TV-Tipp: ARD-Doku (31.7.)
Fake-News-Experiment [27.07.17]
Wie einfach lässt sich über soziale Medien eine Falschmeldung verbreiten und politisch Stimmung machen? Der Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler Professor Wolfgang Schweiger und sein Team haben das für eine ARD-Doku vier Wochen lang selbst ausprobiert. Neben dem Erkenntnisgewinn geht es bei dem Praxis-Test vor allem um Aufklärung. Der Ansatz der Reportage sorgt allerdings auch für eine ethische Diskussion: Wie weit dürfen Wissenschaftler gehen, um die Öffentlichkeit für ein Thema zu sensibilisieren? Der Beitrag „Im Netz der Lügen – Der Kampf gegen Fake News“ ist am 31. Juli, 23:30 Uhr in der ARD zu sehen.
Wissenschaftliche Studien über die Verbreitung von Fake-News in sozialen Netzwerken gibt es bislang wenige. Für Prof. Dr. Wolfgang Schweiger, der Anfang des Jahres das vielbeachtete Buch „Der (des)informierte Bürger im Netz. Wie soziale Medien die Meinungsbildung verändern“ (Wiesbaden: Springer) veröffentlicht hat, ist jedoch klar: Das Ausmaß hat immense Züge angenommen, die eine ernste Gefährdung für die Demokratie darstellen.
„Soziale Netzwerk-Plattformen wie Facebook liefern ihren Nutzern eine personalisierte Auswahl von Nachrichten journalistischer und alternativer Medien. Diese Auswahl basiert auf persönlichen Präfenzen und wird durch Algorithmen ständig verbessert, d.h. noch stärker personalisiert, ohne dass sich die Leute dessen bewusst sind oder etwas davon merken. Sie bekommen hauptsächlich solche Beiträge angezeigt, die ihrer eigenen Meinung entsprechen“, so Schweiger.
Weiter verstärkt werde dies dadurch, dass sich Freude in sozialen Netzwerken tendenziell ähnlich sind und oft ähnliche Weltbilder aufweisen. Wer sich also überwiegend über Kanäle wie Facebook informiere, laufe Gefahr, in der viel zitierten Filterblase zu landen, wo auch halbwahre, verzerrte oder komplett falsche Nachrichten geglaubt werden und sich verbreiten, solange sie nur zum jeweiligen Weltbild passen, so der Hohenheimer Experte.
Experiment: Wissenschaftler produzieren Fake-News
Wahrheit oder Lüge? Selbst angehenden Medien-Profis fällt diese Unterscheidung nicht immer leicht. Im Rahmen der ARD-Dokumentation hat Prof. Dr. Wolfgang Schweiger zuerst in einem Hohenheimer Hörsaal einen Test durchgeführt: Er präsentierte knapp hundert Studierenden der Kommunikationswissenschaft eine Mischung aus Fakten und Fake-News. Das Ergebnis: Die Studierenden lagen mehrheitlich daneben.
Zum Thema |
Ist es ethisch vertretbar für ein Experiment im Rahmen einer TV-Reportage, Fake-News über soziale Netzwerke zu verbreiten – und erst nach einem Monat darüber aufzuklären? |
In der Reportage gingen die Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler um Schweiger schließlich noch einen Schritt weiter: Einen Monat lang veröffentlichten sie selbst produzierte Falschnachrichten auf einem Blog mit dem vielsagenden Titel „der-volksbeobachter.de“.
Mit Hilfe von vier ebenfalls neu eingerichteten Facebook-Profilen verbreiteten sie die Beiträge anschließend in flüchtlingskritischen Facebook-Gruppen.
Die Fake-News in dem Feld-Experiment behandelten vier Themen rund um die emotional diskutierte Frage zum Umgang mit Flüchtenden:
- Flüchtling schnappt Deutschem den Job weg
- Grüne wollen das ‚Café Mohrenkopf’ wegen des politisch unkorrekten Namens schließen
- „Gratis-Sex für Asylanten – Landratsamt zahlt!“
- Facebook-Gründer Mark Zuckerberg entschuldigt sich bei Flüchtling wegen der Hassflut auf Facebook
„Unsere Beiträge enthielten keine negativen Aussagen über Asylbewerber, sondern bezogen sich auf den Umgang der Deutschen mit dem Thema. Ebenso wurden keine konkreten Namen von Personen oder real existierenden Orten genannt“, ergänzt Schweiger.
Das Resultat nach einem Monat und ca. 60 Personenstunden Arbeitsaufwand: Obwohl sämtliche Fake-Nachrichten bereits mit wenig Recherche als solche zu entlarven gewesen wären, z.B. aufgrund der frei erfundenen Ortsnamen, wurden offenbar nur sehr wenige Personen stutzig. Der Beitrag zu Gratis-Sex für Asylbewerber erreichte mit rund 11.000 Facebook-Nutzern die größte Reichweite.
„Das Ziel des Experiments bestand darin, praktisch abschätzen zu können, wie viel Aufwand nötig ist, um auf Facebook solche Meldungen zu verbreiten und wen und wie viele Nutzer man damit erreicht“, erklärt Wolfgang Schweiger. „Nach Ablauf eines Monats haben wir dieselben Kanäle genutzt, um über die Falschnachrichten und das Experiment aufzuklären. Teil dieses penibel geplanten und durchgeführten ‚Debriefings‘ war auch der Apell an die Nutzer, Meldungen in sozialen Netzwerken generell zu hinterfragen und Quellen zu prüfen.“
Ethisches Dilemma
Ob alle 11.000 Facebook-Nutzer, die die Fake-News des Experiments gelesen haben, am Ende auch von der Aufklärungs-Kampagne erreicht wurden, kann der Kommunikationswissenschaftler dabei nicht garantieren. Er muss sich deshalb auch mit dem Vorwurf auseinandersetzen, das Experiment könnte flüchtlingsfeindliche Tendenzen weiter bestärkt haben.
Hintergrund: Ethik in der Forschung |
Nur in wenigen Ausnahmefällen, z.B. bei Tierversuchen, ist es gesetzlich verpflichtend im Vorfeld eine Ethikkommission einzubeziehen. Für den Großteil der Forschungsvorhaben gibt es keine verbindlichen Vorgaben.
Forscherinnen und Forscher entscheiden deshalb zumeist selbst, ob sie sich eine ethische Beurteilung einholen. Grund für die geringe Reglementierung ist die Freiheit der Forschung, die durch die Verfassung garantiert wird. An der Uni Hohenheim ist die Senatskommission Forschung Anlaufstelle für ethische Fragen. |
Uni-Rektor Stephan Dabbert bewertet das Experiment kritisch: „Die Erforschung des Phänomens Fake News findet meine volle Unterstützung. Schließlich gehört es zu den Aufgaben der Universität, sich neuen Trends zu stellen, um möglichst auch fundierte Lösungen für neue gesellschaftliche Herausforderungen zu finden. Der Ansatz, dazu selbst Falschmeldungen in die Welt zu setzen, halte ich jedoch für grenzwertig. Ich hätte es für notwendig gefunden, vor der Durchführung des Versuches die Ethik-Kommission einzuschalten. Und ich habe Zweifel, ob diese zu einer positiven Stellungnahme gekommen wäre.“
Aus Sicht von Schweiger bewegt sich der Test hingegen gerade noch im gängigen Rahmen experimenteller Feldstudien. Aus methodischen Gründen könnten Personen dabei oft nicht vorab über den Versuch aufgeklärt werden, da dies ihr natürliches Verhalten verzerren würde. Zahlreiche sozialwissenschaftliche Fragestellungen ließen sich grundsätzlich nur verdeckt untersuchen.
„In der Forschung wissen wir seit Jahrzehnten, dass Menschen ihre politische Meinung keinesfalls durch eine einzelne Nachricht ändern“, so Schweiger. „Mit den Fake-News haben wir ca. 11.000 Facebook-Nutzer erreicht, die zum größten Teil bereits zuvor flüchtlingskritisch eingestellt waren. Gegenüber der realen Flut von Falschmeldungen sind die Auswirkungen unseres Experiments aus meiner Sicht vernachlässigbar.“
Bürgerinnen und Bürger über die millionenfache Verbreitung von Fake News und die gezielte Manipulation der politischen Meinungsbildung besser aufzuklären, hält Schweiger für dringend geboten: „Der ausschlaggebende Grund, diesen Praxis-Test durchzuführen, war für mich, dass wir über die ARD-Reportage die Chance haben, eine sehr große Zahl von Menschen zu erreichen. Unser Vorgehen halte ich in diesem Kontext deshalb auch für angemessen.“
Mehr zum Thema im Online-Kurier:
Selbst ein Bild machen:
Die Reportage „Im Netz der Lügen – Der Kampf gegen Fake News“ ist am 31. Juli, 23:30 Uhr in der ARD zu sehen.
Text: Leonhardmair