Rektor-Interview zum Aktionstag (30.10.)

Warum demonstrieren Sie, Herr Dabbert?  [23.10.19]

„Alle vors Schloss! Schluss mit Unterfinanzierung!“: Die gelben Banner hängen schon – nach der Studierenden-Demo vergangene Woche, wollen Beschäftigte und Studierende der Uni Hohenheim beim landesweiten Aktionstag am 30.10. gemeinsam Flagge zeigen. Landesweit sind Demos in 8 Städten angekündigt. Auch der Hohenheimer Uni-Rektor protestiert mit. Zu wenig Stellen für gute Betreuung, Stau bei Digitalisierung & Gebäudesanierungen, drohendes Aus für Projekte wie Humboldt reloaded – Lösungen dafür seien Stand jetzt nicht in Sicht, sagt Stephan Dabbert im Interview mit dem Online-Kurier: "Das Land muss kräftig nachlegen!"


U.a. ruft die Verfasste Studierendenschaft, der akademische Mittelbau und der Rektor zur Teilnahme am Aktionstag auf. Eine Info-Veranstaltung des akademischen Mittelbaus findet am 28.10., ab 17 Uhr im HS 33 statt.

Programm Aktionstag (30.10.):

  • *** UPDATE *** 8:00 Uhr: Trauermarsch für die Bildung. Treffpunkt, Garbenstraße 9 (Agrartechnik)
  • 9:00 Uhr (Teil 1: HOHENHEIM): Kundgebung vorm Schloss (Südseite), mit Rektor, Studierendenvertretung, Akademischem Mittelbau, u.a. / Termin gilt als „Informationsveranstaltung des Rektors“, Teilnahme während der Arbeitszeit ist möglich
  • 11:00 Uhr (Teil 2: STUTTGART): Zentrale Protestmarsch, Treffpunkt an der Uni Stuttgart, Keplerstraße 17, zwischen Uni-Hochhäusern K1 und K2, anschließend: Kundgebung vor Ministerium und Landtag

Interview

Herr Dabbert, Sie rufen alle Beschäftigten und Studierende zur Teilnahme am Aktionstag auf. Für Beschäftigte gilt die Info-Veranstaltung als Arbeitszeit. Warum ist das Thema so wichtig?

Es geht um die Zukunft der Universitäten. Es ist unsere Chance, gemeinsam ein starkes Signal an die Landesregierung schicken für gute zukunftsorientierte Bedingungen für Forschung und Lehre – und gegen die strukturelle Unterfinanzierung, unter der wir leiden.

Im Vorfeld der Verhandlungen zum Finanzierungsvertrag haben die Unis dazu klare, detailliert begründete Forderungen aufgestellt. Diese Forderungen waren nicht überzogen, sondern bereits mit einer großen Portion politischem Realismus und mit Rücksicht auf die Möglichkeiten des Landes gestellt. Real würden wir auch bei vollständiger Erfüllung all dieser Forderungen immer noch deutlich weniger Geld pro Studienplatz als vor 20 Jahren bekommen.

Nach langen, schwierigen Verhandlungen ist das Land zwar zum Entgegenkommen in einigen Punkten bereit. Doch eine wesentliche Forderung bleibt unerfüllt: Eine einmalige Erhöhung der Grundfinanzierung um 1000 € pro Studentin bzw. Student, um jetzt die Finanzlücke, die in den letzten Jahrzehnten entstanden ist, zumindest ein Stück weit zu schließen.

Anstelle der dafür notwendigen 172 Mio. Euro pro Jahr ist das Land nur dazu bereit, für alle Universitäten insgesamt 8 Mio. Euro im Jahr zusätzlich geben und das auch nur befristet für 5 Jahre. Ein möglicher Aufwuchs um weitere 8 Millionen steht dabei noch unter Haushaltsvorbehalt. Das ist zu wenig!

Die Unis fordern, dass das Land noch einmal 100 Mio. € pro Jahr für jedes der kommenden 5 Jahre ab 2021 drauf legt. Das ist natürlich kein Pappenstiel. Wie begründen sie diese Forderungen?


Die Unis haben in den letzten zwei Jahrzehnten auf Wunsch des Landes erheblich mehr Studierende aufgenommen, aber die Finanzierung hielt damit bei Weitem nicht Schritt. Rechnet man Tarif-Erhöhungen und Inflation ein, erhalten die Landesunis heute pro Studentin bzw. Student real 34% weniger als noch zur Jahrtausendwende.

Die Herausforderungen wachsen auf der anderen Seite ständig, etwa im Bereich Digitalisierung. Während Unis im Ausland mit großen Schritten vorangehen, haben wir teilweise Mühe unsere grundlegende IT-Infrastruktur am Laufen zu halten und den Campus mit W-LAN zu versorgen.

Doch die Liste ist lang: Wir haben allein in Hohenheim einen Sanierungsstau von mehreren hundert Millionen Euro bei den Gebäuden. Wir haben große und zunehmende Schwierigkeiten die notwendige moderne Infrastruktur für Forschung und Lehre wie zum Beispiel Literatur, Datenbanken und aktuellste Geräte zu finanzieren.

Die Studierendenschaft ist heute so vielfältig wie noch nie. Darauf müssen wir uns in der Lehre einstellen, aber auch mit erweiterten Orientierungs- und Unterstützungsangeboten, inkl. Mathebrückenkursen, Schreibkursen und Co. Das alles sind Daueraufgaben. Der wachsende Anteil befristeter und projektgebundener Gelder, schafft jedoch eine schwierige Stellensituation im Mittelbau.

Man darf bei all dem nicht vergessen: Forschung und Lehre an den Universitäten sind wichtig für die Gesellschaft – es geht uns also nicht nur um unser Eigeninteresse. Die Unis bilden dringend benötigte Fachkräfte aus und tragen so und durch die Innovationskraft, die sie befördern, ganz erheblich zur Wirtschaftskraft des Landes bei!

Auch Zukunfts-Projekte wie der Klimaschutz lassen sich ohne die Universitäten als Vorreiter kaum realisieren. Denn in den Universitäten wird die notwendige Forschung betrieben und bei uns werden die jungen Menschen ausgebildet, die sie anwenden und weiterentwickeln.

Die Steuereinnahmen sind nach wie vor gut, nur ihr Anstieg wird nicht mehr so stark verlaufen wie in den letzten Jahren. Das Studierendeninteresse lässt keine massiven Rückgänge der Studierendenzahlen erwarten. Es ist also an der Zeit, für eine verlässliche und ausreichende Grundfinanzierung der Hochschulen zu sorgen.

Bislang zeigt sich das Land hart und verweist auf die Schuldenbremse. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass die heiße Phase Verhandlungen auf die vorlesungsfreie Zeit im Sommer gelegt wurde. Was kann der Protest denn jetzt überhaupt noch bewirken?

Die Situation ist in der Tat schwierig, aber sie ist nicht hoffnungslos. Solange der Haushalt noch nicht verabschiedet ist, können wir Einfluss nehmen.

Wenn das Land aus den regulären Steuereinnahmen im Haushalt tatsächlich keine Möglichkeit sehen sollte: Es gibt außergewöhnliche, ungeplante Einmaleinnahmen, aus denen dies möglich ist. Das Land erwartet Diesel-Strafzahlungen von Daimler, Bosch und Porsche in Höhe von größenordnungsmäßig 1 Mrd. Euro. Alle Universitäten zusammen fordern davon für die kommenden 5 Jahre insgesamt 500 Millionen, also 100 Millionen pro Jahr.

Neben der einmaligen Budget-Erhöhung hatten die Unis auch einen jährlichen Aufwuchs von 3% gefordert. Wie steht es mit diesem Punkt?

Diese Forderung ist für die Unis besonders wichtig: Denn andernfalls öffnet sich die Schere auch in den kommenden Jahren durch die Inflation automatisch wieder weiter. Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen haben seit vielen Jahren eine entsprechende Regelung durch Bund und Land zugestanden bekommen.

Das Land ist in diesem Punkt einen Schritt auf die Unis zugekommen, und sagte nominell eine Erhöhung um 3% zu. Allerdings liegt der Teufel hier im Detail. So wird die Erhöhung nicht auf die gesamte Grundfinanzierung bezogen, sondern es werden gewisse Summen vorher abgezogen. Unterm Strich sorgt das Kleingedruckte dafür, dass uns de facto pro Jahr nach Ausfinanzierung der Stellen ein Plus von 1,2% bleibt. Wir hatten eine günstigere Regelung gefordert.

Das ist trotzdem ein fühlbarer Fortschritt zur bisherigen Situation, den ich anerkennen will. Wenn das Land dies langfristig durchhält, also nicht nur 5 sondern 10, 15 oder 20 Jahre wird sich die Situation schrittweise wieder erholen. Kurzfristig hilft es uns aber nicht wirklich aus der Klemme.

Die Uni Hohenheim bangt außerdem um das Erfolgsprojekt „Humboldt reloaded“, das derzeit aus befristeten Bundesmitteln finanziert wird.


Leider gibt es auch hier keine guten Nachrichten. Das Land lehnt unsere Forderung ab, die auslaufenden Bundesprojekte aus dem Qualitätspakt Lehre weiter zu finanzieren. Diese Projekte haben das Ziel, die Qualität der Lehre spürbar zu erhöhen, trotz Überfüllung. Dies gelingt derzeit auch sehr gut, wie Humboldt reloaded, aber auch erfolgreiche Projekte an anderen Unis zeigen.

Nach derzeitigem Verhandlungsstand ist für diese Projekte jedoch zukünftig keine Finanzierung mehr vorgesehen. Sie werden wegfallen oder können allenfalls noch auf Sparflamme laufen, wenn die Universität dafür an anderen Stellen ihres Haushaltes spart.

Es gibt also Gründe genug, am 30.10. gemeinsam ein Zeichen zu setzen. Unsere Botschaft ans Land: Universitäten sind keine Lernfabriken, die Absolventen zu stetig sinkenden „Stückkosten“ produzieren!

Wir werden berichten! Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Leonhardmair

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