Sie forscht für gesunde Tiere  [11.12.24]

Wiederkäuer sind ihr ganz besonders ans Herz gewachsen: Die Veterinärmedizinerin Jun.-Prof. Dr. Franziska Dengler forscht und lehrt zum Wohl der Tiere. Seit April 2024 leitet sie das Fachgebiet Gewebestoffwechsel der Nutztiere an der Uni Hohenheim.


Die meisten ihrer Versuche führt sie nicht am lebenden Tier, sondern mit kleinen Gewebestücken im Labor durch. Dabei ist vor allem ein Organ in ihrem Fokus: der Darm. Er macht in ihrem Labor manchmal sogar Sit-Ups.

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Frau Dengler, „Gewebestoffwechsel der Nutztiere“ heißt Ihr Fachgebiet. Um was genau geht es?

In meiner Forschung geht es vor allem um die Physiologie des Magen-Darm-Trakts, insbesondere um das sogenannte Epithel, die gastrointestinale Schleimhaut. In der Lehre vertrete ich jedoch das ganze Tier in den Fächern Anatomie, Histologie und Physiologie. Meine Stelle ist als eine vorgezogene Nachbesetzung von Frau Huber gedacht. Sie leitet das Fachgebiet Funktionelle Anatomie der Nutztiere.

Was fasziniert Sie besonders an Ihrer Forschung?


Die Anpassungsfähigkeit des Darmepithels. Es ist ganz unglaublich, wie dieses Gewebe, das oft nur 15 Mikrometer dick ist, so viele widersprüchliche Funktionen erfüllen kann. Es trennt – und schützt – den Organismus nicht nur von der äußeren Umwelt, sondern muss auch selektiv und hocheffizient Nährstoffe aufnehmen. Und dabei ist es, wie gesagt, sehr anpassungsfähig. Ob infektiöse Erkrankung oder falsche Nahrungsmittel – das Epithel funktioniert und puffert vieles ab.

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Diese Anpassungsmöglichkeiten des Epithels wollen wir besser verstehen und dazu nutzen, um die Tiere gesund zu erhalten. Dabei betrachten wir den gesamten Magen-Darm-Trakt von den (Vor-)Mägen (fast) bis zum Rektum.

Wie äußert sich diese Anpassungsfähigkeit des Darmepithels?

Zum Beispiel in seiner Fähigkeit, mit Sauerstoffmangel umzugehen. Organe wie das Gehirn oder die Nieren versagen bereits nach kurzer Zeit ohne Sauerstoff, aber der Darm zeigt auch hier eine erstaunliche Widerstandsfähigkeit. Er erhält nur während der Verdauung eine bessere Versorgung mit Sauerstoff und muss zwischendurch mit sehr wenig auskommen – ein Zustand, den man als „physiologische Hypoxie“ bezeichnet.

Welche Tierarten stehen in Ihrem Fokus?

Wiederkäuer liegen mir persönlich sehr am Herzen, das sind einfach super Tiere. Aber natürlich auch Schweine und Hühner, gelegentlich auch Pferde.

Also führen Sie viele Tierversuche durch?

Wir arbeiten viel in vitro, also im Labor statt mit lebenden Tieren. Dabei verwenden wir sogenannte Organoide bzw. Enteroide. Organoide sind quasi Mini-Organe, die aus Stammzellen im Labor kultiviert werden und die in Vielem echten Organen sehr ähnlich sind. Enteroide sind spezielle Organoide, die aus Stammzellen des Darmes kultiviert werden und die verschiedenen Zelltypen des Darmepithels rekapitulieren, aber kein Bindegewebe enthalten. Enteroide sind relativ nah an der in vivo-Situation, also an dem Darmepithel des lebenden Organismus, und die Forschungsergebnisse haben somit eine gute Aussagekraft.

Tierversuche...

... an der Uni Hohenheim


Woher bekommen Sie denn die Zellen dafür?

In der Regel aus Tieren, die für andere Zwecke getötet wurden, zum Beispiel vom Schlachthof. Wir brauchen eigentlich nur ein Stückchen Darm oder Pansen. Daraus isolieren wir Stammzellen, mit denen wir dann lange arbeiten können.

Ein Vorteil ist, dass wir mit Replikaten aus demselben Tier vergleichend arbeiten können. Im Tierversuch hätten wir verschiedene Tiere in den Behandlungsgruppen, die aber auch individuell unterschiedlich reagieren. Es gibt also viele systemische Störfaktoren, die wir im Organoid-Modell nicht haben. Nur gelegentlich brauchen wir Tierversuche, um abzugleichen, wie nah wir mit unserem Modell noch an in vivo sind.

Das Organoid-Modell hat außerdem den Vorteil, dass wir viel mehr manipulieren können: In vitro kann ich vieles relativ skrupellos testen, da ich ja keinem Tier schade. Wenn ein Signalweg eigentlich anspringen sollte, dies aber bei physiologischen Dosierungen nicht tut, kann ich die Dosierung einfach noch erhöhen.

Zu welchen Themen forschen Sie dabei konkret?

Wir arbeiten zum Beispiel an der Kryptosporidiose bei Kälbern, einer Durchfallerkrankung. Kryptosporidien sind Einzeller, die im Darm in den Epithelzellen parasitieren und dem Wirt gewissermaßen seine Energie wegfressen. Wenn sie wieder freigesetzt werden, kommt es zur Zerstörung dieser Zellen. Die Kälber bekommen schweren Durchfall. Meistens überleben sie zwar, aber das beeinträchtigt natürlich das Tierwohl und führt zu hohen ökonomischen Verlusten.

Können auch Menschen erkranken?

Ja, das ist auch eine Zoonose, als Tierarzt oder Landwirt fängt man es sich schon mal ein. In Europa überstehen die meisten immunkompetenten Menschen die Erkrankung gut, aber in Entwicklungs- und Schwellenländern, wo die Trinkwasserversorgung problematisch ist, sieht das anders aus. Dort gehört Kryptosporidiose zu den Top 4-Todesursachen bei Kindern unter vier Jahren.

Seit Kurzem gibt es zwar eine Muttertierimpfung gegen die Kälberkryptosporidiose, aber es gibt noch keine wirksame kausale Therapie. Wir haben derzeit noch kein vollständiges Verständnis der pathophysiologischen Mechanismen, insbesondere der Wechselwirkungen zwischen Wirt und Erreger. Unser Ziel ist es, dieses Wissen zu vertiefen, um daraus potenzielle Ansätze für Prophylaxe- oder Therapieoptionen ableiten zu können.

Und an welchen Forschungsthemen arbeiten Sie noch?

Ein weiteres Thema, mit dem wir uns beschäftigen, ist der Nährstofftransport im Pansen von Milchkühen. Unseren Kühen wird heute meist eine hohe Milchleistung abverlangt. Das erfordert eine immense Menge an Energie, die wir über das Futter bereitstellen. Dabei weichen wir jedoch von der natürlichen Ernährung der Kuh ab und füttern sie mit viel Kraftfutter, was nicht der Ernährung eines Wiederkäuers entspricht. Das führt dazu, dass die Tiere oft an der Schwelle zum Krankwerden stehen.

Besonders interessiert uns, was im Pansenepithel geschieht, wenn große Mengen Zucker, in Form von leicht verdaulichen Kohlenhydraten, zugeführt werden. Denn unter natürlichen Bedingungen frisst die Kuh Gras, das von Mikroorganismen im Pansen in kurzkettige Fettsäuren umgewandelt wird – natürlicherweise das Hauptenergiesubstrat der Kuh. Durch die Fütterung von hohen Kraftfutterrationen wird jedoch ein Überschuss an kurzkettigen Fettsäuren produziert. Das führt zum Entgleisen der Homöostase in den Vormägen und Folgeerkrankungen. Diese Prozesse wollen wir besser verstehen.

Das ist Grundlagenforschung?

Ja, wir machen Grundlagenforschung. Ein grundlegendes Verständnis der pathophysiologischen Zusammenhänge ist nötig, um vielleicht in Zukunft Verbesserungen abzuleiten.

Dass diese Verbesserungen nötig sind, sehen wir beispielsweise an häufigen Schlachtbefunden wie vernarbten Pansenschleimhäuten – auch wenn man dem Tier zu Lebzeiten vielleicht gar nichts von der Pansenazidose, also einer Übersäuerung im Vormagen, angemerkt hat.

Haben die Tiere denn keine Schmerzen?

Fragen können wir sie nicht, aber Sie können davon ausgehen, dass eine Pansenazidose ähnlich schmerzhaft ist wie ein Magengeschwür. Aber vor allem Fluchttiere wie z.B. Schafe zeigen kaum Anzeichen von Schwäche oder Schmerz, selbst wenn es ihnen sehr schlecht geht, um nicht als leichte Beute wahrgenommen zu werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht leiden – sie verbergen es lediglich.

Haben Sie auch mit Schafen gearbeitet?


Ja, seit meiner Doktorarbeit an der Uni Leipzig. Da habe ich Schafe lieben gelernt, das sind so coole Tiere, sehr charakterstark. Während meiner Promotion habe ich die Ussing-Kammer-Technik kennengelernt – eine Methode zur Messung des transepithelialen Transports. Hier verhält sich das Epithel wie im lebenden Organismus: Gibt man beispielsweise Zucker hinzu, transportiert es diesen aus dem „Lumen“ auf die „Blutseite“. Dasselbe passiert mit Proteinen oder anderen Substanzen. Wir können also in vitro sehen, wie das Epithel arbeitet.

Diese Technik hat mich so begeistert, dass ich mich entschied, meine Doktorarbeit in diesem Bereich am Pansen von Schafen durchzuführen. Danach ist mein Interessensgebiet weiter nach distal gerückt, also in den Darm.

Fachgebiet Gewebestoffwechsel der Nutztiere

Seit 1.4.2024 leitet Jun.-Prof. Dr. Franziska Dengler das Fachgebiet. Es handelt sich um eine Juniorprofessur mit Tenure-Track. Die Professur ist auf 4 Jahre befristet und wird nach erfolgreicher Bewährungsphase in eine reguläre Professur umgewandelt. mehr


Das klingt alles sehr spannend. Können sich Studierende denn schon an Ihrer Forschung beteiligen?

Das ist der Plan, sobald unser Labor vollständig eingerichtet ist. Seit Herbst ist unser Team komplett und dazu gehört auch schon eine Bachelorstudentin. Auch zukünftig freuen wir uns, Bachelor- und Masterarbeiten zu betreuen. Auch das Programm Humboldt reloaded hier in Hohenheim zur Forschung bereits im Bachelorstudium finde ich sehr gut und wir werden hoffentlich bald auch ein Projekt anbieten können.

Was zeichnet denn gute Lehre aus?

Gute Lehre ist, wenn am Ende Lehrende und Lernende sagen: Das hat Freude gemacht und hat uns weitergebracht. Der Knackpunkt ist, die Studierenden zu motivieren, indem man ihnen zeigt, wofür das Gelernte nützlich und wichtig ist.

Ich war noch nie so frei in der Lehre wie jetzt in Hohenheim, und das freut mich. Wir haben ein neues Modul, bei dem es um den Gastrointestinaltrakt geht und in dem wir Theorie und Praxis eng verbinden. Darin schauen wir uns alles ganz detailliert an: Was passiert mit den Nährstoffen, wenn ich der Kuh ein Zuckerstückchen gebe, wenn ich ihr einen Grashalm gebe, oder wenn ich ihr ein Stück Butter gebe?

Dazu gibt es ganz viele Hands-on-Anteile: Wir führen Sektionsübungen durch und Mikroskopierübungen, fermentieren zum Beispiel Pannensaft oder messen die Peristaltik des Darms. Das machen wir nicht am lebenden Tier, sondern an einem Stück Darm in einem Organbad. Je nachdem, welche Stoffe wir zugeben, kontrahiert oder entspannt der Darm sich. Ich fand es als Studentin auch sehr beeindruckend, diesen kleinen Darm zu beobachten, wie er Sit-Ups macht.

Das bleibt sicher in Erinnerung! Was würden Sie denn Ihren Studierenden für ein erfolgreiches Studium empfehlen?

Mein Tipp ist, jede Gelegenheit zu nutzen, die sich bietet. Ich erlebe es ganz oft, dass alle einen Schritt zurücktreten, wenn man Freiwillige für eine praktische Übung sucht. Doch es ist gut, mal aus der Komfortzone herauszukommen. Wir sind an der Uni schließlich in einem relativ geschützten Raum, in dem man sich ausprobieren kann.

Nun hätten wir noch eine letzte Frage: Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten?

Ich reite gerne und habe mir hier bereits eine Reitbeteiligung gesucht. Das ist ein sehr schöner Ausgleich für mich. Außerdem lese ich viel, wenn ich die Zeit dazu finde.

Wir danken für das Gespräch, Frau Dengler!

Interview: Elsner / Klebs


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