vom Ihinger Hof auswertet und ebenfalls Teil der Koordinationsstelle ist. „Doch Bäume wachsen bekanntermaßen langsam. Was wir am Ihinger Hof vorgefunden haben, ist deshalb von unschätzbarem Wert. Als wir die Daten entdeckten, brach spontaner Jubel aus."
Tatsächlich sprechen die Langzeiteffekte für sich: Die Zahl der Regenwürmer und die mikrobielle Bodenmasse haben sich in den Agrofroststreifen seit 2008 ca. verdoppelt. Zudem wurden 31,5 Tonnen CO2 im Boden gebunden – ein aktiver Beitrag gegen die Klimaerwärmung.
Neues Mastermodul
Das große Potenzial von Agroforst lernen Studierende der Uni Hohenheim seit Sommersemester 2024 auch in einem neu geschaffenen Master-Modul kennen, das auf Initiative der Koordinationsstelle ins Leben gerufen wurde.
„Agroforst verbindet Land- und Forstwirtschaft auf einer Fläche und kann ganz unterschiedlich gestaltet sein“, erklärt Jakob Hörl. "Mögliche Varianten sind z. B.: Obst- oder Nussbäume zwischen Getreidefeldern, Weidehaltung unter schattenspendenden Bäumen, die hochwertige Hölzer für Furnier, Instrumenten- und Möbelbau liefern, oder Gehölzstreifen, die gegen Bodenerosion wirken und gleichzeitig Biomasse für die Energieversorgung bzw. für die stoffliche Nutzung in der Bioökonomie bereitstellen."
Die Vorteile sind überzeugend: Agroforstsysteme erweisen sich im Vergleich zu herkömmlichen Monokulturen als besonders widerstandsfähig gegenüber Klimarisiken. Sie fördern den Humusaufbau, binden klimaschädliches CO₂ im Boden und schaffen wertvolle Lebensräume für Tiere und Mikroorganismen. Darüber hinaus erschließen sie neue Einkommensquellen für Landwirt:innen.
Feldpraktikum Agroforst. Bild: Jakob Hörl.
Globale Vorbilder, regionale Tradition
Während Agroforst in den Tropen und Subtropen bereits seit Jahrzehnten ein Comeback feiert, beispielsweise in Kakao- und Kaffeeplantagen, findet die Methode mit voranschreitendem Klimawandel nun zunehmend auch in Deutschland neue Beachtung.
"Besonders in Baden-Württemberg gibt es eine wichtige Agroforst-Tradition", so Cormann: „In keinem anderen Bundesland finden sich mehr alte Streuobstwiesen. Leider galten sie lange Zeit als unwirtschaftlich und wurden vernachlässigt. Jedes Jahr geht deshalb ein beträchtlicher Anteil dieser Flächen verloren. Doch mit modernen Ansätzen können wir neue Agroforstsysteme schaffen, die den heutigen ökologischen und ökonomischen Anforderungen gerecht werden."
Wachsende Nachfrage aus der Praxis
Landwirtschaftliche Betriebe mit praxisnahen Lösungsansätzen beim Aufbau solcher Systeme zu unterstützen, ist ein wichtiges Ziel der Koordinationsstelle. Die Forschenden nehmen dabei ein stetig wachsendes Interesse an ihrer Arbeit wahr.
Großes Interesse beim Tag der offenen Tür. Bild: Julia Schneider.
"Unser Master-Modul war sofort ausgebucht und auch die öffentliche Vorlesungsreihe ‚Hohenheim goes Agroforscht‘ zog viele Zuhörer:innen an", berichtet Hörl. "Darüber hinaus erreichen uns immer wieder neue Anfragen von landwirtschaftlichen Betrieben, die am liebsten sofort loslegen möchten. Dazu trägt auch die Politik bei, die das Potenzial von Agroforst auf Bundesebene zunehmend erkennt und mittlerweile auch fördert. Ziel der Bundesregierung ist es, bis 2027 insgesamt 65.000 Hektar Agroforst in Deutschland zu etablieren. Die Landesregierung in Baden-Württemberg erweist sich derzeit jedoch leider noch als etwas zögerlich und verpasst damit eine Chance."
Forschungsprojekte von Weinbau bis Bodenkunde
Um das Ziel der Bundesregierung zu erreichen, ist aus Sicht der Forschenden eine fundierte wissenschaftliche Begleitung entscheidend. Dabei spielen regionale Besonderheiten eine wichtige Rolle.
„Die Bedingungen in Baden-Württemberg unterscheiden sich deutlich von anderen Regionen, etwa Nordostdeutschland“, erklärt Hörl. „Die kleinstrukturierten Betriebe, die Hanglagen im Schwarzwald und die Tradition im Obst-, Gemüse- und Weinbau bieten dabei ein einzigartiges Potenzial.“
Derzeit laufen an der Uni Hohenheim sieben Forschungsprojekte zum Thema Agroforst. Sie reichen von der Begleitung eines großangelegten Praxisprojekts im Naturpark Südschwarzwald über die Untersuchung des Potenzials im Weinbau bis hin zur Erforschung von Bodenmikroorganismen. Weitere Projektanträge befinden sich in der Vorbereitung.
Die Forschenden planen zudem eine stärkere Kooperation mit der Universität Freiburg. „Unsere agrar- und ernährungswissenschaftliche Expertise ergänzt sich perfekt mit dem dortigen Schwerpunkt im Bereich Forst- und Umweltwissenschaften“, so Cormann.
Ein Memorandum of Understanding zwischen den beiden Universitäten wurde im Juli 2024 unterzeichnet. Im März ist ein erster Kooperations-Workshop geplant. Langfristig könnte daraus ein Agroforst-Cluster für die gesamte Region entstehen mit weiteren Hochschulen als Partnern.
Hintergrund: Koordinationsstelle Agroforstsystem-Forschung
Die Koordinationsstelle wird seit Februar 2023 bis Ende 2025 (zweite Förderphase) mit insgesamt 260.000 € von der Eva Mayr-Stihl Stiftung gefördert und ist derzeit am Zentrum für Globale Ernährungssicherung & Ökosystemforschung angesiedelt.
Zu den Aufgaben der Koordinationsstelle zählt u.a. die landesweite Vernetzung von Forschenden, die Anbahnung von interdisziplinären Forschungsprojekten, die Erschließung neuer Versuchsflächen, die Einbindung von Landwirt:innen und weiterer Stakeholder sowie Öffentlichkeitsarbeit.
Seit Frühjahr 2023 wurden durch die Arbeit der Koordinationsstelle Drittmittel von knapp 1 Mio. € für die Uni Hohenheim eingeworben.
Die Koordinationsstelle arbeitet eng mit der sogenannten "Agroforst Core Group" zusammen, bestehend aus dem Zentrum für ökologischen Landbau sowie den Fachgebieten Bodenbiologie und Nachwachsende Rohstoffe in der Bioökonomie.
Seit der Gründung 2023 ist das Netzwerk auf insgesamt 12 Fachgebiete und eine ganze Reihe externe Partner angewachsen, die als Hohenheimer "Agroforst Hub" mit der Koordinationsstelle assoziiert sind.
Eine Zusammenfassung ihrer bisherigen Arbeit hat die Koordination in einer aktuellen Zwischenbilanz zusammengestellt.
Text: Leonhardmair