Er fängt die Energie der Sonne ein [02.08.24]
Der Energieträger Wasserstoff ist ein ganz zentrales Element der Forschung von Prof. Dr. Moritz Kühnel. Um ihn zu produzieren, nutzt er Sonnenlicht – und zum Beispiel Plastikmüll. Mit sogenannter Künstlicher Photosynthese will er die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen reduzieren und neue Rohstoffquellen erschließen. Seit 1. März 2024 leitet er das Fachgebiet Anorganische Chemie an der Universität Hohenheim.
Dass er eigentlich mal Schauspieler werden wollte, könnte Prof. Dr. Kühnel in seinen Vorlesungen zugutekommen. Denn er ist überzeugt: Eine Vorlesung muss auch ein bisschen eine Show sein. Ganz besonders in der Chemie.
Herr Kühnel, Ihr Fachgebiet hieß vor Ihrer Zeit in Hohenheim „Bioanorganische Chemie und chemische Evolution“ und wurde zu „Anorganische Chemie“. Was ändert sich?
Vieles! Ich finde es gut, dass die Bezeichnung nicht mehr so spezifisch ist. Sich auf eine spezielle Nische zu beschränken, kann die Forschung ausbremsen. Eine breite Herangehensweise ermöglicht es, Ergebnisse aus verschiedenen Bereichen zusammenzuführen, und die Umbenennung reflektiert nun diesen interdisziplinären Charakter.
Chemische Evolution, wie zuvor bei Herrn Strasdeit, ist bei uns nicht mehr im Fokus. Wir versuchen, kurz gesagt, die Verbrennung fossiler Energieträger umzukehren. Fossile Rohstoffe sind eigentlich sehr alte Biomasse, die durch die Photosynthese der Pflanzen entstanden ist und über Millionen von Jahren unter hohen Temperaturen und Drücken in Öl, Kohle und Erdgas umgewandelt wurde. Die darin enthaltene Energie ist also letztendlich Sonnenenergie, die in Form chemischer Bindungen gespeichert wurde. Und davon verbrauchen wir mehr, als nachproduziert werden kann.
Und wie lässt sich dieser Vorgang umkehren?
Unser Ansatz ist die sogenannte Künstliche Photosynthese. Die Idee besteht darin, mit Hilfe von Sonnenlicht energiereiche chemische Verbindungen zu erzeugen und so die Energie zu speichern. Dazu brauchen wir zum einen Materialien, die Licht absorbieren – die Pflanze hat dafür Chlorophyll. Und zum anderen Katalysatoren, die die dabei entstehenden Ladungen umsetzen – die Pflanze hat dafür Enzyme. So können wir aus Biomasse, Kohlendioxid oder Abfall wertvolle Stoffe wie Wasserstoff oder organische Chemikalien erzeugen. Das funktioniert ganz ohne fossile Rohstoffe, so dass wir damit die Abhängigkeit von diesen reduzieren und nachhaltige Ressourcen erschließen können.
Diese Arbeit erfordert ein breites Spektrum an Wissen und Fähigkeiten, da sie nicht auf die Chemie beschränkt ist. So braucht man etwa ein Verständnis dafür, wie die natürliche Photosynthese funktioniert, das erfordert Kenntnisse in der Biologie. Und man muss wissen, wie Stoffe mit Licht interagieren.
Das klingt nach Physik…
…ja, das ist physikalische Chemie, die ich übrigens im Studium gar nicht mochte. Aber um unsere Forschungsziele zu erreichen, ist auch die physikalische Chemie unerlässlich. Außerdem ist die anorganische Chemie von Bedeutung. Sie es ermöglicht es uns, Materialien zu entwickeln, die Licht aufnehmen und in chemische Energie umwandeln können.
Alle neuen Profs... |
---|
Für das alles muss man viel lernen, aber die Arbeit ist auch sehr abwechslungsreich. Für mich persönlich ist genau diese Vielfalt das Spannende an meiner Forschung.
Sie suchen also nach Stoffen, die Licht absorbieren. Warum verwenden Sie nicht die vorhandenen Halbleiter?
Viele Halbleiter, wie Cadmiumsulfid, weisen problematische Eigenschaften auf. Cadmium ist krebserregend, damit können wir wohl kaum Umweltprobleme lösen. Außerdem ist es leicht, lichtabsorbierende Stoffe für die Sahara zu entwickeln, aber es soll ja auch in unseren Breiten funktionieren. Die Stoffe sollen außerdem lange haltbar und kostengünstig sein. Wir arbeiten mit nachhaltigen Katalysatoren, wie Kohlenstoffnitrid, das aus Biomasse hergestellt werden kann.
Sie nutzen das Sonnenlicht, aber Sie nehmen kein Solarpanel…
…sondern nutzen die sogenannte Photokatalyse. Bleiben wir erst mal bei den Solarzellen: Wenn Licht darauf fällt, erzeugt der Halbleiter positive und negative Ladungsträger. Dadurch entsteht ein Stromfluss zwischen Plus und Minus. Bei der Photokatalyse verwenden wir auch Stoffe, die Licht absorbieren und Ladungsträger erzeugen. Aber im Gegensatz zur Stromerzeugung werden diese Ladungsträger für elektrochemische Reaktionen genutzt – hier kommt also die Elektrochemie ins Spiel.
Ein Beispiel dafür ist die Reduktion von Wasser zu Wasserstoff. Wasserstoff ist ein energiereiches Molekül und ein wichtiger chemischer Energieträger. Viel Interesse geweckt hat unsere Forschung zur Erzeugung von Wasserstoff aus Plastikabfällen, der beispielsweise im Meer treibt. Aus Abfällen werden so wertvolle Stoffe. Damit würde es sich auch wirtschaftlich lohnen, den Plastikmüll einzusammeln.
Und das würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie arbeiten dabei noch im Labormaßstab?
Ja, in kleinen Gläschen mit Farbstoff, der Licht absorbiert, und Nanopartikeln, die mit Hilfe des absorbierten Lichts Wasserstoff erzeugen. Es ist also alles in einem einzigen System.
Eine weitere Anwendung ist die Kohlendioxid-Umwandlung. Wir können das Sonnenlicht nutzen, um aus Kohlendioxid energiereiche Substanzen wie Ameisensäure oder Kohlenmonoxid herstellen. Letzteres ist ein wichtiger Rohstoff in der chemischen Industrie, der derzeit aus Erdgas gewonnen wird. Wir speichern also Sonnenenergie und stellen Stoffe her, die man gebrauchen kann.
Fällt das unter das Schlagwort Carbon Capture?
Carbon Capture ist ein zwiespältiges Thema. Der Begriff bezieht sich eigentlich nur auf das Abscheiden von Kohlendioxid aus der Luft. Das Problem ist: Was machen wir dann mit dem abgeschiedenen Kohlendioxid? Es einfach nur in den Boden zu pumpen erinnert mich eher an eine Mülldeponie – ein Konzept, das wir eigentlich überwinden wollen. Daher finde ich den Ansatz des Carbon Capture and Utilization (CCU) interessanter. Hier wird das Kohlendioxid für verschiedene Zwecke genutzt.
Fällt Batterietechnik dann auch in Ihren Bereich? Das ist ja auch eine chemische Speicherung von Spannung.
Das Thema Batterien ist sehr spannend. Vor allem Lithium-Ionen-Akkus haben eine sehr hohe Effizienz und können Strom fast verlustfrei aufnehmen, speichern und wieder abgeben. Das Problem ist, dass Batterien groß und schwer sind. Selbst bei einem modernen Tesla ist ein erheblicher Anteil des Gewichts die Batterie. Will man die Reichweite erhöhen, braucht man noch mehr Batterien, was wiederum das Gewicht erhöht – ein Teufelskreis. Deswegen ist Fliegen mit Batterie zwar möglich, aber schwierig.
Fachgebiet Anorganische Chemie |
---|
Seit 1.3.2024 leitet Prof. Dr. Moritz Kühnel das Fachgebiet. Die Bezeichnung änderte sich von „Bioanorganische Chemie und chemische Evolution“, nachdem der frühere Leiter Prof. Dr. Henry Strasdeit in den Ruhestand trat. mehr |
Aus diesem Grund setzen wir auf chemische Brennstoffe. Wasserstoff ist extrem leicht, sodass das Betanken eines Flugzeugs damit nicht zu einer übermäßigen Gewichtszunahme führt.
Batterien sind also quasi ein Konkurrenzprodukt zu Ihrer Forschung?
Ich würde eher sagen, ein Alternativprodukt. Die Politik vermittelt oft, dass es eine allumfassende Lösung für alles gibt. Aber ich denke, dass es verschiedene Nischen gibt, in denen unterschiedliche Lösungen sinnvoll sind. Ein Elektroauto ist sinnvoll für den Kurzstreckenverkehr in der Stadt – auch wenn ich persönlich lieber Fahrrad fahre. Aber für Langstrecken ist Elektromobilität momentan noch nicht optimal, und fürs Fliegen dürfte sie in absehbarer Zukunft keine Lösung darstellen.
Ihre Systeme klingen so bestechend einfach, dass man sich fragt, wieso sie nicht längst verwendet werden.
Das Hauptproblem ist, dass Erdöl und Erdgas so billig sind. Erst, wenn sie teurer werden, kann es sich lohnen, Wasserstoff auf grünem Weg herzustellen. Wir arbeiten an den Systemen, um sie kostengünstiger zu machen. Denn später sollen sie hochskaliert werden. Das wird hier an der Uni in anderen Bereichen bereits gemacht, in der Konversionstechnologie zum Beispiel. Hier kann ich gut mit anderen zusammenarbeiten und viel von ihnen lernen.
Also werden Sie viel kooperieren?
Unbedingt, es ist wichtig, dass verschiedene Disziplinen zusammenarbeiten, um gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Ich kenne mich zwar mit der Chemie aus, weiß aber zum Beispiel nicht, welcher Abfall eigentlich real anfällt. Dazu gibt es Ideen aus den Agrarwissenschaften, wie die Nutzung von abgemähtem Gras aus städtischen Grünflächen. Ein interdisziplinäres Umfeld wie hier in Hohenheim ist daher sehr bereichernd und inspirierend.
Was hat Ihren beruflichen Werdegang geprägt?
Mein Weg war nicht linear. Ich war kurz davor, mein Studium abzubrechen, um Schauspieler zu werden. Dann hatte ich aber ein Forschungspraktikum bei meinem späteren Doktorvater. Als ein Experiment fehlschlug, forderte er mich auf, selbst den Grund dafür herauszufinden. Da fühlte ich mich zum ersten Mal als Wissenschaftler ernst genommen. Schließlich entschied ich mich, den Rat meiner Eltern anzunehmen und zunächst meinen Abschluss zu machen.
Mittlerweile bin ich mit meinem Doktorvater befreundet und wir halten regelmäßig Kontakt. Diese Zeit in seiner Arbeitsgruppe hat mich stark geprägt. Nicht inhaltlich – meine Doktorarbeit befasste sich mit ganz anderen Themen. Aber ich habe dort die Begeisterung für die Forschung entwickelt. Sein Lieblingssatz war: „Das glaube ich nicht“. Dieses kritische Denken habe ich verinnerlicht.
Nach meinem Abschluss bekam eine Stelle in Großbritannien an der Universität von Cambridge. Dort kam ich zum ersten Mal mit dem Thema Wasserstoff und erneuerbare Energien in Kontakt – Bereiche, von denen ich vorher ehrlich gesagt keine Ahnung hatte. Ich habe in der Zeit unglaublich viel gelernt, und meine Begeisterung für die Forschung ist noch stärker geworden. Daher habe ich mich dann für die Stelle in Hohenheim entschieden. Und das fühlt sich genau richtig an.
Können sich an Ihrer Forschung auch schon Studierende beteiligen?
Die erste Bachelorarbeit bei uns startet bald, und zwar mit einem biologischen Thema. Auch die können wir nämlich in der Chemie anbieten, da wir viele verschiedene Themen verbinden. Ich freue mich immer über Studierende, die bei uns mitarbeiten möchten, und ich schätze es immer, wenn sie neue Ideen und Perspektiven einbringen. Besonders mit einem anderen fachlichen Hintergrund bringen sie frische Ideen mit, auf die wir vielleicht selbst gar nicht gekommen wären.
Auch auf Humboldt reloaded-Projekte freue ich mich jetzt schon. Forschung zu einem so frühen Zeitpunkt im Studium hätte mich als Student damals begeistert. Ab Herbst möchte ich das daher auf jeden Fall anbieten.
Was verstehen Sie unter guter Lehre?
Sie muss allen Beteiligten Spaß machen, die Atmosphäre ist sehr wichtig. Meine Aufgabe in der Lehre ist eigentlich relativ undankbar: Ich unterrichte Chemie für Nicht-Chemiker, und viele Studierende interessieren sich eigentlich gar nicht dafür.
Umso wichtiger ist es, das Interesse zu wecken. Ich führe in den Vorlesungen viele Experimente vor, oder mache auch mal ein Quiz auf dem Handy, um die Interaktion anzuregen. Eine Vorlesung muss auch ein bisschen eine Show sein, finde ich. Mittelfristig möchte ich auch mit Flipped Classroom arbeiten, und dafür auch Kurzvideos produzieren. Mit der Methode habe ich gute Erfahrungen gemacht.
Wir hätten noch eine abschließende Frage: Was machen Sie denn in Ihrer Freizeit?
Ich verbringe möglichst viel Zeit mit meiner Familie, die derzeit noch in Berlin lebt. Uns fehlt noch ein Kita-Platz und eine größere Wohnung. Früher habe ich gerne an alten Autos herumgeschraubt, aber dafür fehlt mir jetzt meist die Zeit. Außerdem gehe gerne joggen, das kann man hier in Hohenheim auch am Abend sehr gut machen.
Wir danken herzlich für das Gespräch, Herr Kühnel!
Interview: Klebs/Elsner