Sprache und Nahrung: Beides ist für den Menschen unverzichtbar. Spürt man ihrem Verhältnis in der Kulturgeschichte nach, offenbaren sich erstaunliche Zusammenhänge. Anlässlich des Wissenschaftsjahrs unternimmt der Stuttgarter Autor Philipp Schönthaler einen essayistischen Streifzug von der Steinzeit bis in die digitale Gegenwart. Teil 2 des Textes „Wie ich lernte in alle Richtungen abzumagern. Über Literatur und Ernährung“ ist nun als Audio-Version verfügbar.
Lesen – oder vorlesen lassen: Unter dem Titel „Bioökonomie – eine Reise in die Zukunftsliteratur“ bringt die Uni Hohenheim im Wissenschaftsjahr 2020|21 Forschung und Literatur zusammen. Der Autor Philipp Schönthaler wurde beauftragt, mit Textsequenzen aus den Bereichen Lyrik, Prosa oder Aphorismen einzelne Monatsthemen literarisch zu interpretieren.
Wie ich lernte in alle Richtungen abzumagern. Über Literatur und Ernährung
Was passiert, wenn sich die Welt so schnell verändert, dass sich das nicht mehr „verdauen“ lässt? Die Sprache versagt. So erging es europäischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern um 1900 angesichts der gewaltigen Umwälzungen der Moderne.
Die Worte „zerfielen mir im Mund wie modrige Pilze“ – lässt Hugo von Hofmannstahl 1902 den fiktiven Autor Lord Chandos niederschreiben und bringt damit die literarische „Sprachkrise“ auf den Punkt, die sich just in einer Zeit ereignet als Zeitungen zu Massenmedien werden und Schreibmaschinen in die Büros Einzug halten.
Dass er dafür eine Metapher aus dem Bereich der Ernährung wählt, dürfte kein Zufall sein. Ekel vor der Nahrung, Fasten, Hungern und Abmagern ziehen sich geradezu wie ein Leitmotiv durch modernistische Texte der Zeit: Der Geist nährt sich aus Sprache so wie sich der Körper aus Essbarem nährt.
Im ersten Teil des Essays setzt Autor Philipp Schönthaler bei den Höhlenmalereien der Steinzeit ein, um dem engen Verhältnis von Erzählung und Ernährung nachzuspüren. Teil 2 führt den Faden im frühen 20. Jahrhundert weiter – einer Zeit, in der den Menschen erstmals massenhaft gedruckte Worte begegnen und sie Sprache im Alltag als eine Art „Ding“ wahrzunehmen beginnen.
Zum Autor
Philipp Schönthaler, 1976 in Stuttgart geboren, interessiert sich für zeitgenössische, kapitalistisch bedingte Konformitätserscheinungen und deren Kehrseiten. „Survival in den 80er Jahren. Der dünne Pelz der Zivilisation“ (2016) analysiert anhand der Konjunktur von Überlebenshandbüchern die sozialen Katastrophen- und Angstphantasmen in der BRD. Der Erzählband „Vor Anbruch der Morgenröte“ (2017) eröffnet unter dem Untertitel „Leben und Dienste“ einen Werkzyklus, der sich mit neuen Technologien auseinandersetzt. Mit dem Roman „Der Weg aller Wellen“ erschien 2019 dessen Fortsetzung.