Ein Kaffee mit... Korinna Huber, Prorektorin für Studium & Lehre
Rote Karte für Antisemitismus, Rassismus & Co [23.02.24]
Prorektorin Prof. Dr. Korinna Huber will keine Gewalt und keine Einschüchterungsversuche auf dem Campus dulden. Bild: Uni Hohenheim.
Antisemitische Vorfälle an Berliner Unis schockieren die Republik. Wie würde die Uni Hohenheim in vergleichbaren Fällen reagieren? Und welche Handhabe gibt es gegen Rassismus, sexuelle Belästigungen oder Pöbeleien im Hörsaal? Ein Kaffee mit der Prorektorin für Studium und Lehre, Prof. Dr. Korinna Huber.
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Hintergrund:
Zwei aktuelle Vorfälle an Berliner Unis werfen ein Schlaglicht auf antisemitistische Tendenzen an deutschen Hochschulen:
- Bei einer Podiumsdiskussion an der Humboldt-Universität haben Studierende eine israelische Richterin niedergebrüllt, sodass die Veranstaltung abgebrochen und die Richterin aus dem Saal eskortiert werden musste.
- Ein jüdischer Student der FU Berlin wurde mutmaßlich von einem propalästinensischen Kommilitonen auf offener Straße krankenhausreif geschlagen.
Die Hochschulen reagierten mit befristeten Hausverboten. Jüdische Studierende fühlen sich dadurch allerdings nicht ausreichend geschützt.
Interview
Kontakt Ordnungsausschuss |
Alle Studierende und Beschäftigten können sich per Mail an den Ordnungsausschuss wenden: Die Nachrichten werden ausschließlich von der Prorektorin für Lehre gelesen und vertraulich behandelt.
Der Ordnungsausschuss wird tätig bei gravierenden Ordnungsverstößen von Studieren, z.B. durch Gewalt, Einschüchterung, sexuelle Belästigung oder massive Störungen. |
Frau Huber, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Medienberichte über die antisemitischen Vorfälle in Berlin lesen?
Ich bin wütend und besorgt.
Universitäten sind Orte des friedlichen, aber offenen und kritischen Austausches. Wissenschaft lebt von der Vielfalt, von unterschiedlichen Positionen und von der konstruktiven Diskussion. Dabei zählt allein das bessere Argument. Gewalt und Einschüchterungen jedweder Art haben auf einem Campus nichts verloren.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Eine – auch einseitige – Stellungnahme zu politischen Ereignissen ist legitim. Man kann also beispielsweise die Politik Israels kritisieren. Wer allerdings etwa das Existenzrecht Israels bestreitet, stellt sich außerhalb unserer Rechtsordnung.
Wir alle dürfen es nicht zulassen, dass Kritik in Hass umschlägt. Dazu verpflichtet uns unsere Geschichte, aber auch unser Selbstverständnis als Universität. Was in Berlin geschehen ist, ist daher vollkommen inakzeptabel und muss uns alle alarmieren.
Offensichtlich sind die Vorfälle nur die Spitze des Eisbergs. Jüdische Studierende in Berlin berichten auch über Droh-Mails und Pöbeleien auf dem Campus. Einige trauen sich gar nicht mehr an die Uni. Ist Ihnen in Hohenheim Vergleichbares bekannt?
Was Sie beschreiben, ist schrecklich. Wir haben aktuell eine uni-interne Abfrage dazu gestartet. Bisher gibt es keine Meldungen über antisemitische Vorfälle in Hohenheim. Doch zurücklehnen können wir uns ganz sicher nicht.
Die Vorfälle in Berlin stehen in meinen Augen stellvertretend für eine zunehmende Verrohung unserer Gesellschaft insgesamt, die auch vor den Universitäten nicht Halt macht. Während meiner langjährigen Amtszeit als Prorektorin musste ich das leider allzu oft erleben.
Einschüchternde Mails, rassistische Äußerungen unterschiedlichster Couleur, Pöbeleien im Hörsaal, sexuelle Belästigungen: Dies alles findet auch auf unserem Campus immer wieder statt. Nach wie vor handelt sich um Einzelfälle, aber wir sollten aufmerksam bleiben.
Es ist deshalb wichtiger denn je, dass wir als Universität klare Kante zeigen. Wir stehen für unsere Werte ein und ergreifen, wenn nötig, auch Konsequenzen.
Neben den Vorfällen selbst sorgte in Berlin ja auch die milde Reaktion der Unis für Diskussion. Würde die Uni Hohenheim denn in vergleichbaren Fällen mehr tun, als ein 3-monatiges Hausverbot zu verhängen?
Dazu müsste ich die Hintergründe genauer kennen, aber ich vermute ja. Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg gibt uns auf jeden Fall mehr Möglichkeiten an die Hand - bis hin zur Exmatrikulation. Jede Reaktion muss dabei rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen folgen.
Wichtig sind aber nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen an sich. Wir brauchen auch eingespielte Verfahren, damit wir nach entsprechenden Vorfällen tatsächlich schnell, konsequent und rechtssicher reagieren können. An der Uni Hohenheim haben wir die Voraussetzung dafür letztes Jahr geschaffen.
Bei gravierendem Fehlverhalten von Studierenden kann nun ein neu eingerichteter Ordnungsausschuss konsultiert werden. Er hat weitreichende Befugnisse, kann autonom agieren und Ordnungsmaßnahmen verhängen. Je nach Schwere des Vorfalls reichen diese von Verwarnungen über den Ausschluss aus einzelnen Lehrveranstaltungen oder ein befristetes Hausverbot bis hin zur Exmatrikulation.
Selbstverständlich wird niemand wegen einer unbedachten Äußerung sofort exmatrikuliert. Klar ist auch: Beide Seiten müssen angehört und die Hintergründe sorgfältig geprüft werden. Doch wir schieben nichts auf die lange Bank und wir machen Ernst.
Wie setzt sich der neue Ordnungsausschuss zusammen?
Der Vorsitz liegt bei der Prorektorin bzw. beim Prorektor für Studium und Lehre. Die Gleichstellungsbeauftragte ist ebenfalls kraft Amtes vertreten. Außerdem benennt der Senat jeweils ein Mitglied aus der Gruppe der Professor:innen, der akademischen Beschäftigten, der Promovierenden und der Studierenden.
Die Kommission wurde gerade erst frisch eingerichtet und es gab noch keinen offiziellen Einsatz. Vor Einsetzen der Kommission wurde eine Ordnungssatzung ausgearbeitet und Verfahren festgelegt, damit wir im Ernstfall schnell handlungsfähig sind.
Die Vorfälle in Berlin wollen wir nun für eine Art ersten "Probedurchlauf" nutzen, um im Ausschuss gedanklich durchzuspielen, wie die Uni Hohenheim mit vergleichbaren Fällen umgehen würde. Tatsächlich steckt der Teufel ja wie so oft im Detail.
Können Sie das erläutern?
Vergleichsweise klar erscheint mir die rechtliche Ausgangslage im Fall der Diskussionsveranstaltung mit der israelischen Richterin. Wenn Studierende den Ablauf einer Hochschulveranstaltung oder den Uni-Betrieb auf dem Campus im Allgemeinen stören, sei es durch physische Gewalt, Drohungen oder sonstige Blockaden, können wir Ordnungsmaßnahmen verhängen.
Hochschulrechtlich komplizierter stellt sich der Überfall auf den jüdischen Studenten dar, weil er außerhalb des Campus verübt wurde. Meiner Meinung nach wäre eine Exmatrikulation in so einem Fall möglicherweise erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung zulässig, der Einzelfall wäre aber dann zu prüfen. Wir können allerdings immer ein befristetes Hausverbot aussprechen, ggfs. auch mehrmals. Und wir können diese Zeit nutzen, um weitere Schritte vorzubereiten.
An dieser Stelle möchte ich die Lehrenden gerne daran erinnern, dass sie in ihren Veranstaltungen auch selbst vom Hausrecht Gebrauch machen können. Wenn Studierende ausfällig werden und die Lehre massiv stören, können Lehrverantwortliche sie unmittelbar des Hörsaals verweisen. Dazu ist keine vorherige Rücksprache notwendig. Wir müssen uns nicht alles bieten lassen - und sollten das definitiv auch nicht tun!
Wie steht es mit Vorfällen in Studierendenwohnheimen?
Das ist eine relevante Nachfrage, denn tatsächlich haben uns im Verlauf der Jahre gerade aus diesem Umfeld mehrfach Berichte über Übergriffe verschiedener Art erreicht. Gerade internationale Studierende, die wenig über die hiesige Kultur und die geltenden Gesetze wissen, können leichter zum Opfer werden. Deshalb verdienen sie unseren besonderen Schutz.
Hochschulrechtlich gesehen sind die Wohnheime allerdings ein weiterer Spezialfall. Denn sie gehören nicht zur Universität, sondern werden vom Studierendenwerk verwaltet. Der Ordnungsausschuss kann also keine Kündigung des Mietverhältnisses o.ä. anordnen. Aber er kann sich dennoch mit diesen Fällen befassen und auf dieser Grundlage kann die Uni-Leitung dann gezielt Gespräche mit dem Studierendenwerk führen.
Natürlich kann man sich mit Beschwerden auch immer direkt an das Studierendenwerk wenden.
Wie kann ich den Ordnungsausschuss anrufen? Und in welchen Fällen sollte ich das tun?
Der Ausschuss kann von allen Uni-Angehörigen, also von allen Studierenden und Beschäftigten, direkt per Mail kontaktiert werden. Er wir tätig, wenn Studierende gegenüber anderen Uni-Angehörigen übergriffig geworden sind oder den Betrieb der Universität massiv stören. Hierfür haben wir eine neue Funktionsmailadresse eingerichtet: ordnungsausschuss@uni-hohenheim.de
Diese Nachrichten können nur von der Prorektorin bzw. dem Prorektor für Studium & Lehre gelesen werden. Diese:r veranlasst dann die nächsten Schritte. Alle Mails werden vertraulich behandelt. Anonyme Hinweise an den Ordnungsausschuss sind zwar möglich, aber ein offizielles Verfahren kann nur eröffnet werden, wenn Uni-Angehörige bereit sind, vor der Kommission über den Fall zu sprechen.
Wichtig zu betonen ist: Generell sollten Probleme zwischenmenschlicher Art, mit welchen Inhalt auch immer, zunächst direkt untereinander gelöst werden. Versuchen Sie darüber zu sprechen und Verständnis füreinander zu erzeugen!
In Fällen, die nicht direkt zu lösen sind, empfiehlt es sich weiterhin, zuerst Kontakt mit den regulären Anlaufstellen aufzunehmen. Diese können individuelle Beratung leisten, und sie helfen auch bei der Entscheidung, ob der jeweilige Fall an den Ordnungsausschuss gemeldet werden sollte.
Der Ausschuss ergänzt also unser bestehendes breites Netzwerk an Kontaktpersonen und Beratungsstellen. Er beschäftigt sich ausschließlich mit besonders gravierenden Fällen und stellt bei Fehlverhalten von Studierenden sozusagen unsere letzte Instanz dar.
Für Ordnungsverstöße, die von Beschäftigten ausgehen, ist der Ausschuss grundsätzlich nicht zuständig. Diese werden nach dem Dienst- bzw. Beamtenrecht geahndet. Hierfür gibt es bereits etablierte Verfahren. Anlaufstellen sind u.a. die Personalabteilung und der Personalrat.
An der Uni gibt es eine Vielzahl von Anlaufstellen, aber vermutlich sind diese nicht allen Uni-Angehörigen bekannt. Und manchmal fällt es auch schwer, sich in diesem "Dschungel" zu orientieren ...
Sie sprechen einen wichtigen Punkt an, den wir Rahmen unseres Diversity-Audits "Vielfaltsgerechte Hochschule" angehen wollen. Bis zur nächsten Re-Auditierung wollen wir auf der Homepage eine bessere Orientierung über alle Beratungsstellen schaffen. Die Anlaufstellen, inklusive des neuen Ordnungsausschusses, sollen durch Kommunikationsmaßnahmen auch besser bekanntgemacht machen.
Gerne gebe ich an dieser Stelle einen kurzen Überblick:
Alle Studierende und Beschäftigte sind im Gleichstellungsbüro an der richtigen Adresse, wenn es um Diskriminierung, Rassismus oder sexuelle Belästigung geht. Nicht-wissenschaftliche Beschäftigte können sich auch an die Beauftragte für Chancengleichheit wenden. Darüber hinaus gibt es in der Personalabteilung eine Beschwerdestelle für Diskriminierung.
Niedrigschwellige Anlaufstellen von Studierenden für Studierende sind der AStA, die Fachschaften und das anonyme Zuhör-Telefon "Nightline Hohenheim". Wer psychologische Beratung sucht, kann sich an die Zentrale Studienberatung wenden oder an die psychotherapeutische Beratung des Studierendenwerks.
Zusätzlich dazu ist für unsere internationalen Studierenden und Beschäftigten das Akademische Auslandsamtamt eine wichtige erste Anlaufstelle bei Problemen aller Art.
Generell gilt: Alle Beratungsstellen sind untereinander vernetzt und helfen bei Bedarf die richtige Kontaktperson zu finden. Studierende wenden sich im Zweifelsfall einfach an die Zentrale Studienberatung.
Ihr Anliegen wird dabei immer vertraulich behandelt. Bitte haben Sie also keine Scheu, sich Unterstützung zu holen, wenn Sie Gewalt, Einschüchterung, Diskriminierung, Rassismus oder sexuelle Belästigung auf dem Campus erleben. Die Universität ist an ihrer Seite!
Wir werden berichten! Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Leonhardmair